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Proteste nach der Ermordung des früheren Präsidenten Rabbani. Es wäre sein Wunsch gewesen, weiter mit Taliban zu verhandeln, sagt Fouzi. Foto: Ahmad Masood/Reuters

© REUTERS

Politik: „Es gibt in ganz Afghanistan keine Gerechtigkeit“

„Es stimmt nicht, dass Taliban gegen Bildung für Mädchen sind“ Taliban Habibullah Fouzi, Mitglied des Hohen Friedensrats, über Fehler beim Wiederaufbau und die Chancen von Verhandlungen

Der Mordanschlag auf den Chef des Friedensrats hat die Hoffnung auf Fortschritte erschüttert. Wie geht es jetzt weiter?

Der Tod von Burhanuddin Rabbani ist ein sehr großer Verlust. Er war eine außerordentliche Persönlichkeit. Masoom Stanakzai, der bei dem Anschlag schwer verletzt wurde, wird in den nächsten Tagen aus Indien zurückkehren und dem Exekutivkomitee berichten.

Wie konnte der Attentäter bis ins Haus kommen?

Die beiden Gäste hatten gesagt, sie hätten eine wichtige Nachricht von Talibanführer Mullah Omar und der Quetta Schura (des höchsten Entscheidungsgremiums der afghanischen Taliban, das seinen Namen von der pakistanischen Stadt Quetta hat, Anm. der Redaktion). Rabbani war sehr enthusiastisch, dass er Frieden ermöglichen könnte, und das wollte er ganz persönlich schaffen. An diesem Tag sollte es einen großen Schritt vorangehen. Die beiden hatten eine CD und einen Brief von Mullah Omar bei sich. Masoom Stanakzai hatte das vorher geprüft.

Zeugen sagen, Herr Stanakzai habe den Sicherheitsleuten gesagt, sie sollten die beiden nicht kontrollieren, weil sie gut bekannt seien.

Das ist nicht wahr. Im Gegenteil, er hat gesagt, sie sollten durchsucht werden. Aber die Kontrollen in Rabbanis Haus sind nicht effektiv. Dort gibt es keine Metalldetektoren, es werden nur Taschen durchsucht. Die Technologie ist nicht auf dem neuesten Stand, hätten wir sie gehabt, wäre die Bombe im Turban entdeckt worden. Wir brauchen jetzt unbedingt Metalldetektoren.

Wie haben die Quetta Schura und Mullah Omar reagiert?

Wir wissen nicht, ob es eine Verschwörung war oder die beiden wirklich Abgesandte der Quetta Schura waren. Sie haben das auf ihrer Webseite weder bestätigt noch dementiert.

Mullah Omar und die Quetta Schura gelten als Schlüssel, bisher haben sie Gespräche aber abgelehnt.

Mullah Omar ist der spirituelle Führer der Taliban, ihr Emir. Im Islam müssen die Menschen ihrem Emir folgen. Frieden wird es nur mit Mullah Omar geben. Wenn Mullah Omar und die Quetta Schura an den Verhandlungstisch kommen, ist das ein großer Schritt für die Zukunft.

Warum sind sie so wichtig?

Es herrscht eine große Distanz zwischen der Bevölkerung und der afghanischen Regierung. Normalerweise hilft eine Regierung ihren Leuten. Als die ausländischen Truppen kamen, hatten die Menschen gehofft, ihre Grundbedürfnisse würden erfüllt: Essen, Bildung, Arbeit. Aber nichts davon ist erfüllt worden.

Das heißt?

Die Leute trauen den ausländischen Truppen mehr zu als ihrer eigenen Regierung. Die Regierung hat nichts zu sagen. Es kommt viel Geld aus dem Ausland, aber nur zehn Prozent davon gehen an die afghanische Regierung, das meiste geben die NGOs parallel aus. Alles wird von den ausländischen Truppen gemacht. In den ganzen zehn Jahren haben sie keine Regierung aufgebaut, nicht Verteidigung, nicht Innen, nicht Justiz. In Städten wie Kabul hat sich eine Menge verbessert. Aber auf dem Land, besonders in den Provinzen, wo die Taliban stark sind, herrscht Armut. Zuerst müssen diese Menschen Hilfe bekommen, sonst ist es unmöglich, Frieden zu schaffen.

Wie stellen Sie sich das vor?

Eine starke Regierung würde alle Afghanen einbeziehen. Aber es gibt kein Regierungssystem, das Sicherheit, Frieden, Recht und Arbeit garantieren könnte. Sehen Sie sich die Regierung an: Wenn ein Minister wechselt, wechseln alle Verantwortlichen sofort mit. Da hat niemand Interesse daran, für soziale Rechte oder Gerechtigkeit zu kämpfen. Es gibt in ganz Afghanistan keine Gerechtigkeit. Nicht ein einziges Problem können Sie ohne Korruption lösen. Die Menschen erzählen Ihnen, sie müssen selbst im Justizministerium bezahlen, wenn sie ein schon verbrieftes Recht durchsetzen wollen. Wie viel Geld ist nach Afghanistan geflossen, 70 Milliarden? Doch wo ist der Frieden? Sie können in manche Provinzen nicht einmal sicher auf der Straße fahren. Wo ist das Geld geblieben?

Was muss sich ändern?

Sitze dürfen nicht an Freunde und nach Parteizugehörigkeit vergeben werden, sondern nach den Fähigkeiten der Leute. Und ohne Verhandlungen mit den Taliban geht es nicht. Die Regierung und die Welt müssen damit beginnen.

