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Heinz Buschkowsky und Autor Joachim Wagner.

© DAVIDS

Buchvorstellung: Fernsehjournalist Wagner warnt vor "islamischer Paralleljustiz"

Der ARD-Journalist Joachim Wagner stellt sein neues Buch vor. Darin sieht er den deutschen Rechtsstaat durch eine islamische Paralleljustiz gefährdet. Heinz Buschkowsky pflichtet ihm bei. Ein Ortstermin.

Thilo Sarrazins Buch ist rot, Joachim Wagners Buch ist grün. Sarrazin sieht voraus, dass sich Deutschland abschafft, Joachim Wagner sieht „unseren Rechtsstaat“ in Gefahr. „Richter ohne Gesetz. Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat“ heißt das Buch des ergrauten ARD- Fernsehjournalisten und Juristen Joachim Wagner. Erschienen ist es im Econ-Verlag. Wagner enthülle, „wie unsere Justiz vor einer fremden Rechtskultur kapituliert“, verspricht der Klappentext. Der Islam gegen die deutsche Justiz. Das knallt. Das verspricht Auflage.

Am Montag wurden die 236 Seiten im ARD-Hauptstadtstudio vorgestellt, moderiert von Hauptstadtstudioleiter Ulrich Deppendorf, flankiert von Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky. Deppendorf und Buschkowsky sind sich sicher: „Das Buch wird für Aufregung sorgen.“ Die „einschlägigen politischen Kreise“ werden das Buch als „islamophob“ geißeln, prognostiziert Buschkowsky. Aber er, der Bürgermeister von Neukölln, habe ja schon vor Jahren vor der islamischen Paralleljustiz gewarnt. Buschkowsky, der Retter aus Neukölln, da ist er wieder.

Joachim Wagner beschreibt das Phänomen sogenannter „Friedensrichter“. Das sind selbst ernannte Mediatoren, die bei Auseinandersetzungen zwischen kurdisch-libanesischen Großfamilien vermitteln – auch in Deutschland und vor allem in Berlin, Bremen und Essen. Sie schlichten und handeln finanzielle Ausgleichszahlungen zwischen Täter- und Opferfamilien aus. In der Regel stammen diese „Friedensrichter“ selbst aus diesen Familien, schreibt Wagner, sie lassen sich ihre Dienste gut bezahlen, wenn auch bisweilen der eine oder andere dabei sein Leben lässt. Denn Teile der kurdisch-libanesischen Clans, um die es geht, sind hochkriminell. Die Polizei verbindet mit ihren Namen Drogenhandel, Erpressung, Mord und Totschlag.

Fast ein Jahr hat Wagner recherchiert. Was er herausfand, lesen Sie auf Seite 2

Wagner hat ein Dreivierteljahr recherchiert und 16 Kriminalfälle rekonstruiert, in denen die Beweislage zunächst eindeutig schien. Doch dann „zerbröselte“ alles: Das Opfer fand auf einmal, es sei doch alles nicht so schlimm gewesen, Zeugen konnten sich plötzlich an nichts mehr erinnern und beriefen sich auf das Auskunftsverweigerungsrecht. Bei einem derartigen Meinungsumschwung seien Friedensrichter aktiv, vermutet Wagner und beruft sich auf Anwälte, Richter und Polizei. Während sich die rechtsstaatlichen Ermittler um Aufklärung bemühten, würden sie hinterrücks einen finanziellen Ausgleich zwischen Opfer- und Täterfamilien aushandeln. Beide Seiten würden aus Sicht der Clans profitieren: Die Täter müssten nicht ins Gefängnis, die Opferfamilie erhalte Geld.

„Da prallen unsere sauberen, an Rechtsstaatlichkeit orientierten Regeln auf ein 3000 Jahre altes System der Schlichtung“, sagt Wagner. „Faszinierend“ sei es, wie dieses jahrtausendalte System, das auf die vorislamische Zeit zurückgehe, bis heute wirke – und zwar „überall“. Denn das islamische Recht, die Scharia, schreibe es fest. „Viele Muslime haben ein anderes Rechtsverständnis als das hier geltende“, zitiert Wagner einen Bremer Strafverteidiger, und Buschkowsky sekundiert: „Es ist eine traditionelle Sichtweise im islamischen Bereich, dass man Straffälle unter sich regeln kann.“

Um welche Dimension geht es eigentlich, will eine Journalistin wissen. Das System der Friedensrichter sei „relativ verbreitet“, sagt Wagner, gibt dann aber zu, dass es keinerlei gesicherte Zahlenbasis gebe. Für Justizschelte reicht es allemal: Richter würden nicht nachfragen, warum Zeugen ihre Aussagen auf einmal widerrufen, es gebe keine Bemühungen, die privaten Streitschlichter strafrechtlich zu belangen. „Da muss man doch kämpfen“, sagt Wagner, „diesen Kampf vermisse ich in der Justiz auf allen Ebenen.“ Da sieht an diesem Montagmittag ein Journalist den Moment gekommen, um den Neuköllner Bürgermeister nach dem „Schwachmatenfaktor“ in der Richterschaft zu fragen. Doch Buschkowsky lässt sich nicht hinreißen. Er glaube nicht, dass bei diesen Verfahren, von denen Wagner spricht, „der Laissez-faire- Faktor eine große Rolle spielt“, sagt er. Staatsanwälte hätten sicherlich auch keine Lust, von arabischen Clans „wie Deppen“ vorgeführt zu werden.

Sein Buch sei „pointiert, aber differenziert“, sagt Wagner. Die Friedensrichter hätten ja auch ihr Gutes, etwa wenn sie bei zivilrechtlichen Problemen vermittelten. Aber ihre Rolle bei Strafprozessen müsse „ernst genommen werden“. „Die Justiz muss hier einen Schwerpunkt setzen, sonst wuchert das aus in die Gesellschaft, und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist beeinträchtigt.“

Noch während die Pressekonferenz läuft, feilt die Berliner FDP an ihrer Meldung: Wagners Buch zeige, dass der rot-rote Senat versage. Ach ja, Wahlkampf. Als Ulrich Deppendorf wieder zu wichtigeren Themen eilt, zu Merkel, zur Regierung, raunt TV-Moderatorin Sabine Christiansen beim Rausgehen Joachim Wagner zu: Im November brauche sie ihn. Das Buch werde Wellen schlagen. Könnte sein, dass es Wellen im Wasserglas sind.

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