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Tagebau in Jänschwalde. Über die Erweiterung des Braunkohleabbaus in der Lausitz wird erbittert gestritten. Der Konflikt könnte in Stockholm entschieden werden.

© dpa

Energiepolitik in Schweden und Deutschland: Rot-Grün in Stockholm zieht Vattenfall den Stecker

Die neue schwedische Regierung will aus Vattenfall einen Vorreiter erneuerbarer Energien machen. Da passen neue Braunkohletagebaue in der Lausitz nicht mehr dazu. Außerdem will Schweden schrittweise aus der Atomenergie aussteigen.

Die neue rot-grüne Minderheitsregierung in Schweden will die umstrittene Erweiterung der Braunkohle-Tagebaue in Brandenburg und Sachsen stoppen. Das geht aus der Koalitionsvereinbarung der Sozialdemokraten und der Grünen hervor, in der es heißt, dass die „Expansion“ des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall, die der frühere Ministerpräsident Frederik Reinfeld zugelassen habe, abbrechen werden solle. Der am Freitag vereidigte Premierminister Stefan Löfven sagte in seiner ersten Regierungserklärung: „Vattenfall soll bei der Umstellung auf eine Energieversorgung mit mehr erneuerbaren Energien führend sein.“ Die erste rot-grüne Regierung des Landes versteht den Klimaschutz als wichtige Aufgabe. „Das ist die Schicksalsfrage unserer Zeit“, sagte Löfven.

In der schwedischen Koalitionsvereinbarung heißt es, dass die schwedische Energieerzeugung zu „100 Prozent“ auf erneuerbare Energien umgestellt werden soll. Die Zukunft von Vattenfall liege nicht mehr in „Kohle und Gas“, sondern in den erneuerbaren Energien, heißt es in einer Mitteilung der schwedischen Sozialdemokraten. Was das genau für die bestehenden Braunkohletagebau und die Braunkohlekraftwerke in Ostdeutschland bedeutet, ist noch nicht klar. Vattenfall Deutschland wollte sich zunächst nicht zu den schwedischen Plänen äußern.

Ein schwedischer Energiekonsens

Sozialdemokraten und Grüne in Stockholm haben sich auf die Bildung einer Kommission geeinigt, die einen „schwedischen Energiekonsens“ aushandeln soll. In diesen Konsens sollen ausdrücklich auch die konservativen Parteien einbezogen werden. Dabei geht es nicht nur um die Zukunft der Braunkohle im Vattenfall-Portfolio. Die deutschen Braunkohlekraftwerke stoßen mehr Kohlendioxid aus, als ganz Schweden. Es geht bei diesem Energiekonsens auch um die Zukunft der zehn schwedischen Atomreaktoren an drei Standorten. Die Koalitionspartner haben sich bereits darauf geeinigt, die Sicherheitsanforderungen an die Atomkraftwerke sowie die Gebühren für die Atommüllentsorgung zu erhöhen. Die Grünen rechnen damit, dass deshalb bis 2018 die vier ältesten Atomkraftwerke in Ringhals und Oskarshamm vom Netz gehen werden.

Der Streit um die Braunkohle

Welche Rolle die Braunkohle im deutschen Energiemix künftig haben soll, ist sehr umstritten. In Nordrhein-Westfalen hat der Energiekonzern RWE in diesem Frühjahr die Bremse eingelegt. Der Braunkohletagebau Garzweiler II soll verkleinert werden. Doch der schwedische Staatskonzern Vattenfall ist noch auf Expansionskurs, und die beiden Landesregierungen in Sachsen und Brandenburg haben das politisch auch unterstützt. Doch nun zieht die neue Regierung in Schweden die Notbremse: In Zukunft soll Vattenfall die schwedische Energiewende hin zu einer einhundertprozentigen erneuerbaren Energieversorgung schaffen.

