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EU-Ratschef Donald Tusk.

© Mike Wolff

EU-Spitzentreffen: Tusk will keine langen Gipfel-Nächte mehr

Früher anfangen, früher fertig werden - so lautet das Motto von EU-Ratschef Donald Tusk für künftige EU-Gipfel. Schon beim nächsten Treffen im Dezember könnte ein neues Zeitschema erprobt werden.

Es war weit nach 1 Uhr in der Brüsseler Nacht, als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beim letzten EU-Gipfel im Oktober bei ihrer Pressekonferenz im zweiten Stock des Ratsgebäudes über die Flüchtlingskrise, die Lage im syrischen Aleppo und das Freihandelsabkommen mit Kanada sprach. Für Brüsseler Verhältnisse war die Pressekonferenz zu vorgerückter Stunde nichts Ungewöhnliches, denn die Gespräche und Verhandlungen unter den 28 Staats- und Regierungschefs ziehen sich bei Gipfeltreffen häufig bis nach Mitternacht hin. Doch so richtig glücklich ist mit dieser Praxis kaum jemand aus dem Kreis von Merkel und Co. Deshalb wird jetzt darüber nachgedacht, die Treffen künftig früher beginnen und dafür auch früher enden zu lassen.

Für eine derartige Regelung setzen sich EU-Ratschef Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein. Bei den letzten beiden Spitzentreffen im September in Bratislava und im Oktober in Brüssel stieß Tusk deshalb eine Diskussion darüber an, ob sich der Zeitplan der Gipfel künftig nach vorne verschieben lässt und sich die in der Regel zweitägigen Treffen möglicherweise auf einen Tag begrenzen lassen.

Tusk ist kein Freund ausufernder Gipfel-Diskussionen

Tusk ist ohnehin kein Freund ausufernder Gipfel-Diskussionen. Nachdem der Pole im Dezember 2014 ins Amt des EU-Ratschefs gekommen war, hielt er mehrere eintägige Gipfeltreffen ab. Doch dann kam die Flüchtlingskrise – und die „Chefs“ in der EU kehrten wieder zu ihrem gewohnten Sitzungsschema zurück. Den Auftakt der Spitzentreffen liefert üblicherweise an einem Donnerstag um 16 Uhr ein Gedankenaustausch mit dem EU-Parlamentspräsidenten. Dann versammelt sich die Runde zum Familienfoto, anschließend folgen eine erste Arbeitssitzung und ein Arbeitsessen. Dass dabei der Kaffee um die Mitternachtsstunde gereicht wird, ist keine Seltenheit. Am Freitagmorgen um 9 Uhr setzt sich dann die Runde erneut zusammen.

Als Tusk nun im vergangenen Monat vorschlug, die Gipfeltreffen zeitlich im Tagesverlauf vorzuziehen, war das Echo unter den Staats- und Regierungschefs gemischt. Nach den Angaben von EU-Diplomaten gab es keine einhellige Zustimmung zu dem Vorschlag. Einige Staatenlenker wollten von Tusk wissen, ob bei der geplanten Neuregelung noch Zeit bleibe für die vorgeschalteten Treffen der europäischen Parteienfamilien, an denen die „Chefs“ je nach ihrer politischen Couleur am Gipfeltag ebenfalls teilnehmen. Skeptisch begegneten viele Staatenlenker angesichts der Themen-Flut, die bei jedem Treffen auftaucht, auch dem Vorschlag des Ratschefs, die Zusammenkunft jeweils nur auf einen Tag zu begrenzen.

Ein neues Zeitschema hätte Folgen für den Bundestag

Dennoch will sich Tusk nicht beirren lassen. Schon beim nächsten Treffen im Dezember, so heißt es in EU-Kreisen, könnte das neue Zeitschema erprobt werden. Es sieht vor, dass sich Merkel und Co. nach den morgendlichen Treffen der EU-Parteienfamilien künftig bereits ab 12.30 Uhr zusammensetzen. Das Arbeitsessen am Abend würde den Plänen zufolge ebenfalls vorgezogen – von einem „nordischen Dinner“ ist die Rede. Wenn es die Themenlage erlaubt, soll das Treffen innerhalb eines Tages über die Bühne – und die wartenden Journalisten sollen bereits vor Mitternacht über die Ergebnisse informiert sein.

Falls sich die Neuregelung bewähren sollte, hätte dies auch Auswirkungen auf die europapolitische Regierungserklärung, welche Merkel an Gipfel-Donnerstagen in aller Regel um 9 Uhr im Bundestag hält. Die Erklärung der Kanzlerin müsste dann auf einen anderen Tag verlegt werden.

Nachtrunden bringen nicht unbedingt den Durchbruch

Für die Neuregelung spricht, dass Gipfelteilnehmer schon seit Langem den Nutzen nächtlicher Verhandlungsrunden infrage stellen. Die Konzentration der Teilnehmer sinkt in aller Regel nach Mitternacht, und nicht immer steht am Ende der Gipfelnacht auch der ersehnte Durchbruch. Das zeigte sich zuletzt im Februar bei den Verhandlungen des damaligen Londoner Regierungschefs David Cameron über britische Ausnahmeregelungen bei Sozialleistungen für EU-Ausländer. Zunächst zogen sich die Verhandlungen bis Freitagfrüh um 5 Uhr hin, ohne dass ein Ergebnis vorlag. Erst am Freitag um 22.40 Uhr konnte Cameron vermelden, dass die Gespräche erfolgreich beendet worden seien.

Ausnahmsweise stand Merkel damals nicht im Zentrum des Verhandlungsgeschehens. Zwischenzeitlich verabschiedete sie sich sogar aus dem Ratsgebäude – und ging zum Frittenkaufen am nahe gelegenen Place Jourdan.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 8. November 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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