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Organspenden: Entscheidung fürs Leben

Drei von vier Deutschen sind bereit, nach ihrem Tod Organe zu spenden, wie eine aktuelle Studie belegt. Doch nur jeder Vierte hat einen Spenderausweis. Warum?

Rein umfragetechnisch besehen ist das Problem gar keines. 74 Prozent der Deutschen zwischen 14 und 75 Jahren, so ergab eine Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), stimmen einer Organ- und Gewebespende nach ihrem eigenen Tod zu. Diese Bereitschaft hat sich seit 2008 nochmals um sieben Prozentpunkte erhöht.

Tatsächlich aber sterben hierzulande statistisch jeden Tag drei Menschen, weil es zu wenig Organspender gibt. Und die Wartelisten werden immer länger. Rund 12 000 Menschen hoffen derzeit auf eine lebensrettendes Organ, doch jährlich stehen nur 4000 Organe zur Verfügung. Auf eine Million Menschen kommen in Deutschland 15 Spender; in Österreich sind es 25 und in Spanien sogar 35. Trotz ihrer theoretischen Bereitschaft nämlich besitzt bisher gerade mal ein Viertel der Deutschen einen Organspendeausweis. Auch diese Zahl ist in den vergangenen zwei Jahren zwar um acht Prozentpunkte gestiegen, doch gemessen am Bedarf ist sie immer noch viel zu niedrig.

Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) sieht dafür vor allem zwei Gründe. Erstens fehlendes Wissen und zweitens die Hemmung, sich mit Tod und eigenem Sterben intensiver zu beschäftigen. Mit einer deutschlandweiten Kampagne will die Bundeszentrale deshalb nun für mehr Organspenden werben. In Einkaufzentren und bei Großveranstaltungen sollen die Bürger verstärkt mit dem Thema konfrontiert und informiert werden, kündigte BZgA-Direktorin Elisabeth Pott am Dienstag in Berlin an.

Die dazu durchgeführte Umfrage gibt Rösler in Sachen Informationsbedarf recht. 50 Prozent der Deutschen fühlen sich in Sachen Organ- und Gewebespende „eher schlecht“, drei Prozent „gar nicht“ informiert. Auch Verdrängung des persönlich beängstigenden Themas scheint eine entscheidende Rolle zu spielen. 62 Prozent begründeten den fehlenden Besitz eines Organspendeausweises damit, dass sie sich „jetzt noch nicht“ entscheiden könnten oder wollten. Und 34 Prozent der Befragten – interessanterweise deutlich mehr Männer als Frauen – gaben offen zu, sich mit dem Thema Tod nicht auseinandersetzen zu wollen.

Allerdings zeigen die Antworten auch, dass sich viele Bürger ohne Spenderausweis sehr wohl mit dem Thema befasst haben – und die Organentnahme bewusst ablehnen. Neben grundsätzlichen Bedenken spielt hier vor allem erhebliches Misstrauen gegen den Medizin- und Transplantationsbetrieb eine Rolle. Sie hätten Angst, dass von den Medizinern für potenzielle Organspender am Ende „nicht mehr alles getan“ werde, sagten 34 Prozent. Und 47 Prozent gaben an, einen „Missbrauch durch Organhandel“ zu befürchten.

Andere Ängste – dass der Sterbeprozess wegen der Organentnahme künstlich verlängert werde, dass Angehörige nicht würdig Abschied nehmen könnten oder gar, dass man Organspender womöglich zu früh für tot erkläre – wurden zwar nicht abgefragt. Dass sie, bewusst oder unbewusst, die Spendenbereitschaft schmälern, scheint den Kampagnenbetreibern aber bewusst zu sein. So widmet sich ihre Werbebroschüre neben den strengen Kriterien für die Organverteilung zu einem großen Teil auch der Frage, wann ein Mensch für tot erklärt wird und wie die Organentnahme im Detail abläuft.

Die Sorge kommt nicht von ungefähr. Ärzte und Wissenschaftler diskutieren nach wie vor über den Zeitpunkt der Organentnahme. Nach den Richtlinien der Bundesärztekammer ist der Tod erst sicher eingetreten, wenn die gesamte Hirnfunktion irreversibel ausfällt. Ohne diese Diagnose müssen mindestens drei Stunden bis zur Organentnahme vergehen. In den USA dagegen werden Spender teils schon wenige Minuten nach einem Herzkreislaufstillstand für tot erklärt. Auch in vielen EU-Ländern – etwa Spanien, Italien, Frankreich, Österreich – finden Organe von Herztoten ohne Hirntodnachweis Verwendung. In Deutschland ist das verboten, Organe sogenannter Non-Heart-Beating-Donors aus anderen Ländern dürfen nicht verwendet werden.

Ein rechtlicher Hebel für mehr Organspenden könnte eine Widerspruchslösung sein, wie sie in anderen EU-Ländern praktiziert wird. Ärzte können dann allen Hirntoten Organe entnehmen, sofern die Betroffenen zuvor nicht widersprochen haben. Rösler hält von einer solchen Änderung jedoch wenig. Wesentlich sei vor allem der Umgang mit Organspendern und ihren Angehörigen. So gebe es beispielsweise in spanischen Kliniken weit mehr Transplantationsbeauftragte als in Deutschland.

Mit der religiösen Einstellung lässt sich übrigens beides begründen, Spendenbereitschaft wie -verweigerung. 27 Prozent der potenziellen Spender begründen ihre Entscheidung mit praktizierter Nächstenliebe, neun Prozent der Nichtspender machen „religiöse Motive“ für ihre Ablehnung geltend. Bleibt das egoistische Motiv. 95 Prozent der Ausweisinhaber äußern die Hoffnung, im Notfall auch selber eine Organ zu erhalten. Die Chancen dafür stehen gut. Rein statistisch kommen auf einen Spender drei Empfänger. Allerdings spielt bei der Zuteilung der Besitz eines Organspendeausweises keine Rolle.

Einen umfangreichen Schwerpunkt zum Thema Organspenden und Transplantationen bietet das Kliniksuch- und Beratungsportal des Tagesspiegels.

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