In seiner Regierungserklärung im Reichstag am Freitag versprach der neue Premierminister Stefan Löfven eine aktive schwedische Klimapolitik und einen Umbau der Energieversorgung auf „100 Prozent erneuerbare Energien“. Das steht auch in der Koalitionsvereinbarung der sozialdemokratisch-grünen Minderheitsregierung, die am Freitag vereidigt worden ist. Wörtlich heißt es in einer Pressemitteilung der schwedischen Sozialdemokraten, dass der Staatskonzern Vattenfall „die Expansion von Braunkohle abbricht, die Frederik Reinfeld (bis vor der Wahl Premierminister in Schweden) zugelassen hat“. Das würde bedeuten, dass die umstrittene Erweiterung der Braunkohletagebaue Welzow-Süd II in Brandenburg und Nochten II in Sachsen zumindest nicht mehr von Vattenfall weiter betrieben werden dürften. Der Nachsatz allerdings lautet, genauere Informationen zu schon getätigten und laufenden Investitionen könne man erst liefern, wenn man als Regierung Zugriff darauf habe.

Was heißt das für die geplanten neuen Braunkohletagebaue?

In welche Kategorie aber fallen die geplanten Braunkohletagebaue Nochten II, Welzow-Süd II und Jänschwalde-Nord?  Die schwedische Regierung war am Freitag nicht in der Lage darauf eine konkrete Antwort zu geben. Dort müssen erst einmal die Zuständigkeiten geregelt werden. Der Pressesprecher der Sozialdemokraten, Håkan Gestrin, sagte, er wisse leider nicht, ob Vattenfall in den Bereich des Wirtschafts- oder des Energieministeriums fallen werden. Im Büro des am Freitag vereidigten sozialdemokratischen Wirtschaftsministers Mikael Damberg hieß es, man sei sich noch nicht im Klaren darüber, ob man für Vattenfall zuständig sei.

Auch bei den Grünen, die im Wahlkampf erklärt hatten, im Falle eines rot-grünen Wahlsiegs dem Stopp der Braunkohlepläne in Deutschland allerhöchste Priorität einzuräumen, hält man sich bedeckt. „Im Augenblick kann ich Ihnen keine weiteren Einzelheiten geben als das, was im Energieabkommen steht, und dem kurzen Satz der Regierungserklärung.  "Es ist noch zu früh, um Ihre Frage zu Nochten II, Welzow-Süd II oder Jänschwalde-Nord zu beantworten“, teilte die Sprecherin der Grünen, Hanne Simonsen, mit.

In seiner ersten Regierungserklärung sprach Löfven die Braunkohle nicht direkt an. Aus schwedischen Koalitionskreisen heißt es, dass die deutschen Sozialdemokraten in der Braunkohlefrage Druck auf ihre schwedischen Parteifreunde gemacht haben sollen. Was die Einigung der neuen Regierungsparteien in Stockholm für die bestehenden Braunkohletagebaue und Braunkohlekraftwerke bedeuten wird, ist bisher noch nicht klar. Denn eine Energiekommission soll in den kommenden Monaten so etwas wie einen „schwedischen Energiekonsens“ aushandeln, den auch die konservativen Parteien mittragen können sollen. Teil dieser Vereinbarung dürfte auch sein, in welchem Tempo Vattenfall aus der Braunkohle aussteigen kann und soll. Konsens besteht in Schweden aber drüber, die Kohlesparte nicht zu den Klimaschutzzielen passt – wenn mit der Braunkohle mehr klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) ausgestoßen wird als in ganz Schweden.

Was bedeutet das für den staatlichen Energiekonzern Vattenfall?

Als Magnus Hall im Mai erfuhr, dass er den Vattenfall-Konzern künftig lenken sollte, sagte er: „Ich werde diese Aufgabe mit tiefer Demut übernehmen, da Vattenfall ein Unternehmen ist, das eine unfassbar wichtige Rolle in der Gesellschaft spielt.“ Zwei Tage vor der neuen schwedischen Regierung hat Hall nun das Ruder bei Vattenfall übernommen. Hall war zuvor 29 Jahre lang beim Holz- und Papierkonzern Holmen beschäftigt, zuletzt als Chef. Das Energiegeschäft ist neu für ihn. Aber eines konnte er der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg schon an seinem ersten Arbeitstag sagen: „Die Profitabilität einer Art der Stromerzeugung zu senken, würde die verfügbaren Mittel für Neuinvestitionen in erneuerbare Energien reduzieren.“ Damit bezog sich Hall zwar auf das andere große energiepolitische Projekt der neuen schwedischen Regierungskoalition: den langsamen Ausstieg aus der Atomenergie. Aber für die Stromerzeugung aus der Braunkohle gilt ähnliches. In Deutschland verdient Vattenfall sein Geld hauptsächlich mit der Braunkohleverstromung. Seit ein paar Jahren bemüht sich Vattenfall auch außerhalb Schwedens um einen Imagewechsel. In diesem Jahr hat Vattenfall gemeinsam mit den Stadtwerken München in der Nordsee den Offshore-Windpark Dan Tysk errichtet und mit Sandbank ebenfalls in der Nordsee mit dem Bau eines weiteren Offshore-Windparks begonnen. In Schweden produziert Vattenfall bisher etwa die Hälfte des Stroms aus Wasserkraft, rund 45 Prozent stammen aus Atomkraft. Neben Vattenfall betreibt auch Eon in Schweden

