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Gefährdet. Für die flachen Inseln der Malediven ist der steigende Meeresspiegel ein massives Problem.

© AFP

Erderwärmung: Wie stark steigt der Meeresspiegel?

Die Welt erwärmt sich, die Eispanzer an den Polkappen schmelzen. Die Auswirkungen werden dramatisch sein.

Der Meeresspiegel steigt, das ist bekannt. Doch um den Anstieg tatsächlich zu sehen, muss man genau hinschauen. Der Satellitenexperte Steven Nerem von der University of Colorado hat das mit seinen Kollegen getan und die Messdaten von mehreren Satelliten zusammengeführt und analysiert. Für die vergangenen 25 Jahre ermittelten die Forscher eine durchschnittliche Erhöhung von etwa drei Millimetern im Jahr und berichteten darüber diese Woche im Fachmagazin der US-amerikanischen Akademie der Wissenschaften. In 100 Jahren würde sich das auf 30 Zentimeter summieren, doch dieser geradlinige Anstieg ist eine Illusion. „Es gibt keinen Grund, eine konstante Rate anzunehmen“, sagt der Ozeanograf Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Denn wenn sich die Welt erwärmt, dehnt sich das Wasser aus und die Gletscher schmelzen immer schneller.

Tatsächlich zeigen Steven Nerem und seine Kollegen auch, dass sich der Anstieg beschleunigt. Von einem Jahr auf das nächste ist es nicht viel, so dass die Messungen wirklich präzise sein mussten, um die Zunahme zu erfassen: Es geht beispielsweise von 3,00 auf 3,08 Millimeter. Doch im Laufe eines Jahrhunderts macht die Beschleunigung weitere 40 Zentimeter aus, sodass sich die Weltmeere im Durchschnitt um 70 Zentimeter heben dürften, wenn alles so weitergeht wie in den vergangenen 25 Jahren. Weil sie auch die mit den Messungen und Analysen verbundenen Ungenauigkeiten einberechnen, geben die Forscher ihre Prognose mit einer gewissen Spannweite an: Der Meeresspiegel liege am Ende des Jahrhunderts um 53 bis 77 Zentimeter höher als im Jahr 2005, schreibt Nerems Team.

Millionenstädte am Meer und Inselstaaten vor Problemen

Für viele Millionenstädte an der Küste dürfte das zum Problem werden: New York, Rio, Tokio, aber auch Bangkok, Kalkutta und Jakarta. In Miami drückt das Meer schon heute das Grundwasser nach oben. Auf den bergigen Fidschi-Inseln, wo fast alle Dörfer an der Küste liegen, werden schon die ersten in höhere Lagen umgesiedelt. Und natürlich sind flache Inselstaaten wie die Malediven gefährdet, wo seit einigen Jahren die Insel Hulhumalé aufgeschüttet wird, um Wohnungen für 240 000 Menschen auf erhöhtem Grund zu bauen.

Ein ähnliches Ergebnis wie Steven Nerem hat vor drei Jahren auch der Weltklimarat IPCC veröffentlicht, der in regelmäßigen Abständen den Stand der Klimaforschung zusammenfasst. In der Klimaforschung werden vier Szenarien genutzt, die unterschiedliche Annahmen über die Treibhausgase in der Atmosphäre machen. Daraus lassen sich in Computersimulationen die Temperaturen und schließlich die Auswirkungen auf den Meeresspiegel ableiten, und der Weltklimarat hat diese Ergebnisse gesichtet, bewertet und zusammengestellt. Im pessimistischsten Szenario wächst die Wirtschaft ungebremst weiter und die CO2-Emissionen steigen parallel dazu. Das würde die Erde in diesem Jahrhundert um drei bis vier Grad erwärmen – und den Meeresspiegel um bis zu 80 Zentimeter steigen lassen. Steven Nerem und sein Team haben dieses pessimistische Szenario nun für die vergangenen 25 Jahre mit genauen Messungen bestätigt.

