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Die Richter in Karlsruhe haben ein pauschales Kopftuchverbot für verfassungswidrig erklärt. Ehrhart Körting, der ein Mitverfasser des Neutralitätsgesetz ist, sieht es heute kritisch.

© dpa

Ehrhart Körting zum Kopftuchurteil: "Ich sehe mein Gesetz heute kritischer"

Der frühere Innensenator von Berlin, Ehrhart Körting, sieht das von ihm damals mitgeschrieben Neutralitätsgesetz, in dem religiöse Symbole an den Schulen verboten wurden, heute kritisch. Ein Interview.

Herr Körting, das Bundesverfassungsgericht hat heute entschieden, dass Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs im Unterricht nicht generell verwehrt werden darf. Wie bewerten Sie diesen Schritt?

Das Bundesverfassungsgericht hat damit sein Urteil von 2003 korrigiert und endlich Klarheit geschaffen. Die Regelungen in den Bundesländern sind seit 2003 sehr unterschiedlich. In einigen Bundesländern wie in Berlin dürfen Lehrerinnen keinerlei religiöse Symbole tragen. In anderen Bundesländern ist nur das Kopftuch verboten, christliche Symbole sind zulässig. Die Verfassungsrichter haben nun klar gemacht: Religionen dürfen nicht unterschiedlich behandelt werden. Und ein generelles Verbot des Kopftuchs ist nicht möglich. Die Entscheidung der Verfassungsrichter heißt jetzt: Im Zweifel für die Freiheit. Diese Klärung war wichtig.

 Sie waren von 2001 bis 2011 Berliner Innensenator und haben 2005 maßgeblich das Berliner Neutralitätsgesetz  mitgeschrieben. Es besagt, dass Lehrer in den öffentlichen Schulen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole tragen dürfen, weil die staatliche Schule ein religiös neutraler Ort sein muss. Was folgt aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für die Berliner Situation?

Unmittelbar gilt die Karlsruher Entscheidung nur für einen Fall in Nordrhein-Westfalen. Aber im Ergebnis schafft es für alle Bundesländer eine neue Rechtslage. Die Berliner Juristen werden das Neutralitätsgesetz im Lichte dieser Entscheidung neu auslegen müssen.

Ehrhart Körting, ehemaliger Innensenator von Berlin.
Ehrhart Körting, ehemaliger Innensenator von Berlin.

© imago

 Kann einer Lehrerin in Berlin das Tragen des Kopftuchs jetzt noch verwehrt werden?

In allen Bundesländern wird ein solches Verbot nur noch möglich sein, wenn durch das Kopftuch besondere Konflikte in der Schule auftreten. Wenn einer Lehrerin das Tragen des Kopftuchs verwehrt wird, bevor der Konflikt auftritt, kann sie gegen das jeweilige Bildungsministerium klagen. Sie hätte große Chancen, den Prozess zu gewinnen.

 Gibt es Kriterien, woran man einen solchen Konflikt bemisst?

Dazu hat Karlsruhe bislang keine Aussage getroffen. Es ist zu befürchten, dass es da eine Reihe von Folgeprozessen geben wird.

 Was sprach 2005 für das Neutralitätsgesetz?

Wir wollten die Schülerinnen schützen. Lehrerinnen sind ein Vorbild. Wir wollten vermeiden, dass Lehrerinnen mit Kopftuch Druck auf die Kinder ausüben könnten, es ihnen mit dem Kopftuch nach zu tun, so subtil der Druck auch sein mag.  

Wie bewerten sie das Neutralitätsgesetz heute?

Ich sehe es heute kritischer. Denn es wurde von der Wirtschaft missbraucht, obwohl es sich allein auf  Staatsdiener bezieht: Supermärkte haben sich geweigert, Kassiererinnen mit Kopftuch einzustellen. das Tragen des Kopftuchs verwehrt mit Hinweis auf das Kopftuchurteil und das Neutralitätsgesetz, auch in vielen anderen Bereichen wurde Musliminnen mit Kopftuch der Zugang erschwert. Ich frage mich deshalb, ob das Gesetz nicht das Gegenteil von dem bewirkt, was wir uns erhofft hatten. Dass es nämlich nicht die Emanzipation von muslimischen Mädchen und Frauen fördert, sondern eher behindert. Mir haben viele Frauen aus konservativen muslimischen Elternhäusern erzählt, dass der Lehrerberuf für sie eine der wenigen Möglichkeiten ist, sich von zuhause zu emanzipieren. Aber gerade diesen Weg haben wir ihnen mit dem bisherigen Kopftuchverbot erschwert.  

Ehrhart Körting war von 2001 bis 2011 Innensenator von Berlin. Das Interview führte Claudia Keller.

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