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Ein Windrad wird in einem sächsischen Windpark gewartet.

© Hendrik Schmidt/dpa-ZB

Energiewende: Windkraftausbau droht 2019 ein Einbruch

In der ersten Ausschreibungsrunde für die Windenergie an Land haben unerwartet viele Bürgerenergiegesellschaften den Zuschlag erhalten. Das klingt gut, der Ausbau der Windkraft dürfte 2019 dadurch jedoch deutlich einbrechen. Kann die Regierung noch reagieren?

Auf den ersten Blick ein großer Erfolg: Bei der Ausschreibung für die Windenergie an Land gab es eine hohe Beteiligung, sie hat eine Reduktion der Einspeisevergütung um rund 30 Prozent gebracht und was niemand öffentlich prognostiziert hätte: Die Zuschläge gingen fast ausschließlich an so genannte Bürgerenergiegesellschaften. Die Bürgerwindgesellschaften haben die für sie erleichterten Teilnahmebedingungen voll genutzt und 96 Prozent der Ausschreibung „gewonnen“, das sind 775 von 807 Megawatt.

Doch genau das wird jetzt zum Problem für den Ausbau der Windkraft in Deutschland. Denn diese Projekte (und die weiteren 2000 Megawatt, die in diesem Jahr ausgeschrieben werden), sollten nach Plänen der Bundesregierung in zwei Jahren in Betrieb gehen.

Energiewende gerät aus dem Zeitplan

Mit dem Erfolg der Bürgerwindgesellschaften ist diese Planung voraussichtlich nicht mehr zu halten. Denn die Bürgerwindparks brauchten vorab keine immissionsschutzrechtliche Genehmigung, um an den Ausschreibungen teilzunehmen. Und sie können sich mit der Inbetriebnahme Zeit lassen. Der Gesetzgeber gewährt ihnen eine Umsetzungsfrist bis 2022 (54 Monate). Projekte von anderen Investoren müssen ihre Anlagen dagegen schon bis 2019 (binnen 24 Monaten) ans Netz anschließen.

Diesen Zeitraum werden die Bürgergesellschaften voll ausnutzen. Denn während ihnen mit dem Zuschlag in der Ausschreibung ein stabiler Tarif garantiert ist, sinken die Investitionskosten für Windenergieanlagen mit jedem Jahr. Die 5,58 sowie 5,78 Cent pro Kilowattstunde, zu denen die Zuschläge erfolgt sind, gelten heute als nicht wirtschaftlich; die Kosten liegen 2017 eher zwischen 6 und 6,5 Cent pro Kilowattstunde.

Mit ihren Geboten haben die Bürgerenergiegesellschaften auch auf eine positive Kostenentwicklung spekuliert. Jetzt haben sie einen hohen Anreiz, die volle Realisierungsfrist von 54 Monaten bis 2022 auszuschöpfen. Ob diese unternehmerische Wette auf sinkende Anlagenpreise aufgeht, ist naturgemäß offen.

Sicher ist: Der Zeitplan der Bundesregierung - mit einem Zubau der Windenergie von 2800 Megawatt im Jahr 2019 - gerät aus den Fugen.

Genehmigungsquote von nur 60 Prozent ist denkbar

Das zweite Problem liegt in der Planungsunsicherheit: Niemand weiß, wie viele der jetzt bezuschlagten (Bürger-)Windparks tatsächlich so weiterentwickelt werden können, um ein Genehmigungsverfahren zu beginnen. Und bei den Projekten, für die ein Genehmigungsverfahren begonnen wird, ist noch völlig offen, ob sie überhaupt genehmigungsfähig sind. Erfahrungsgemäß können nur etwa 70 bis 80 Prozent in der geplanten Form realisiert werden.

