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FDP-Chef Philipp Rösler bei seiner Rede in Karlsruhe beim Bundesparteitag der Liberalen.

© dpa

FDP-Bundesparteitag: Rösler lässt klare Linie vermissen

Letzte Klopfzeichen aus dem Bunker: „Skurril“ findet Philipp Rösler, sich für eine Politik der Mitte rechtfertigen zu müssen. In Karlsruhe erklärt der FDP-Chef die Liberalen zur wertkonservativen Opposition.

Von Antje Sirleschtov

Als er von der Bühne geht, springen sie auf. Sie pfeifen, sie johlen, sie klatschen und ihre Gesichter strahlen. Erst die in den hinteren Reihen, dann die vorn im Publikum und zum Schluss auch die Parteioberen auf dem Podium, die vielleicht etwas Befangenen, die lieber erstmal abgewartet haben. Von Europa hat er gesprochen, von Schulden, von der großen Geschichte seiner Partei und vor allem vom Sinn, den es in diesen schweren Zeiten macht, ein Liberaler zu sein. Stolz, Selbstbewusstsein, Toleranz und natürlich Freiheit: „Das ist meine FDP“, hat er ihnen zugerufen. So etwas wollen die Liberalen hören, das macht ihnen Mut, das gibt ihnen Kraft.

Seit kaum vier Wochen kämpft Christian Lindner in seinem Heimatland Nordrhein-Westfalen um das Überleben der FDP. Nicht länger als 20 Minuten hat er vorn auf der Bühne in der Messehalle in Karlsruhe gestanden. Er hat von Bürgerlichkeit gesprochen, von Verantwortung für sich selbst und die anderen. Es war eine Mutmacherrede, die er gehalten hat. Für sich selbst und für die ganze FDP. Am 13. Mai wird in Düsseldorf entschieden, ob es eine Zukunft für die Liberalen geben kann. Und manche sagen an diesem Samstag: Wenn einer für die Zukunft der FDP steht, dann ist es dieser Christian Lindner, 33 Jahre alt.

Der Niedergang der FDP in Bildern

Die FDP trifft sich an diesem Wochenende in Karlsruhe mal wieder zum Parteitag. Solche Treffen der Parteimitglieder in Messehallen sind oft wie Klassentreffen. Man begegnet alten Weggefährten, man redet, man tauscht Bilder aus, man feiert. Bei der FDP allerdings ist den Leuten schon lange nicht mehr nach Feiern. Seit sie in Berlin mitregieren, laufen ihnen die Mitglieder davon. Man schämt sich beim Bäcker zu bekennen, dass man FDP-Mitglied ist. Daran hat sich nicht wirklich viel geändert, seit im letzten Frühling Philipp Rösler das Amt des Parteivorsitzenden übernommen hat.

Nett schien er den Delegierten damals beim Parteitag in Rostock, wie er mit seiner jungen Frau und den Zwillingen durch die Hallen ging. Und so ruhig hatte er gesprochen, so mitfühlend. Ganz anders, als Guido Westerwelle, sein schriller Vorgänger. Aber wo der immer genau wusste, wohin er seine Partei steuern wollte, zur „Mehr-Netto-vom-Brutto-Partei“ nämlich, da taumelt sein Nachfolger hin und her. Orientierungslos, ohne klares Bild von seiner Partei, manchmal verkrampft, nicht selten in Widersprüche verstrickt. Mal steht Rösler im Kampf für Steuersenkungen, dann wieder für Schuldenabbau, neuerdings für Wachstum.

Auf dem Weg vom Bahnhof, wo die Liberalen am Samstagmorgen in Busse geklettert sind, die sie zur Parteitagshalle bringen sollten, waren viele verschlossen. So groß die Hoffnungen auf den Rösler-Effekt im Jahr zuvor auch waren, jetzt sind sie verflogen.

Leise, beinahe unbemerkt, hat sich Philipp Rösler an diesem Samstag auf seinen Stuhl geschlichen. Ernster, unsicherer Blick. Sakko an, Sakko aus: Der Vorsitzende scheint das Unbehagen beinahe körperlich zu spüren, den Druck des Zweifels seiner Parteifreunde darüber, ob es mit ihm an der Spitze überhaupt noch einen Weg aus der Krise geben kann.

