zum Hauptinhalt
Vor Gericht. Die frühere Premierministerin Julia Timoschenko. Foto: dpa

© dpa

Politik: Farce um Julia

Ihr Anwalt kollabiert vor Gericht, die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft wirken konstruiert: Der Prozess gegen Timoschenko

Seit zwei Wochen spielt sich vor dem Bezirksgericht des Kiewer Stadtteils Petschersk alle paar Tage das gleiche Schauspiel ab. Morgens versammeln sich ein paar Hundert Fans und Gegner von Julia Timoschenko, der kämpferischen Frontfrau der orangenen Revolution und späteren Ministerpräsidentin, und schreien ihre Parolen. „Julia, Julia!“ die einen, „Verbrecherin!“ die andern. Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte stehen etwas abseits in fast einem Dutzend Mannschaftsbussen bereit.

Das ganze Spektakel wird vom Kiewer Stadtfernsehen sowie dem oppositionellen „5. Kanal“ live übertragen, damit man auch zu sehen kriegt, was später im Gerichtssaal vorgeht. Kürzlich war es der Zusammenbruch ihres Anwalts Mykola Tayarenko. Nach einer Herzattacke musste er ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Timoschenkos Prozess wegen angeblichem Amtsmissbrauch hätte am vergangenen Montag nach einem langen juristischen Vorgeplänkel endlich beginnen sollen. Doch die Verhandlung wurde erneut vertagt. Die streitbare Oppositionsführerin hatte ihren Anwalt gewechselt und dies medial gekonnt in Szene gesetzt. Der Prozess gegen die zweimalige Regierungschefin unter dem pro-westlichen Präsidenten Viktor Juschtschenko wird immer mehr zu einem Medienspektakel. Die öffentliche Meinung ist dabei Timoschenkos Waffe, denn auf die Unabhängigkeit des Gerichts kann die Kritikerin des heutigen Präsidenten Viktor Janukowitsch nicht zählen.

„Dieser Prozess ist eine Farce“, sagt Timoschenko, die in jeder Gerichtssitzung ihren traditionellen blonden Haarkranz trägt und sich standhaft weigert, dem Richter die ukrainische Ehrenformel angedeihen zu lassen. Rodion Kirejew sei eine Marionette Janukowitschs, hatte die Oppositionsführerin mehrmals verlauten lassen.

In der Tat klingen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft reichlich konstruiert. So soll Timoschenko bei den Gaslieferverhandlungen mit Putin im Jahr 2009 ihre Kompetenzen überschritten und der Ukraine einen Schaden von 150 Millionen Euro zugefügt haben. Der Ukraine war damals der Gashahn zugedreht worden, auch in Westeuropa fiel der Gasdruck massiv ab, es kam zu Lieferengpässen. Die Regierungschefin befand sich unter enormem Druck. Russland nutzte diese Schwäche aus und diktierte den Preis. Außerdem muss sich die „eiserne Julia“ in zwei weiteren Fallen ebenfalls wegen angeblichen Amtsmissbrauchs verantworten. Sie soll 200 Millionen Euro aus dem Verkauf von CO2-Emssionsrechten an Japan in falsche Budgettöpfe geleitet sowie Hunderte von Krankenwagen zu einem überhöhten Preis gekauft haben. Dafür drohen ihr zehn Jahre Gefängnis.

Dazu soll nun auch noch ein altes Unterschlagungsverfahren aus der Zeit vor der „orangen Revolution“ 2004 wieder aufgerollt werden, in dem Timoschenko bereits freigesprochen worden war.

Wird sie verurteilt, so ist der international wegen mangelnder Reformen und Beschneidung der Bürgerrechte kritisierte Präsident Janukowitsch seine wichtigste Herausforderin los. Selbst bei einer Strafe auf Bewährung kann Timoschenko weder für die Parlamentswahlen im kommenden Jahr noch für die Präsidentschaftswahlen 2015 kandidieren. „Bei jedem bisherigen Regierungsmitglied in der Ukraine kann man ähnliche Sünden finden“, kommentiert der Politologe Juri Jakimenko vom angesehenen Razumkow-Institut den Timoschenko-Prozess. „In diesem Falle müssten fast alle abgeurteilt werden“, sagt er.

Viele Beobachter sind deshalb überzeugt, dass der Prozess gegen Timoschenko politisch motiviert ist. Deutschland, die EU und die USA haben die Vermutung geäußert, Hintergrund sei der Kampf gegen die Opposition. Dem widerspricht Janukowitsch vehement. Es ginge einzig um den Kampf gegen die Korruption, behauptet er.

Am vergangenen Donnerstag hat sich auch Brüssel erneut über den Prozess gegen Timoschenko sowie eine weitere Reihe ehemaliger pro-westlicher Regierungsmitglieder besorgt gezeigt. Die Ukraine strebt die baldige Unterzeichung eines Assoziationsvertrages mit der EU an. Timoschenko hat angekündigt, den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg anzurufen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false