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Triumph. Sängerin Jamala jubelt über ihren Sieh beim Eurovision Song Contest.

© Reuters

Eurovision Song Contest: Sieg und Unfrieden

Der Streit zwischen Russland und dem Westen verschärft sich durch den ESC-Sieg der Ukrainerin Jamala. Der Gesangswettbewerb war so politisch wie lange nicht – und offenbarte Deutschlands Isolation.

Schon im Kalten Krieg, dem „Original“ der Nachkriegszeit, folgte auf ein Friedenssignal zumeist ein Kriegsruf. Zuckerbrot und Peitsche für den Frieden. Und die Welt hält den Atem an. Das seit 2014 aufgeführte Remake des Konflikts zwischen Ost und West hatte zuletzt einen ähnlichen Takt.

Erst im April trafen sich die Konfliktparteien zum ersten mal seit zwei Jahren beim Nato-Russland-Rat. Man redet wieder miteinander. Doch die angekündigte Verstärkung der Nato-Präsenz in ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes sowie den Ausbau des Raketenabwehrsystems konterte Wladimir Putin mit der Ankündigung einer Verstärkung russischer Truppen an der Grenze zu Osteuropa. Man belauert sich. Auge um Auge, Radaranlage um Radaranlage.

In dieser Zeit konnte auch der Eurovision Song Contest nichts anderes werden als politisch. Zumal schon der Sieg von Drag-Queen Conchita Wurst vor zwei Jahren als Hieb gegen die schwulenfeindliche Politik Putins interpretiert wurde. Beim Sieg der Ukrainerin Jamala gab es nun wenig zu interpretieren, sang sie in ihrem Lied „1944“ doch von der Vertreibung der Krimtataren unter Sowjetdiktator Josef Stalin. Gemäß seinen Statuten ist der Wettbewerb einerseits unpolitisch – das ignorierten die Macher diesmal rigoros. Andererseits: Hätten sie Jamala ausgeschlossen, wäre das als zweiter Kotau Europas vor einem Autokraten in kurzer Zeit ausgelegt worden, nachdem Kanzlerin Angela Merkel sich nicht vor Jan Böhmermann und sein „Schmähgedicht“ stellen wollte, gegen das der wütenden türkische Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu Felde zieht. Eine gute Wahl war so nicht mehr zu treffen.

Präsident Poroschenko frohlockt

Der russische Parlamentarier Konstantin Kosatschjow verurteilte den Gesangswettbewerb stellvertretend für das politische Moskau als „Sieg des Kaltes Krieges“. Regierungstreue Medien reagierten gewohnt empört. Auf ukrainischer Seite führte der Erfolg auch keineswegs zu versöhnlichen Tönen. „Heute hat mit Jamalas Stimme das ganze ukrainische Volk gesprochen. Die Wahrheit hat wie immer gesiegt“, schrieb Präsident Poroschenko auf Twitter. In den sozialen Netzwerken waren Beiträge wie jener am populärsten, dass sich „Russland von der Krim verpissen“ soll. Die Ukraine veranstalte dort nächstes Jahr den Eurovision-Contest und müsste „noch aufräumen“.

Dass der russische Sänger Sergej Lazarev die Publikumswertung gewann und nur aufgrund der Jury-Stimmen nicht insgesamt siegte, nährt in Russland Verschwörungstheorien. Die „Komsomolskaja Prawda“ titelte: „Wie die europäische Jury Lazarev den Sieg geraubt hat.“ Gleichzeitig zeigen die Einzelresultate, dass die Europäer Krieg und Kunst trennen können. Sowohl Russen als auch Ukrainer bewerteten die Beiträge des jeweils anderen Landes mit hohen Punktzahlen. Bevor Politiker Öl ins Feuer gossen, hätte der ESC also fast als Beitrag zur Völkerverständigung durchgehen können. Doch auf das Friedenssignal der Zuschauer folgte das Urteil der Juroren. Auch so kann ein Wettbewerb polarisieren.

Dass Deutschland zum zweiten Mal hintereinander letzter wurde, kann natürlich als Hieb gegen die aktuelle Politik der Bundesregierung interpretiert werden. Vor allem die harte Haltung in der Griechenland-Krise hatte Deutschland viel Ansehen gekostet. Die Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen brachte zwar Symathien. Doch auch hier zeigte sich, wie isoliert Berlin aktuell dasteht, schließlich will vor allem Osteuropa von Flüchtlingshilfe nichts wissen. Der vom ungarischen Premier Viktor Orban vorgetragene Vorwurf des „moralischen Imperialismus“ klingt nach.

Europa verstand Jamie-Lee nicht

Allerdings kann die Platzierung der Deutschen Jamie-Lee Kriewitz zumindest teilweise auch auf den doch arg braven Auftritt und ihr ungewöhnliches Kostüm zurückgeführt werden. Das sah auf die ARD so. Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber analysierte: „International und beim Publikum in allen Altersschichten ist es offenbar eher auf Unverständnis gestoßen, dass ein Manga-Mädchen aus Deutschland antritt.“
Am Ende hat der ESC die Europäer in ihren aktuellen Rollen bestätigt. Die Schweden zeigen sich als humorvolle Gastgeber, die Russen als ambitionierte Draufgänger, die Ukrainer gewannen die Herzen und die Deutschen wurden nicht verstanden. In Zeiten der dauererhitzten politischen Debatte konnte der Wettbewerb vielleicht gar nicht unpolitisch geraten. Nächstes Jahr wird in Kiew um Sieg und Frieden gesungen.

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