Auch Rösler wird eine Rede halten an diesem Samstag. Eine Stunde lang. Er wird von „Haltung“ und „Entschlossenheit“ sprechen, den „Wert der Freiheit“ hochhalten und seine Parteifreunde mahnen, sich bewusst zu sein, dass „nur die FDP die Kraft der Freiheit in Deutschland ist“. Rösler wird sie alle streifen, die Schlüsselwörter des Liberalismus, die bei jedem Parteitag der FDP durch den Saal schallen müssen. Und er wird Applaus dafür erhalten. Die Liberalen wissen: Wenn sie in zwei Wochen in Schleswig-Holstein und sieben Tage später in Nordrhein-Westfalen nicht die Fünf-Prozent-Hürde überspringen und den Einzug in den Landtag schaffen, dann drohen ihnen chaotische Zustände. Längst gelten die beiden Wahlen als Schicksalspiele gegen den Abstiegskampf. Danach könnte es die FDP vielleicht überhaupt nicht mehr geben. Da kränkt man den Vorsitzenden nicht mit Buhrufen oder kraftlosem Applaus. Auch, wenn sie später bedenklich den Kopf hin- und herwiegen.

Und das haben an diesem Samstag einige getan. Denn Philipp Rösler räumt zwar mit leiser Stimme eigene Fehler in seinem ersten Jahr als Parteichef ein. „Das eine oder andere“ hätte er „anders machen oder besser gleich lassen sollen“, sagt er. Aber das ist es dann auch schon.

Wohin es mit der FDP nun konkret gehen soll, mit welchen politischen Entscheidungen er in den nächsten Monaten beweisen will, dass er der Chef „der einzigen Alternative in der Mitte der Gesellschaft“ ist, darauf bleibt Rösler auch hier in Karlsruhe eine Antwort schuldig. Stattdessen spricht der FDP-Vorsitzende von den „drei Säulen des Wachstums“, dem neuen Leitbegriff, mit dem Rösler seine Partei von den politischen Wettbewerbern abgrenzen will.

Doch was folgt aus dem Bekenntnis der FDP zum Wachstum? Welche konkreten Reformen und gesellschaftlichen Veränderungen folgert der FDP-Chef aus dem eigenen Anspruch der „einzigen Wachstumspartei in Deutschland“? Fragen, die sich seit langem viele Parteimitglieder stellen. Antworten, sofern Rösler sie überhaupt gibt, sind jedenfalls nicht der Art, um sie mit nach Hause zu nehmen.

Dafür erklärt Rösler die Linkspartei zum „Feind der Freiheit“, hält der SPD vor, sie habe in ihrer 145-jährigen Geschichte noch immer nicht gelernt, mit Geld umzugehen, verunglimpft die Piraten als „Linkspartei mit Internetanschluss“ und lässt selbst am Koalitionspartner Union kein gutes Haar. „Um uns herum alles sozialdemokratische Parteien“, fasst Rösler die politische Gemengelage zusammen. Und das klingt dann doch sehr wie die Durchhalterede aus dem Bunker.

Warum selbst Siege Rösler nicht mehr helfen

„Theoretisch“ lästert am Nachmittag einer der Delegierten, wisse der Dr. Rösler ganz bestimmt, wie man den liberalen Patienten wieder flott bekommt. „Nur mit der Therapie, da hapert es noch ein wenig“. Kaum eine Viertelstunde nach dem Ende der Rede des Vorsitzenden bietet sich den Beobachtern in Karlsruhe ein bezeichnendes Bild. Beinahe alle FDP-Oberen haben ihre Sitze hinter den Namensschildchen auf dem Podium verlassen. Nur zwei bleiben übrig. Der alte Vorsitzende, Guido Westerwelle, wie er ganz rechts sitzt und seine Akten studiert. Und der aktuelle Vorsitzende, Philipp Rösler. Auch er ganz allein. Gefangen an der Spitze seiner Partei. Selbst unsicher, wie es ihm gelingen kann, seine FDP bis zur Bundestagswahl 2013 aus dem Umfragetief herauszuholen. Und der jeden Monat wachsenden Zweifel derer gewahr, die längst den Daumen senken, wenn die Frage gestellt wird, ob Rösler der Richtige ist.