Darf man die Entwicklung des vergangenen Vierteljahrhunderts in die Zukunft projizieren, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie es werden könnte, wenn der Klimaschutz vernachlässigt wird? Man darf, aber dann würde man eine unbekannte Größe vernachlässigen: Grönland und die Antarktis könnten ihr Eis noch schneller verlieren, als es die Computersimulationen derzeit vorsehen. Darauf deuten erste Studien hin, aber es gibt bisher keinen wissenschaftlichen Konsens dazu. Der Meteorologe Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (Geomar) in Kiel befürchtet jedoch, dass die Zukunftsszenarien die Entwicklung unterschätzen könnten. „Bei einem beschleunigten Masseverlust der Eispanzer könnte der Meeresspiegel auch um einen Meter steigen“, sagt er. „Es gibt eine riesige Unsicherheit nach oben.“

Andere Effekte führen dazu, dass sich das Land senkt

Aber auch die Folgen eines Anstiegs um 70 Zentimeter wären beträchtlich. Einige tief gelegene Entwicklungsländer und einige Inselstaaten würden so häufig und so stark überschwemmt werden, dass die Reparaturen und Vorsorgemaßnahmen einige Prozent ihres Sozialprodukts kosten dürften, berichtet der Weltklimarat. In manchen Ländern stehe sogar die territoriale Integrität auf dem Spiel. Vor allem in Nordamerika und Asien lägen die Risiken durch den Anstieg des Meeresspiegels in einer vier Grad wärmeren Welt zwischen hoch und sehr hoch. Für Europa schätzt sie der Weltklimarat zwischen mittelstark und hoch ein.

Die 70 Zentimeter verteilen sich sehr ungleich auf der Welt. In der philippinischen Hauptstadt Manila sind die Pegel im 20. Jahrhundert zum Beispiel deutlich schneller gestiegen als im globalen Durchschnitt: um mehr als einen halben Meter. Das gehe auf eine Veränderung der Passatwinde zurück, erklärt Stefan Rahmstorf, die das Wasser des Pazifiks in westliche Richtung drücken. Auch deshalb war der Taifun Haiyan so verheerend, als er im November 2013 auf die Inselwelt der Philippinen traf. Die skandinavischen Länder sind hingegen besser geschützt, weil sich die Landmassen dort immer noch heben, seit die Eispanzer, die während der Eiszeit auf ihnen lasteten, größtenteils verschwunden sind.

Andere Effekte führen dazu, dass sich das Land senkt: beispielsweise die Förderung von Öl und Gas. Auch die Erosion macht sich bemerkbar. So wäscht das Meer an den Küsten beständig Sand und Erdreich weg, während viele Flüsse wegen der Staudämme in ihrem Lauf weniger Sedimente aus dem Landesinneren nachliefern. Und nicht zuletzt arbeitet die Erde selbst: Das Beben, das im März 2011 die Küste Japans und das Atomkraftwerk Fukushima verwüstete, senkte das Land zum Beispiel mancherorts um mehr als einen Meter ab. In all diesen Regionen würde der Klimawandel Probleme verschärfen, die sich ohnehin aus dem Absinken des Bodens ergeben.

Im Bestfall steigt der Meeresspiegel um 30 bis 50 Zentimeter

An welcher maximalen Wasserhöhe sollte sich der Küstenschutz orientieren? Das hänge davon ab, welche Risiken man bereit sei zu akzeptieren, schreibt der Weltklimarat. Die Niederlande stellen sich beispielsweise auf 1,3 Meter bis zum Jahr 2100 ein. Die Deiche und Sperranlagen müssen schließlich auch bei Springfluten halten – und die dürften ebenfalls höher ausfallen als bisher. Wenn bei Flut das Wasser aus dem Atlantik in die flache Nordsee strömt, wird es etwas gebremst. Steigt der Meeresspiegel, sinkt die Bremskraft. Zudem könne der Wind in tieferem Wasser höhere Wellen auftürmen, warnt Stefan Rahmstorf – gerade in der Deutschen Bucht. An der Ostküste der USA habe der bisherige Anstieg des Meeresspiegels aus Überflutungen, die früher alle 500 Jahre vorkamen, solche gemacht, die nun alle 25 Jahre auftreten können.

Was aber würde geschehen, wenn der Klimaschutz verschärft und der Klimawandel gebremst wird? Vor zwei Jahren hat die Staatengemeinschaft in Paris einen Weltklimavertrag beschlossen und darin festgelegt, den Temperaturanstieg seit Beginn der Industrialisierung auf deutlich unter zwei Grad zu halten. Zum aktuellen Wert von bereits einem Grad darf also kein weiteres Grad hinzukommen. Das entspricht dem optimistischsten Szenario des Weltklimarats. Auch in diesem Szenario steigt der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts um 30, 40 oder gar 50 Zentimeter. Doch Mojib Latif fragt: „Wollen wir es darauf begrenzen oder nicht?“ Und er fügt hinzu: „Derzeit ist politisch nicht abzusehen, dass wir die Zwei-Grad-Marke einhalten.“

Mehr über das Ansteigen des Meeresspiegels kann man auch bei der Berlinale im Programm Native - Indigenous Life and Global Climate Change erfahren.

Alexander Mäder

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