Viele denken nach dem Anschlag allerdings, dass diese Gespräche zu Ende sind, ehe sie begonnen haben.

Es wäre Rabbanis Wunsch gewesen, weiterzumachen. Er hatte gerade Hoffnung auf einen großen Durchbruch. Wir müssen Pakistan überzeugen, dabei zu helfen. Wir haben gute Beziehungen. Die Weltgemeinschaft sollte auch Saudi-Arabien bitten, seinen religiösen Einfluss geltend zu machen.

Was heißt helfen, militärischer Druck oder Gespräche?

Pakistan wird wissen, wie es helfen kann und was dafür besser ist.

Und dann?

Die Welt muss die Hindernisse für Gespräche mit den Taliban aus dem Weg räumen. Sie müssen die schwarze Liste für Taliban abschaffen. Ich selbst stand noch bis Juli auf der Liste, dabei bin ich Mitglied im Friedensrat. Und es muss eine Adresse für die Taliban geben. Wo das ist, ist nicht wichtig, Es ist nur nötig, dass es einen Ort gibt, wo die Taliban Immunität genießen. Dann können sie auch zu Gesprächen kommen. Frieden ist unsere religiöse Verpflichtung.

Im Moment aber steht alles still. Was erwarten Sie für die Afghanistan-Konferenz in Bonn Anfang Dezember?

Die Konferenz ist sehr wichtig. Die Menschen knüpfen daran hohe Erwartungen. Das größte Problem der ersten Konferenz in Bonn war, dass keine Taliban eingeladen waren, nur Nordallianzmitglieder. Deshalb haben wir heute die Probleme. Die Taliban müssen nach Bonn kommen, wir brauchen dort diesmal einen ihrer Vertreter.

Sie glauben nicht, dass die Taliban teilnehmen werden?

Wenn wir es nicht schaffen sollten, die kämpfenden Taliban zu den Verhandlungen zu bringen, sollten andere aus Afghanistan eingeladen werden. Wir haben hier viele wichtige Taliban. Ich kann ihnen allein fünf aus dem Friedensrat nennen, etwa den früheren Vizeminister für höhere Bildung, den ehemaligen Taliban-Vertreter bei den UN, mich. Mich hat niemand gefragt. Aber wenn, ich würde kommen.

Und jenseits des Rates?

Der frühere Talibanbotschafer in Pakistan, deren Außenminister und deren Handelsminister sind wichtige Leute. Sie alle spielen aber unglücklicherweise weder in der Regierung noch sonst irgendeine wichtige Rolle für die Leute. Im Übrigen ist es sehr einfach, für alles die Taliban verantwortlich zu machen. Wir haben eine Menge Probleme, aber für alle werden die Taliban verantwortlich gemacht. Es gibt auch Diebe und Räuber, die ihre Aktionen den Taliban anlasten. Das ist die Realität. Auch die internationale Gemeinschaft hat Fehler gemacht. Sie hat gar nicht versucht, den Weg zu ebnen. Die Deutschen könnten übrigens versuchen, Mullah Tayyab Agha nach Bonn zu holen. Er war schon zu Gesprächen in Deutschland und steht Mullah Omar sehr nah.

Die Deutschen sind Gastgeber, die Konferenz liegt in Händen der afghanischen Regierung von Präsident Karsai.

In Afghanistan gibt es einen Witz: Kommt ein Mann ins Haus seines Gastgebers. Er wird gefragt: Möchten sie Reis oder Fleisch? Er antwortet: Haben Sie nicht zwei Töpfe, dass sie beides kochen können?

Viele Leute meinen, der Friedensrat mit all seinen früheren Warlords ist selbst dem Krieg näher als dem Frieden.

Wir sollten nicht auf einzelne Leute zeigen. Die Afghanen wollen Frieden, in dem Prozess helfen wir. Solange es keinen Frieden gibt, gibt es kein menschenwürdiges Leben.

Wollen die Taliban Frieden?

Ohne sie zu hören, wissen wir nicht, was sie wollen. Sie müssen an den Verhandlungstisch.

Viele Menschen befürchten, dass die Taliban Bildung für Mädchen wieder verbieten wollen.

Es stimmt nicht, dass Taliban gegen Bildung für Mädchen sind. Das ist ein Missverständnis. Im Islam ist Bildung für alle wichtig. Das erste Wort im Koran heißt ecra – lese! Die Taliban wollen nur keine gemischte Ausbildung von Mädchen und Jungen. Außerdem haben sich die Taliban verändert.

Deshalb könnten sie in die Regierung?

Wir müssen ihnen doch nicht die ganze Regierung übergeben. Aber sie könnten bei Wahlen antreten. Wir brauchen die Taliban für den Frieden.

Habibullah Fouzi ist führendes Mitglied des Hohen Friedensrats in Afghanistan. Das von Präsident Hamid Karsai 2010 eingesetzte Gremium soll den Friedensprozess voranbringen und Kontakte zu ranghohen Talibanführern knüpfen. Der Chef des Rates, Ex-Präsident Burhanuddin Rabbani, wurde erst vor wenigen Wochen von einem Selbstmordattentäter in seinem Haus ermordet. Habibullah Fouzi, der für Mullah Omars Talibanregierung Botschafter in Saudi-Arabien war, nahm 2005 ein Amnestieangebot an. Tagesspiegel-Redakteurin Ingrid Müller sprach mit Fouzi in Kabul im Vorzimmer des noch mit weiß-blauen Klebestreifen versiegelten Büros Rabbanis in dessen ehemaligem Amtssitz.

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