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Gleichbehandlung. Ab Juli 2013 können illegale Einwanderer in Schweden gefahrlos zum Arzt gehen – auch hier im Universitätskrankenhaus in Stockholm. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Einwanderer ohne Papiere: Schweden gewährt Illegalen Recht auf Gesundheitsversorgung

Konservative Regierung in Stockholm beschließt ein Gesetz, das in Deutschland noch undenkbar zu sein scheint.

Nach langem Einsatz sind Menschenrechtsorganisationen in Schweden beim Kampf um eine Besserstellung der vielen illegal im Lande lebenden Einwanderer erfolgreich. Ab 1. Juli 2013 erhalten auch Menschen ohne gültigen Aufenthaltstitel das allgemeine Recht auf weitgehend kostenfreie Gesundheitsversorgung in Schweden. Ihre Kinder werden schwedischen dabei gleichgestellt. Die einzige Einschränkung für Erwachsene, die aber auch für EU-Ausländer gilt, sind nicht akut notwendige Vorsorgebehandlungen. Sie sind weiter aus eigener Tasche zu zahlen. Gelten sollen die Änderungen sowohl für Flüchtlinge, die nach einem Abschiebungsbescheid untergetaucht sind, als auch für die, die gar nicht registriert sind.

Die insgesamt recht großzügig ausgestaltete Zuerkennung des Krankenversorgungsrechts gilt als erster, wesentlicher Schritt auf dem Weg zur prinzipiellen Anerkennung von illegalen Flüchtlingen in Schweden, erhoffen sich Menschenrechtsorganisationen im Lande. Urheber dieses Gesetzes ist ausgerechnet die rechtskonservative Regierung, unterstützt von den oppositionellen Grünen.

Die Jugendorganisation der größten konservativen Partei Moderaterna von Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt fordert schon seit langem etwas, das in Deutschland vor allem Linksparteien vorbehalten zu sein scheint: „Grenzen auf für alle“. Die rechtsliberalen schwedischen Konservativen haben etwas gegen jede Art von Regulierung, während traditionell eher die Linksparteien Einwanderung regulieren wollen, um die Armen im Lande vor Billigkonkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zu schützen. Dagegen befürworten sie Rechtsliberale gerade deswegen, weil sie unter anderem Arbeitgebern mehr Möglichkeiten geben, auch Löhne unterhalb des von Gewerkschaften Geforderten zu zahlen.

Der christdemokratische Sozialminister Göran Hägglund begründete den Schritt allerdings mit Menschenrechtsaspekten: Auch „versteckte und papierlose Flüchtlinge müssen das gesetzliche Recht auf subventionierte Krankenversorgung haben“, sagte Hägglund. Das Pflegepersonal stehe derzeit in einem ethischen Dilemma. Schon ihr Eid verpflichte sie, allen Menschen zu helfen, die krank sind. Åsa Romson von den sehr gemäßigten schwedischen Grünen beklagte lediglich, dass das Gesetz nicht weit genug gehe. Es sei aber ein Anfang: „Es ist ein sehr wichtiger erster Schritt.“

Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten forderten dagegen, dass illegale Flüchtlinge aus dem Land geschafft werden müssten. Das Gesetz verlange dies schließlich. Es sei irreführend, wenn Menschen sich zwar nicht in Schweden aufhalten dürften, dann aber eine Krankenversicherung erhielten.

Ausländerrecht gegen Menschenrechte – auch in Deutschland steckt die seit Jahren geführte Debatte um die Rechte sogenannter Illegaler immer wieder an diesem Punkt fest. Einerseits ist das Recht auf Zugang zur Gesundheitsversorgung ein Grundrecht, das nicht durch nationale Vorschriften eingeschränkt werden darf. Andererseits können Menschen, die ohne Papiere hier leben, es nicht in Anspruch nehmen, ohne sich in Gefahr zu bringen, abgeschoben zu werden. Das hat bundes-, ja sogar landesweite Lösungen des Problems bisher verhindert. Ansätze gibt es auf kommunaler Ebene oder halb privat durch engagierte Mediziner. In München etwa existiert seit mehr als zehn Jahren ein städtischer Fonds, der die Gesundheitskosten Illegaler trägt. In Berlin scheiterte kürzlich das Projekt des anonymen Krankenscheins, es tagt aber weiter ein Runder Tisch, der Vorschläge für eine Lösung des Problems erarbeiten soll. Eine Handhabe, die Härten der Pflicht zur Datenweitergabe zu mildern, bietet dabei oft die Pflicht der Gesundheitsbehörden, gegen Bedrohungen der allgemeinen Gesundheit vorzugehen. Menschen, die sich zum Beispiel gegen Tuberkulose oder Aids nicht behandeln lassen können, sind – unabhängig von ihrem Aufenthaltsrecht – auch eine Gefahr für andere. Johannes Knickenberg vom „Katholischen Forum Leben in der Illegalität“ hat daher Hoffnung: „In Sachen Gesundheit ist kommunal in den vergangenen Jahren einiges in Bewegung gekommen.“

In Schweden hat wohl auch politisches Kalkül zur Entscheidung der Regierung beigetragen. Die Zusammenarbeit in Migrationsfragen zwischen Schwarz und Grün war nach den Wahlen 2010 zustande gekommen, weil die bürgerliche Minderheitsregierung zeigen wollte, dass sie gegen den Einfluss der damals erstmals ins Parlament gewählten rechten Schwedendemokraten immun sei. André Anwar/Andrea Dernbach

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