Was bedeutet das für die Braunkohleförderung in Brandenburg und Sachsen?

Die Pläne der neuen schwedischen Regierung für einen Komplettumbau Vattenfalls auf Erneuerbare könnten das Ende der Braunkohle in der Lausitz einläuten – egal wie. Nach Einschätzung von Experten in Schweden dürfte es durch die Neuausrichtung keine neuen Tagebaue geben. Dann würden die bestehenden Gruben und das Geschäft bis 2030, längstens bis 2040 auslaufen. Dass Vattenfall einen Käufer dafür findet, gilt als ausgeschlossen. Auch Brandenburgs rot-rote Landesregierung hatte bereits damit begonnen, Szenarien für die Übernahme der Kohlesparte zu entwickeln. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) schloss zu Jahresbeginn eine Übernahme der Kraftwerke und Tagebaue durch das Land nicht aus. Aktuell bekäme Vattenfall dem Vernehmen nach eine Summe von zwei Milliarden Euro für seine Kohlesparte.

Zunächst einmal aber wiegelt Vattenfalls deutsche Braunkohle-Tochter ab und zieht sich auf Formulierungen zurück, sie sieht keinen Widerspruch zwischen der Ankündigung aus Stockholm und ihren Tagebauplänen in der Lausitz. Die Erweiterung Braunkohlegeschäfts, also eine Steigerung der Produktion sei nicht geplant, die neue Tagebauen dienten der Bestandsabsicherung. Ein Sprecher des brandenburgischen Wirtschaftsministeriums verwies am Freitag darauf, dass in Schweden zunächst Details zu neuen Vorgaben für Vattenfall geklärt werden müssten. „Im übrigen wird über die weitere Nutzung der Braunkohle in Deutschland entschieden und nicht in Schweden“, sagte der Sprecher.

Was bedeutet die Braunkohle für die Region?

Die Lausitz ist das zweitgrößte Braunkohlerevier in Deutschland – und Vattenfall ist mit seinen Kraftwerken und Tagebauen der größte Arbeitgeber in der strukturschwachen Region. Wieviele Jobs es tatsächlich sind, die von der Braunkohle abhängen, darüber gehen die Angaben auseinander. Selbst die Landesregierung hat kaum belastbare Erkenntnisse über die wirtschaftliche Bedeutung der Braunkohleförderung und -verstromung für die Lausitz. Konkrete Angaben zur Bruttowertschöpfung, Steuereinahmen und Beschäftigungseffekten gibt es nicht. Zwei Studien des Prognos-Instituts für Vattenfall und Brandenburgs Wirtschaftsministerium aus den Jahren 2011 und 2012 geben an, dass die Wertschöpfung durch die Braunkohle in Brandenburg jährlich rund 1,3 Milliarden Euro beträgt.

Viele Kommunen verweisen auf die Steuereinnahmen durch Vattenfall für die Kommunen, hinzu kommt das Engagements des Konzerns für Sport und Kultur. Er ist für viele auch identitätsstiftend. Mehr als hundert Jahre Braunkohleabbau lassen nicht nur in der Landschaft ihre hässlichen Spuren, sondern haben auch ganze Generationen geprägt. Schon die Wiedervereinigung war ein Einschnitt. Noch in der DDR hatte es 17 aktive Tagebaue in der Lausitz gegeben. Während die marode Wirtschaft rund herum zusammenbrach, blieb die Braunkohleförderung. Heute betreibt Vattenfall noch fünf aktive Tagebaue und drei Kohlekraftwerke, sie gehören teils zu den dreckigsten in Europa. Trotz Energiewende in Deutschland hat Vattenfall sogar mehr Strom aus Braunkohle produziert und damit mehr CO2 ausgestoßen. 2013 baut der Konzern 63,6 Millionen Tonnen Braunkohle ab, 1,2 Millionen Tonnen mehr als im Vorjahr.

