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Plagiat und Täuschung: Eine Wissenschaft für sich

Die Kanzlerin steht zu ihm. Auch im Netz gibt es Unterstützung. Aber die Plagiatsvorwürfe bestehen fort. Wie geht es weiter für Karl-Theodor zu Guttenberg?

271 Seiten listet die Internetseite „Guttenplag-Wiki“ am Montag auf. Seiten aus der Dissertation von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), auf denen er Texte oder Textpassagen aus anderen Werken übernommen haben soll, ohne diese kenntlich zu machen. Das wären rund 70 Prozent seiner Doktorarbeit. Eine Auswertung der bereits analysierten Fragmente zeigt den Angaben der Autoren der Seite zufolge, dass 1115 Zeilen oder 27 Seiten reiner Text „Komplettplagiate aus anderen Quellen“ seien. Weitere 1437 Zeilen oder 35 Seiten reiner Text könnten „verschleierte Plagiate“ sein, die „keinesfalls durch vergessene Anführungszeichen entstanden“ seien. Hinzu kämen 410 Zeilen sogenannter Übersetzungsplagiate. Insbesondere soll es sich dabei um einen Abschnitt über mehr als sechs Seiten handeln, „der Satz für Satz aus einem Artikel in ,Foreign Policy’ übersetzt wurde“. Er soll aus einem zweiten Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags und auch aus der Wochenzeitung „Die Zeit“ abgeschrieben haben. Der Druck auf den Verteidigungsminister wächst weiter.

Welche politischen Auswirkungen haben die Vorwürfe gegen Guttenbergs wissenschaftliche Arbeit?

An ihre Politiker stellt die Gesellschaft hohe moralische Ansprüche. Besonders gilt das, wenn diese Kanzler oder Kabinettsmitglieder sind. Ein Verteidigungsminister etwa befehligt Soldaten, die im Zweifelsfall ihr Leben für die Sicherheit des Landes geben. Hohe Glaub- und Vertrauenswürdigkeit, persönliche Integrität, sind wesentliche Voraussetzungen, die ein solcher Minister zur Ausübung seines Amtes mitbringen muss.

Kann ein Mann diese Anforderungen erfüllen, der eine Dissertation ablieferte, die er möglicherweise nicht selbst verfasst hat, für deren Inhalt er sich jedoch zweifelsfrei des geistigen Eigentums anderer bediente, ohne dies zu kennzeichnen? Kann jemand, der schummelt, Deutschland regieren? Das ist im Kern die politische Dimension der Vorwürfe, die seit knapp einer Woche dem Verteidigungsminister gemacht werden. Und sie münden in die Frage: Ist Guttenberg als Minister noch tragbar? Jetzt, da die Beweise für fehlende Zitate bereits offenliegen. Und auf jeden Fall dann, wenn die Universität in Bayreuth Guttenberg den Doktortitel aberkennen sollte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer haben am Montag versucht, die Frage der charakterlichen Eignung von der politischen Dimension zu trennen. Sie wollen dadurch einen Automatismus durchbrechen, nach dem auf eine Aberkennung des Doktortitels durch seine Uni zwangsläufig ein Rücktritt oder die Entlassung als Minister folgen muss. Beide, Merkel und Seehofer, spüren eine starke Unterstützung in der Bevölkerung für Guttenberg, und sie wollen auf keinen Fall vor der Zeit einem so beliebten Politiker die Unterstützung entziehen.

Merkel lobte ihren Minister am Montag ungewöhnlich ausführlich als einen mutigen Politiker mit Weitsicht. Auch Seehofer sprach von „vollem Vertrauen“ und warb für ein „sauberes korrektes Verfahren“. Inwieweit Guttenbergs politische Karriere betroffen ist, wolle man „erst bewerten“, sagte Seehofer, „wenn die Untersuchungen der Universität Bayreuth abgeschlossen sind“. Er selbst, fügte Seehofer an, habe Skandale überstanden. Und er habe Guttenberg geraten, sich nicht entmutigen zu lassen. Auch in Guttenbergs unmittelbarer politischer Heimat scharte man sich am Montag um ihn. Der oberfränkische CSU- Landtagsabgeordnete Alexander König, sagte, der Minister genieße unter den Wählern einen derartigen Vertrauensvorschuss, dass er die Krise „locker überstehen“ könne. Er gehe infolgedessen davon aus, dass Guttenberg, selbst wenn er den Doktortitel aberkannt bekomme, politisch weitermachen werde.

Wie geht das Verfahren weiter?

