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Dogan Akhanli wird am Prozesstag von Polizeibeamten zum Gericht in Istanbul gebracht.

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Update

Gerichtsentscheid: Dogan Akhanli kommt auf freien Fuß

Der türkischstämmige Kölner Autor Dogan Akhanli wird aus der Untersuchungshaft entlassen. Das hat ein Gericht in Istanbul am Mittwoch entschieden. Ein dringender Tatverdacht sei nicht gegeben.

Nach stundenlangem Gerichtsdrama kam das Happy End am Mittwochabend ganz undramatisch: Von einem Gerichtsdiener ließ Richter Seref Akcay ein Blatt Papier mit seiner Entscheidung auf den Flur hinaus reichen, wo die Prozessbeobachter warteten. Anwalt Haydar Erol nahm das Papier, überflog den Inhalt und schrie auf: "Tahliye, tahliye!" – Freilassung, Freilassung -, und auf dem Flur explodierte der Jubel. Nach viermonatiger Untersuchungshaft in der Türkei wurde der Schriftsteller Dogan Akhanli, Bundesbürger türkischer Herkunft, auf freien Fuß gesetzt.

"Erstmal ist jetzt alles gut", seufzte Ulla Kux, die Lebensgefährtin des Angeklagten, auf. "Ich habe es ja eigentlich nicht geglaubt." Was Akhanli selbst zu seiner Freilassung zu sagen hatte, das musste warten, denn der Angeklagte wurde durch die Hintertür abgeführt und ins Gefängnis im westtürkischen Tekirdag zurückgebracht, um die Entlassungsformalitäten zu erledigen und seine Sachen abzuholen – darunter den neuen Roman, an dem er hinter Gittern geschrieben hatte. Auf dem Gerichtsflur wurde die Entscheidung inzwischen schon gefeiert von Freunden, Familie und den aus Deutschland angereisten Unterstützern, darunter der Schriftsteller Günter Wallraff und Vertreter von Schriftstellerverbänden und Menschenrechtsvereinen.

Bis es soweit war, hatte es im Saal Z03 des Gerichts im Istanbuler Stadtteil Besiktas eine dramatische Verhandlung wie aus einem Hollywood-Schinken gegeben. Einen Raubmord aus dem Jahr 1989 legte die Staatsanwaltschaft Akhanli zur Last – zusammen mit zwei anderen Räubern soll er eine Wechselstube in Istanbul überfallen und den Besitzer Ibrahim Tutun erschossen haben. Von dem Überfall will Akhanli erst Jahre später überhaupt gehört haben – seine Anwälte hielten die Vorwürfe von Anfang an für eine politische Abrechnung der ultrakonservativen und nationalistischen Justiz mit einem linken Aktivisten. Denn Akhanli hatte nach dem Militärputsch von 1980 gegen die Junta aufbegehrt, deren Stempel bis heute das türkische Justizwesen prägt; nach drei Jahren im Gefängnis war er 1991 nach Deutschland geflohen.

Als Zeugen rief das Gericht zunächst die beiden Söhne des Opfers, die den Raubüberfall und den Mord an ihrem Vater als Jugendliche miterlebt hatten. "Ganz bestimmt war der Angeklagte nicht unter den drei Räubern, er hat überhaupt keine Ähnlichkeit", erklärte der jüngere Sohn, Ünay Tutun, entschieden – und verteidigte diese Aussage auch im Kreuzverhör des Staatsanwalts gegen dessen Versuche, seine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen. "Das war nicht der Täter", sagte auch der ältere Sohn, Mustafa Tutun, mit Bestimmtheit aus. Die Familie wolle, dass endlich der wahre Täter gesucht und bestraft werde, sagten die Angehörigen später auf dem Gerichtsflur.

Hochspannung herrschte im Saal auch bei der Aussage des dritten Zeugen, Hamza Kopal, als dieser die Folterungen schilderte, mit der Polizisten ihm vor fast 20 Jahren belastende Aussagen gegen Akhanli abgepresst hatten. An Armen und Beinen aufgehangen worden sei er, berichtete Kopal, mit Elektroschocks gequält, nackt ausgezogen und mit kaltem Wasser abgespritzt – "alles, was man sich nur vorstellen kann". Vor allem hätten die Polizisten ihm gedroht, ihm den Raubmord selbst anzuhängen, wenn er Akhanli nicht belaste. Nur deshalb habe er die Aussage schließlich unterschrieben. Akhanlis Verteidiger Ercan Kanat kritisierte vor Gericht, die Anklageschrift beruhe vollständig auf inzwischen widerrufenen Zeugenaussagen, und sprach von einer "Phantom-Anklage".

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