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Frau in Weiß. Die Kassiererin Barbara E., genannt Emmely, am Donnerstag während der Verhandlung ihres Falls in Erfurt, neben ihrem Anwalt.Foto: Jens-Ulrich Koch/ddp

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Erfolg vor Gericht: Emmely im Glück

Bundesarbeitsgericht entscheidet Fall der Kassiererin: Eine Abmahnung hätte es auch getan, meint der Richter

Sie erscheint ganz in Weiß und spricht kein Wort. Erst als der Vorsitzende Richter am Bundesarbeitsgericht Burghard Kreft das erlösende Urteil verkündet, ruft sie: „Ja!“ und reckt die Faust. Barbara Emme, 52 Jahre alt, Deutschlands bekannteste Kassiererin, darf zurück an ihren Arbeitsplatz. Ihre Kündigung ist aufgehoben, die Freude groß. Der gemessen an der öffentlichen Aufmerksamkeit größte Arbeitsrechtsfall in der Geschichte der Bundesrepublik ist für die Klägerin glücklich zu Ende gegangen.

„Wir haben es mit einem besonderen Prozess zu tun“, meint Richter Kreft zuvor in der Verhandlung. Das die Kündigung bestätigende Urteil des Berliner Landesarbeitsgerichts vom Februar 2009, das bei Politik und Bürgern auf so viel Empörung gestoßen war, sei auf dem Höhepunkt der Wirtschafts- und Finanzkrise ergangen. „Die Spannungslage: Hier die Diskussion um Managerboni und waghalsige Bankgeschäfte, dort eine Kündigung wegen 1,30 Euro.“ Aber darüber sei jetzt nicht zu reden. Finanzkrisen seien kein Problem des Arbeitsrechts, die Banker täten, was sie laut Vertrag sollten; vielleicht, und nun lässt der Richter doch einen politischen Ausflug zu, „ist genau dies das Problem“.

Das Problem um Barbara Emme, die alle „Emmely“ nennen, hatte sich einige gesellschaftliche Etagen weiter unten abgespielt. 2008 kündigte ihr die Supermarktkette Kaiser’s, weil sie zwei im Laden verlorene Kundenpfandbons eingelöst hatte. Wert: 1,30 Euro. Sie stritt die Tat ab, doch Arbeitgeber und das Berliner Gericht wiesen sie ihr nach. Ein „asoziales, barbarisches Urteil“, erregte sich damals Wolfgang Thierse und brachte zum Ausdruck, was viele fühlten: Hier wird eine redliche Arbeitnehmerin nach über 30 Betriebsjahren wegen einer Nichtigkeit vom Hof gejagt, während die Finanzbosse die Weltwirtschaft ungestraft an den Rand des Kollapses manövrieren dürfen.

Die Kassiererin kämpfte – und gewann. Gegen sie stand nicht nur ihr Arbeitgeber, sondern auch eine seit den achtziger Jahren tradierte Rechtsprechung. Im „Bienenstichurteil“ hatte das Bundesarbeitsgericht festgehalten, dass auch kleine Delikte – etwa wenn eine Bäckereiverkäuferin ein Stück Kuchen aus der Auslage isst – eine Kündigung rechtfertigen können. Können, wohlgemerkt, nicht müssen. Manch Arbeitsrichter nahm das Votum zum Anlass für Null-Toleranz-Urteile, jedenfalls bei kleinen Angestellten; im mittleren und gehobenen Management reagiert man seit jeher mit Nachsicht. Mit ihrem Urteil vom Donnerstag bleiben die Bundesrichter auf Bienenstich-Linie. Doch sie unterstreichen, dass die Kündigung wirklich eine „angemessene Reaktion“ sein muss. Damit füllen sie alte Grundsätze mit neuem Leben: Emmelys Vertragsverstoß sei schwerwiegend und berühre einen Kernbereich der Kassierer-Aufgaben in einer für Diebstahl anfälligen Branche; doch hätte die Frau über drei Jahrzehnte „ohne rechtlich relevante Störungen“ ihren Job gemacht. Das sei entscheidend. Eine eindringliche Warnung, sagt Richter Kreft, hätte gereicht.

Kaiser’s sieht das anders, vergeblich. „Frau Emme hat gelogen“, sagt Anwältin Karin Schindler-Abbes. „Sie hat nicht nur einmal und ein bisschen gelogen. Sie hat ihren Arbeitgeber angelogen, sie hat die Gewerkschaft angelogen, den Betriebsrat, das Gericht und die Öffentlichkeit“. Neun verschiedene Erklärungen habe sie abgegeben, wie ihr die Pfandbons ins Portmonee gerutscht seien, keine sei wahr gewesen. „Vertrauen in Ehrlichkeit ist die Grundvoraussetzung für den Beruf als Kassiererin“.

Die Bundesrichter rücken Emmelys vielfältige Einlassungen in ein milderes Licht, sie seien ungeschickt und widersprüchlich, ließen aber keine Rückschlüsse zu, ob die Kassiererin unzuverlässig sei. „Es ist nicht unzumutbar, die Klägerin weiterzubeschäftigen“, folgert Richter Kreft. Die Äußerungen der Frau hätten beim Arbeitgeber berechtigterweise Irritationen ausgelöst – „aber muss man deshalb kündigen?“. Das Bundesgericht habe das Geschehen „diametral entgegengesetzt“ bewertet und angesichts der klaren Faktenlage „durchentschieden“, ohne den Fall an die Berliner Justiz zurückzuverweisen.

Nach dem Urteil fällt es Babara Emme schwer, gefasst zu bleiben. Sie ist endgültig zur Symbolfigur im ewigen Streit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer avanciert und wird es sich aussuchen dürfen, ob sie zu Kaiser’s zurückkehrt oder sich großzügig abfinden lässt. Gerichts- und Anwaltskosten muss ohnehin ihr Gegner tragen. Ausgelassen feiern die mitgereisten Unterstützer ihre Heldin. „Wenn man etwas wirklich fest will, schafft man es auch“, freut sie sich und strahlt in die Kameras. „Ein tolles Urteil“, schwärmt ihr Anwalt Benedikt Hopmann. „Man kann jetzt nur hoffen, dass die Interessen der Arbeitnehmer künftig vor Gericht größeres Gewicht bekommen“.

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