Was hat Vattenfall geplant?

Aktuell plant Vattenfall drei neue Tagebaue. Erst im Sommer hatte Brandenburgs rot-rote Landesregierung grünes Licht für den Tagebaus Welzow-Süd II gegeben, der 2026 in Betrieb gehen soll. Parallel läuft ein Braunkohleplanverfahren für Jänschwalde Nord. In Sachsen genehmigte das Innenministerium im Frühjahr den Tagebau Nochten II. Durch diese Pläne sind 3000 Menschen von einer Umsiedlung bedroht. Noch immer im Gespräch ist ein Neubau des Kraftwerks Jänschwalde. Schon jetzt ist klar, dass Brandenburg seine Klimaschutzziele wegen der Kohle nicht einhalten kann.

Wie reagiert die brandenburgische Politik?

Die Reaktionen vor allem der Koalitionäre waren vielsagend. Die SPD befürchtet wie auch die CDU das schlimmste, die Linke kann sich zurücklehnen, die Grüne fordern aktive Strukturpolitik: einen Plan B für die Zukunft der Lausitz nach der Kohle. SPD-Landtagsfraktionschef Klaus Ness sagte: „Wir erwarten, dass die neue schwedische Regierung so schnell wie möglich für Klarheit sorgt, welche Unternehmensziele Vattenfall künftig verfolgen soll.“ SPD-Fraktionschef Klaus Ness unterstrich am Freitag die Bedeutung der Braunkohle in der Lausitz: „Wir brauchen die Braunkohle auch in den kommenden Jahren für eine stabile und bezahlbare Energieversorgung.“ Im übrigen sichere die Kohleverstromung „vernünftige Energiepreise und Tausende gut bezahlter Arbeitsplätze“. Ness kündigte an, in den kommenden Wochen mit seinen Kollegen im neuen schwedischen Reichstag zu reden. Die Linke, mit der die SPD nach der Landtagswahl im September derzeit eine Neuauflage von Rot-Rot verhandelt und die einen Kohleausstieg bis 2040 will, hielt sich zurück. Noch vor der Wahl blieb ihr für den Erhalt der Koalition keine Wahl, als einem neuen Tagebau zuzustimmen. Nun wird das Kohlethema im Koaltionsvertrag einfach umschifft: Einen Zeitplan für den Ausstieg gibt es nicht, aber auch keine Festlegung auf ein neues neues Braunkohle-Kraftwerk und neue Tagebaue. Darüber wollen SPD und Linke erst nach 2015 entschieden.

In Sachsen übrigens lobt die Linke die schwedische Energiewende. Der Fraktionsvorsitzende der Linken im sächsischen Landtag, Rico Gebhardt, sagte am Freitag: "Ich begrüße es, dass die neue schwedische Regierung mit ihrer Prioritätensetzung den künftigen sächsischen Koalitionspartnern CDU und SPD ein gutes Vorbild gibt. Möge es wirken. CDU und SPD sind nach dem Kurswechsel für Vattenfall in der Pflicht."

Steigt Schweden jetzt doch aus der Atomenergie aus?

1980 hatten die Schweden in einem Referendum den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. 2010 entschied die damals konservative Parlamentsmehrheit, dass alte Atomkraftwerke durch neue ersetzt werden dürften. Die neue rot-grüne Minderheitsregierung hat sich nun entschieden, diese Politik wieder zu beenden. Die Neubauplanungen von Vattenfall würden „unterbrochen“, haben SPD und Grüne in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Außerdem sollen die Sicherheitsauflagen und die Gebühren für die Atommüllentsorgung erhöht werden. Sie gehe davon aus, dass der Betrieb der vier ältesten von insgesamt zehn schwedischen Atomreaktoren dann „unwirtschaftlich“ werde, sagte die neue Umweltministerin Åsa Romson (Grüne). Die zwei alten Vattenfall-Meiler Ringhals 1 und 2 dürften ebenso wie die zwei alten Eon-Meiler Oskarshamm 1 und 2 bis 2018 vom Netz gehen. Die schwedischen Atomkraftwerke sind auf eine Laufzeit von etwa 40 Jahren ausgelegt worden. 2025 erreichen auch die meisten jüngeren Reaktoren ihre Altersgrenze.

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