Die „Kommission zur Selbstkontrolle in der Wissenschaft an der Universität Bayern“ hat Guttenberg zu einer Stellungnahme binnen zwei Wochen aufgefordert. Vorsitzender ist Stephan Rixen, zugleich Professor für Öffentliches Recht. Der Brief der Uni dürfte bereits im Ministerium vorliegen. Guttenbergs Sprecher Steffen Moritz sagte noch am Nachmittag, dass der Minister die zwei Wochen voll nutzen werde. Allerdings kündigte Guttenberg am Abend bei einer Veranstaltung in Kelkheim an, dauerhaft auf seinen Doktortitel verzichten zu wollen. Die Universität teilte am Montagabend mit, Guttenberg habe sie gebeten, seinen Doktortitel zurückzunehmen. Zur Begründung habe er auf „gravierende, handwerkliche Fehler“ in seiner Dissertation hingewiesen. Die Universität sei aber dennoch verpflichtet, die Rechtmäßigkeit der Doktorarbeit zu prüfen. Das Verfahren orientiere sich an den Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Nach der Stellungnahme Guttenbergs steigt das Gremium in die weitere Prüfung ein. Am Ende steht eine „Empfehlung“, wie weiter zu verfahren ist.

Wer kann den Titel entziehen?

Ausschließlich die Promotionskommission der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, wenn sich der Titel-Bewerber „einer Täuschung schuldig gemacht hat“. In der Promotionsordnung heißt es im Paragraf 16 („Ungültigkeit der Promotionsleistungen“) wörtlich: „Wird die Täuschung erst nach Aushändigung der (Titel- d. Red.) Urkunde bekannt, so kann nachträglich die Doktorprüfung für nicht bestanden erklärt werden.“ Das heißt, die Kommission hat auch bei Feststellung einer Täuschung noch einen Entscheidungsspielraum. Vorsitzender der Promotionskommission ist immer der Prodekan, zurzeit Herbert Woratschek, er hat einen Lehrstuhl für Dienstleistungsmanagement. Zum Gremium gehören ferner zwei Jura-Professoren sowie je ein Professor für Betriebswirtschaft und einer für Volkswirtschaft, zudem ein hauptberuflicher wissenschaftlicher Mitarbeiter.

Wie sieht eine „Täuschung“ aus?

In seinem Prüfungsantrag musste Guttenberg eine „ehrenwörtliche Erklärung“ abgeben, dass er „keine anderen als die von ihm angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt hat“. Sollte er systematisch und umfänglich abgeschrieben haben, ohne die Urheber zu nennen, erfüllt dies den Tatbestand der Täuschung.

Durfte Guttenberg ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags zitieren, das er in Auftrag gab?

Nach den Nutzungsrichtlinien stehen die Dienste nur für „mandatsbezogene Tätigkeiten“ der Abgeordneten zur Verfügung. Hier führt Guttenberg in der Fußnote seiner Arbeit einen Vortrag in Washington an. Eine umfassende, nahezu wörtliche Übernahme des Textes könnte allerdings als „externe Veröffentlichung“ der bundestagsinternen Gutachten zu werten sein, zu der die damalige Abteilungsleiterin, Erdmute Rebhan, ihre Zustimmung hätte geben müssen. Die ist aber mittlerweile pensioniert und offizielle Erhebungen über die Veröffentlichungs-Genehmigungen gibt es laut Bundestags-Verwaltung nicht.

Auch Guttenbergs Tätigkeit in der Rhön-Klinikum AG steht in der Kritik. Welche Verbindung gibt es zwischen der Uni und der AG?

Vor seiner umstrittenen Promotion an der Universität Bayreuth war Karl-Theodor zu Guttenberg dort gleichzeitig Student und Sponsor. Die Rhön-Klinikum AG, bei der die familieneigene Beteiligungsgesellschaft derer zu Guttenberg ein dickes Aktienpaket hielt, gehört zu den Stiftern des Lehrstuhls für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften, der im Jahr 2000 eingerichtet wurde und bei der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät angesiedelt ist. Nach Tagesspiegel-Informationen fließt dafür pro Jahr von der Rhön-Klinikum AG ein sechsstelliger Beitrag. Zuwendungen dieser Größenordnung seien „eher selten“, heißt es in der AG. Geschäftsführender Direktor des Instituts, zur Zeit aber beurlaubt, ist der renommierte Medizinethiker, Transplantationsmediziner und Theologe Eckhard Nagel, der auch Mitglied im Nationalen Ethikrat ist.

