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Zwei Durchschnittsdeutsche, sozialstrukturell gesehen. Frauke Petry und Björn Höcke.

© Imago/Jens Jeske

Eliten-Bashing als Wahlkampftaktik: AfD oder: Das Establishment sind immer die anderen

Weil andere Themen langsam wegbröseln, versucht es die AfD im Wahlkampf nun mit Kritik am Establishment. Und trifft damit sich selbst. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Fabian Leber

Der AfD geht etwas die Puste aus. Vor Kurzem noch eilte sie von einem Umfragerekord zum nächsten. Jetzt bleibt es bei acht bis zehn Prozent. Die Debatte um die Flüchtlingspolitik, das zeigt sich, war wie Doping für die AfD. Davon berauscht, sah man sich schon als neue Volkspartei. Unklar aber blieb, wie stark sie ohne dieses Hilfsmittel ist. Nun gingen die Flüchtlingszahlen zurück und statt der Migrationsfrage wird womöglich die Sozialpolitik Top-Thema des Wahlkampfs werden. Was heißt das für die AfD? Welche Chancen hat sie, wenn gerade keine Krise ist?

Ersatzweise kann die Partei gegen das sogenannte Establishment polemisieren. Sie tut das ja auch. Damit folgt sie dem Vorbild anderer rechtspopulistischer Parteien wie dem Front National in Frankreich, der österreichischen FPÖ oder der „UK Independence Party“ (Ukip). Im Kern wird eine mögliche Etablierung der AfD daher von einer Frage abhängen: Wie hält Deutschland es mit seinen Eliten?

Der Vergleich mit Ländern wie Frankreich, Österreich oder Großbritannien kann da helfen. Gerade Frankreich lebt von der Vorstellung, eine egalitäre Gesellschaft zu sein. Oft sieht das jedoch anders aus. Nicht nur, dass der skandalbelastete konservative Präsidentschaftskandidat François Fillon in einem schlossähnlichen Anwesen wohnt. So gut wie alle Top-Führungskräfte in Politik und Wirtschaft sind Gewächse der „Grandes Écoles“, prestigeträchtiger Eliteunis. Eigentlich klar, dass der schneidige linksliberale Kandidat Emmanuel Macron Absolvent der bekanntesten davon ist, der ENA.

Frankreich, Österreich und England sind doch anders

In Großbritannien gibt es ein Äquivalent dafür, „Oxbridge“, die Unis in Oxford und Cambridge. Premierministerin Theresa May studierte dort, auch ihr Vorgänger David Cameron, Außenminister Boris Johnson sowieso. Wobei das Phänomen nicht nur auf die Konservative Partei beschränkt ist. Halbe Kabinette der Labour Party hatten „Philosophy, Politics and Economics“ belegt, einen Generalistenstudiengang in Oxford. Österreich wiederum kennt solche Eliteprogramme nicht, trotz aller Vorliebe für akademische Titel. Die beiden großen Parteien SPÖ und ÖVP aber haben einen Verbändestaat geschaffen, der von außen ähnlich schwer durchdringbar erscheint.

Wobei ja nichts gegen gute Unis einzuwenden ist. Wahrscheinlich ist ein möglicher Präsident Macron, obwohl noch nicht mal 40, weit besser auf seine Aufgabe vorbereitet, als es die Physikerin Angela Merkel beim Amtsantritt war. Und dennoch hinterlässt es einen faden Geschmack, wenn fast alle aus demselben Stall kommen. Da werden Verhaltensstile eingeübt und Netzwerke geknüpft, die Kaderdenken provozieren.

Deutschland hingegen gewinnt seine Führungskräfte auf einer vergleichsweise breiten Basis – gerade in der Politik. Der Elitenforscher Michael Hartmann hält zwar auch Deutschland nicht für das Land der unbegrenzten Aufstiegschancen, weil hier zu wenige Kinder von Nicht-Akademikern den Sprung an die Uni schaffen. Er sagt aber: „Die politischen Eliten sind besonders durchlässig.“ Dort stammten etwa 50 Prozent der Spitzenkräfte aus dem Bürger- oder Großbürgertum. In Justiz und Verwaltung liegt der Anteil demnach bei knapp zwei Drittel, in der Wirtschaft bei rund 80 Prozent. Bei den Führungsfiguren in Wissenschaft und Medien seien es etwa 60 Prozent.

Keinen Abschluss zu haben, kann ein Vorteil sein

Tatsächlich werden politische Eliten in Deutschland grundsätzlich anders rekrutiert als in Frankreich oder Großbritannien. Das fängt schon mit der Rolle der Hauptstadt an. Wer im Bundestag Karriere machen will, der startet oft besser in der Provinz als in Berlin, wo die Zahl der Listenplätze begrenzt ist. Es spielt auch keine Rolle, an welcher Uni ein Politiker studiert hat. Keinen Abschluss zu haben, kann sogar von Vorteil sein, wie der Fall Martin Schulz zeigt. Der Eintritt in eine politische Karriere scheint so ziemlich jedem offen zu stehen, so lange er sich von parteiinterner Vereinsmeierei nicht abschrecken lässt. In dieser Hinsicht scheint das deutsche System erstaunlich zugänglich zu sein.

Die AfD sollte daher nicht zu sehr darauf hoffen, dass sich mit vermeintlichem Establishment-Bashing viel gewinnen lässt. Zumal ihre Führungskräfte, anders als Donald Trump oder Jörg Haider, genau dieselben Mittelschichtgewächse sind wie ihre Gegenüber bei den „Altparteien“. Ob der Ex-Bundeswehroberst Georg Pazderski, der Lehrer Björn Höcke oder die Bundesverdienstkreuzträgerin Frauke Petry: Auch sie sind, sozialstrukturell gesehen, ziemlich deutscher Durchschnitt.

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