zum Hauptinhalt
Hand in Hand. Der türkische Justizminister Bozdag (links) und Staatspräsident Erdogan.

© Reuters

Faschismusvorwurf aus der Türkei: "Sie können uns nicht für dumm verkaufen, Herr Bozdag"

Die ehemalige Integrationsministerin von Baden-Württemberg antwortet im Gastkommentar dem türkischen Justizminister und seiner Kritik an Deutschland.

Nach der Absage einer Veranstaltung in Gaggenau hat der türkische Justizminister Bekir Bozdag Deutschland "Faschismus" vorgeworfen. In freien Ländern mit freier Meinungsäußerung kann man das wohl machen. Man kann es aber auch sein lassen. Man muss das in jedem Fall sein lassen, wenn man aus einem Land kommt, in dem selbst Demonstrationen zum Internationalen Frauentag verboten werden, in dem weltweit die meisten Journalisten inhaftiert sind, in dem selbst Kinder dem Haftrichter vorgeführt werden wegen Witzen auf Social Media. Ein Land, in dem es keine freie Justiz oder Presse gibt. Ein Land, das jeglichen Bezug zur Verhältnismäßigkeit oder Realität verloren hat. Ein Land, das unter Repressalien leidet und dessen Volk sich nicht dagegen wehren kann.

Ein Justizminister, der aus solch einem Land kommt, kann Deutschland zwar "Faschismus" vorwerfen, weil es hier das Recht auf freie Meinungsäußerung gibt. Aber von solch einem Justizminister kann man erwarten, dass er zunächst dafür sorgt, rechtsstaatliche Prinzipien im eigenen Land einzuhalten. Möglicherweise erwarten wir zu viel von einem Justizminister, der selbst eigene Richter verhaften lässt, weil sie ihren Job ernst nehmen.

Hier werden auch deutsche und kurdische Veranstaltungen untersagt

Andere Länder, andere Sitten. Schrauben wir mal unsere westlichen Erwartungen zurück, benehmen uns politisch korrekt und formulieren es diplomatisch: Lieber Herr Bozdag, es mag sein, dass Sie schlechte Berater haben oder nicht auf Berater hören. Deshalb gebe ich Ihnen einen Tipp: Sie können hier wirklich viel machen, aber Sie können uns nicht für dumm verkaufen. Dazu ist die Allgemeinbildung in Deutschland viel zu hoch und die Menschen viel zu aufgeklärt.

Hallen für Theateraufführungen anmieten, aber eigentlich Wahlkampf für politische Zwecke machen, das mögen wir hier nicht. Nur, damit Sie keinen falschen Eindruck bekommen: Hier werden auch deutsche Veranstaltungen untersagt oder kurdische, falls Sie das beruhigt, allerdings nur, wenn die Sicherheitslage als unsicher eingestuft wird.

Niemand hat etwas gegen Türken. Wir haben hier nur etwas gegen Lügen, Gewalt, Faschismus und Extremismus allgemein. Wir schätzen es, wenn Frauenrechte und Minderheitenrechte eingehalten werden. Wir mögen zwar keine anderen Meinungen, aber wir dulden sie. Wir diskutieren sogar offen darüber in Medien, ohne dass Journalisten verhaftet werden. Wir beschimpfen natürlich auch politische Gegner, aber meist in einem flätigen Ton. Schrille Aggression und Gewalt mögen wir hier nicht. 

Wir haben Probleme mit Autokraten - wegen unserer Geschichte

Jetzt können Sie uns natürlich wieder die Zeit zwischen 1933 und 1945 vorhalten, wie es das Ausland in Bezug auf Deutschland immer macht. Aber ich sage Ihnen mal was - und alle anderen ausländischen Staaten sollen jetzt bitte auch zuhören: Wir rühmen uns nicht für unsere schlechten Taten, im Gegenteil. Wir schämen uns dafür und wir arbeiten unsere Geschichte auf. Seit 1945 haben wir uns verdammt nochmal weiterentwickelt. Und wir entwickeln uns noch weiter. Das ist hier möglich, weil es hier Bürger- und Freiheitsrechte gibt.

Uns machen die Entwicklungen in der Türkei, aber auch woanders Angst. Wir hören täglich schlechte Nachrichten aus der Türkei, und das gefällt uns nicht. Nur daher rührt die Ablehnung türkischer Politik in Deutschland. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir gerade aufgrund unserer Geschichte ein Problem mit Autokraten haben. Diese können heißen, wie sie wollen. Sie können auch aus anderen Ländern kommen. Es geht hier nicht gegen die Türkei. Es geht hier gegen Faschismus, denn wir mögen keinen Faschismus. Und genau deshalb ist Ihr Vorwurf in unsere Richtung einfach nur jenseits von Gut und Böse.

Die Autorin war bis 2016 Integrationsministerin für die SPD in Baden-Württemberg.

Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Bilkay Öney

Zur Startseite