Guttenberg, der an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät studiert und promoviert hat, saß von 1996 bis 2002 im Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG. Danach verkaufte die Familie Guttenberg ihre Aktien mit hohem Gewinn an die HypoVereinsbank. Der Börsenwert soll bei 260 Millionen Euro gelegen haben.

Wie ist die Stimmung im Internet?

Die Internetseite „Guttenplag-Wiki“ stellt seit vergangenem Mittwoch beinahe stündlich neue Plagiatstellen aus Guttenbergs Dissertation ins Netz. Auch wenn die Beweise erdrückend scheinen: Es gibt viele Bürger, die sich auf die Seite des Ministers stellen. Besonders bei Facebook gibt es eine Solidaritätswelle, die immer weiter steigt. Die Fanseite „Gegen die Jagd auf Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg“ hatte am Montagabend bereits mehr als 164 000 Unterstützer – Tendenz steigend. Gestartet war sie am vergangenen Donnerstag mit rund 100. Eine unglaublich hohe Zahl in so kurzer Zeit. Angela Merkels Fanpage hat etwa 70 000 Unterstützer – gesammelt in zwei Jahren.

Gegründet hat die Fanpage der Verleger und Internetaktivist Tobias Huch. Am Donnerstagabend schaute er Nachrichten: „Ich war erbost über das Hochpushen des Themas“, sagte er dem Tagesspiegel. Als dann im Ticker die Meldung über die toten Soldaten in Afghanistan lief, reichte es ihm. „Wenn die toten Bundeswehrsoldaten nur noch eine Randbemerkung sind, läuft irgendwas falsch.“ Das Phänomen Guttenberg: Mittlerweile verzeichnet der Minister auf seiner offiziellen Facebook-Seite auch 82 500 Fans – vor einer Woche war es noch weniger als die Hälfte. Es gibt auch den Versuch, auf Facebook eine Contra-Guttenberg-Seite aufzuziehen. Allerdings mit mäßigem Erfolg. Die Fanpage mit dem Namen „Dr. strg. c. Guttenberg“ hat nur etwas mehr als 1700 Unterstützer.

Was sagen die Umfragen?

Die Umfragen könnten kaum unterschiedlicher sein: Auf tagesspiegel.de forderten 69 Prozent der Teilnehmer den Rücktritt des Ministers. Nur 31 Prozent stimmten dagegen. In einer Forsa-Umfrage für RTL Aktuell sprachen sich hingegen 68 Prozent gegen einen Rücktritt des Ministers aus. 27 Prozent sagten, Guttenberg solle den Hut nehmen. „Für viele Bürger ist das ein Zwiespalt. Auf der einen Seite mögen sie ihn, der macht ja gute Politik. Auf der anderen Seite ist dort der mögliche Vertrauensverlust“, sagte Klaus-Peter Schöppner, Chef des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid. Guttenberg sei ein Politiker der anderen Art. „Er ist der Kümmerer, einer der sich einsetzt für das, was er denkt, eine Art Vorbild, auch eine Leitfigur“, sagte Schöppner. Das seien heute wichtigere Eigenschaften als die politische Kompetenz. Auch Glaubwürdigkeit und Vertrauen seien wichtige Kriterien. Die droht Guttenberg aber zu verlieren. Sollte es bald handfeste Beweise geben, könnte es für ihn ungemütlich werden. „Ein Ghostwriter wäre natürlich der Super-GAU“, sagte Schöppner.

Funktioniert die Qualitätssicherung in der Wissenschaft?

Die Wissenschaft muss den Fall Guttenberg zum Anlass nehmen, ihre Selbstkontrolle zu verbessern. Das fordert Berlins Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD) und schlägt vor, Fördermittel nur dann zu vergeben, wenn die Unis zusichern, stichprobenartig Zitationen und Experimente zu kontrollieren. Tatsächlich sehen etwa die Richtlinien der DFG zwar Sanktionen vor, sollten Fälscher auffliegen. Doch systematische Kontrollen sind nicht vorgesehen. Kritiker sagen, die Wissenschaft würde das Thema lieber totschweigen. Dass dieser Vorwurf nicht völlig von der Hand zu weisen ist, zeigte sich am Montag in den Reaktionen auf Zöllners Vorstoß. Der Wissenschaftsrat, das höchste Beratungsgremium der Politik, verwies auf die DFG. Dort schwieg man aber. Und auch Bundesforschungsministerin und Guttenbergs Kabinettskollegin Annette Schavan (CDU) sieht sich nicht in der Pflicht. „Wir halten die bestehenden Regularien für ausreichend“, teilte eine Sprecherin Schavans mit.

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