Längst sitzt er in einer Falle, dieser Philipp Rösler. Schafft es Christian Lindner am 13. Mai nicht, die FDP in Nordrhein-Westfalen in den Landtag zu hieven, wird man es dem noch jungen Landeschef nachsehen. War eben nicht zu machen, wird man sagen. Rösler jedoch wird sich verantworten müssen. Berlin, Saarland, womöglich Kiel und Düsseldorf: Das wären zu viele Niederlagen für einen Vorsitzenden. Seine Tage wären gezählt, dem Ansturm der Kritiker hätte nichts mehr entgegenzusetzen.

Doch das Dilemma Röslers ist, dass selbst Siege ihm nicht helfen. Passiert nämlich das Gegenteil, Einzug in die Landtage in Kiel und Düsseldorf, so wird es heißen, dass es trotz seiner geschah.

Als Christian Lindner nach langem Zögern am 15. März einwilligte, sich an die Spitze des Wahlkampfes in NRW zu stellen, standen die Liberalen im Westen in den Umfragen bei knappen zwei Prozent. Vier Wochen und vieler Wahlkampfauftritte von Lindner später sind es bereits knapp fünf Prozent. Keine Frage: Ein Sieg für die FDP in Düsseldorf wird ein Sieg des Christian Lindner sein.

Wie er das macht, der Mann, der längst nicht mehr das politische „Bambi“ ist, als dass ihn einst Jürgen Möllemann bekannt gemacht hat?

Zunächst der Stil, die Botschaft: Wo Rösler seine Partei gegen andere politische Kräfte abgrenzt und seine Liberalen zum Kampf gegen „Sozialdemokratisierung“ und die „Feinde der Freiheit“ aufruft, verbindet Lindner seine politischen Visionen mit positiven Erlebnissen für die eigenen Leute. Beispiel Schlecker: Beide, Rösler und Lindner, haben am Samstag die Entscheidung der FDP, sich gegen eine staatlich finanzierte Transfergesellschaft für die 11 000 ehemaligen Mitarbeiterinnen der insolvent gegangenen Drogeriemarktkette zu stellen, verteidigt. Für Rösler, den Bundeswirtschaftsminister, war das jedoch ein „Gebot wirtschaftlicher Vernunft“. Das unrühmliche Wort der „Anschlussverwendung“ fiel.

Für Christian Lindner jedoch ging es bei Schlecker nicht um Freiheit und Marktwirtschaft. Für ihn war es „sozial“, die Transfergesellschaft für die Frauen abzulehnen. Zuerst, weil dahinter nur „Scheinqualifizierung“ stehe. Aber auch, weil „im Interesse der Banken“ die Mitarbeiterinnen der Transfergesellschaft auf ihre Abfindungen aus der Schlecker-Insolvenzmasse hätten verzichten müssen. „Ist das etwa sozial?“, fragt Lindner am Samstag.

Und auf einmal saßen vor ihm nicht mehr jene vermeintlich kaltherzigen Marktradikalen, die den Schlecker-Frauen die Hilfe des Staates in der Not verweigern wollten. Jetzt waren aus ihnen sozial verantwortlich Handelnde geworden. Mit so einer Begründung kann man sich als FDP-Mitglied ohne Angst in ein Streitgespräch im Kollegenkreis einlassen. „Selbstbewusstsein und Bescheidenheit“, das sind die Eigenschaften, die in den Augen Lindners den neuen Liberalen ausmachen. Wo Rösler ausschließt und sich in die letzte Bastion der Freiheit zurückzieht, lädt Lindner ein. Was für den Einen ein Kampfauftrag, ist für den Anderen eine Geisteshaltung, die sich aus sich selbst heraus erklärt.

200 000 Flyer und unzählige Plakate hat die FDP in Düsseldorf Ende März mit den Botschaften und dem Gesicht ihres jungen Spitzenkandidaten gedruckt, dem es gelungen ist, sogar den ehemaligen SPD-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement in seinen Wahlkampf einzubinden. Dessen heiße Phase hat in Nordrhein-Westfalen an diesem Wochenende noch gar nicht begonnen. Doch die Flyer und Plakate mit dem Gesicht von Lindner sind schon alle vergriffen. Die mit dem Gesicht des Parteichefs drauf nicht.

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