Wie hoch die Realisierungsquote der jetzt bezuschlagten Windparks sein wird, kann wegen dieser doppelten Unsicherheit heute niemand genau sagen. Die Bundesnetzagentur weist selber darauf hin, dass „belastbare Aussagen zur Realisierungsrate und der damit einhergehenden Zielerreichung des Windausbaupfades erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt möglich“ sein werden. Aber wenn – was wahrscheinlich ist – auch in den kommenden Ausschreibungen die Erfolgsquote der Bürgerwindgesellschaften hoch bleibt, ist eine niedrige Realisierungsquote sicher. Ob die eher bei 60, 70 oder 80 Prozent liegt, bleibt zwar Spekulation. Aber ein klaffendes Loch im dringend benötigten Ausbau der Erneuerbaren ist garantiert.

Folgt bei den Bürgerenergiegesellschaften ein böses Erwachen?

Die Realisierungsquote hängt zusätzlich noch an der Frage, wer sich tatsächlich hinter den „Bürgerenergiegesellschaften“ verbirgt. Bisher mussten die Teilnehmer in der Auktion lediglich eine Eigenerklärung abgeben, ohne konkret nachzuweisen, dass die gesetzlichen Anforderungen an eine Bürgerenergiegesellschaft erfüllt sind. Es scheint aber klar, dass etablierte mittelständische Planer der Windenergiebranche Kooperationsformen mit Bürgerenergiegesellschaften eingehen. Die Planer können dabei ihre Kompetenz mit den Vorteilen verbinden, die das Gesetz den Bürgerenergiegesellschaften in der Ausschreibung gewährt. Wird die Bundesnetzagentur diese Partnerschaften anerkennen? Das Ergebnis ist zunächst mal offen.

Professor Martin Maslaton ist Rechtsanwalt und betreibt in Leipzig seine eigene Kanzlei. Er ist Experte für Erneuerbare-Energien-Recht.
Professor Martin Maslaton ist Rechtsanwalt und betreibt in Leipzig seine eigene Kanzlei. Er ist Experte für Erneuerbare-Energien-Recht.

© Maslaton

Fristversäumung gefährdet deutsche Klimaziele

Eine mögliche niedrige Realisierungsquote hat durch eine weitere Regelung besonders drastische und dauerhafte Folgen. Anders als in den Ausschreibungen zur Photovoltaik ist es bei der Windenergie nicht vorgesehen, das nicht realisierte Ausschreibungsvolumen einfach späteren Ausschreibungsrunden zuzuschlagen sind. Wenn Zuschläge wegen Nichtrealisierung erlöschen, ist das durch sie gebundene Ausschreibungsvolumen für immer verloren.

Wenigstens hier muss der Gesetzgeber angesichts des aktuellen Ausschreibungsergebnisses schnell und mit hoher Priorität nachbessern. Gesetzestechnisch wäre das leicht zu realisieren.

Sicherer Gewinner des Ausbaulochs: Kohlekraftwerke

Ein Gewinner aus dem verminderten Ausbau der Windkraft in den Jahren ab 2019 ist ausgemacht: Die Betreiber von Kohle- und Atomkraftwerken müssen mit weniger Konkurrenz von Strom aus Erneuerbaren im Netz kämpfen, sie werden mehr Geld für ihren Strom bekommen. Verlierer ist die Umwelt: Denn eigentlich müsste die Bundesregierung schnellstens die Kohleverstromung drosseln, wenn sie die Klimaziele von minus 40 Prozent für 2020 noch erreichen will. Ob die alte Stromwirtschaft hier einen Zufallstreffer gelandet oder hinter den Kulissen die Strippen gezogen hat, bleibt eine spannende Frage.

Prof. Dr. Martin Maslaton, Maslaton Rechtsanwaltsgesellschaft GmbH Leipzig, Fachanwalt und Professor für das Recht der Erneuerbaren Energien an der TU Chemnitz. Sein Standpunkt ist am 7. Juni 2017 im Tagesspiegel-Politikbriefing Background Energie und Klima erstmals veröffentlicht worden.

Martin Maslaton

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