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Politik: Fischer redet Grünen erfolgreich ins Gewissen: Parteitag billigt Kosovo-Kurs der Regierung

BIELEFELD .Die Grünen haben auf ihrem Sonderparteitag in Bielefeld die Regierungspolitik zum Kosovo-Krieg grundsätzlich gebilligt, aber eine befristete Feuerpause gefordert.

BIELEFELD .Die Grünen haben auf ihrem Sonderparteitag in Bielefeld die Regierungspolitik zum Kosovo-Krieg grundsätzlich gebilligt, aber eine befristete Feuerpause gefordert.444 Delegierte unterstützten den entsprechenden Antrag des Bundesvorstandes.Der Antrag der radikalen Kriegsgegner, die einen sofortigen bedingungslosen Abbruch der Nato-Angriffe forderten, erhielt 318 Stimmen.Außenminister Fischer hatte in der emotionalen Debatte vor der Annahme dieses Antrags gewarnt und angekündigt, eine solche Politik nicht umzusetzen.Er war vor seiner Rede von Kriegsgegnern mit einem Farbbeutel beworfen worden.

Den Delegierten lagen mehrere Anträge vor: Einerseits wurde ausdrücklich der Kurs der Bundesregierung gebilligt, andererseits wurde von pazifistischen Vertretern eine sofortige einseitige und endgültige Einstellung der militärischen Handlungen der Nato gefordert.Der Bundesvorstand hatte mit seinem Vorschlag einer befristeten Feuerpause einen Kompromißantrag vorgelegt, der möglichst viele Positionen in der Partei vereint.Während von den meisten Delegierten Fischers Einsatz für eine politische Lösung im Kosovo gewürdigt wurde, gab es vereinzelt auch Forderungen nach einem Rückzug der grünen Minister aus dem Bonner Kabinett wegen der deutschen Beteiligung am Krieg.Einhellig wurden die ethnischen Vertreibungen aus dem Kosovo angeprangert.

Fischer, dessen Rede von einem gellenden Pfeifkonzert begleitet wurde, nannte eine unbefristete Einstellung der Bombardements ein falsches Signal an den jugoslawischen Präsidenten Milosevic.Mit einem solchen Schritt würde sich Milosevic, dessen Vertreibungspolitik Fischer verbrecherisch nannte, in seiner Politik bestärkt fühlen.Mit dem Ende des Kalten Krieges sei die ethnische und völkische Kriegführung nach Europa zurückgekehrt.Das sei nicht zu akzeptieren.An die Adresse seiner innerparteilichen Kritiker versicherte der Außenminister, alle diplomatischen und politischen Mittel genutzt zu haben."Ich habe alles getan, was in meinen Kräften stand, um eine Konfrontation zu verhindern", rief er in der hochemotionalen Debatte aus.

Fischer appellierte vor der Abstimmung an die Grünen, ihm den Rücken zu stärken, um seine Politik fortsetzen zu können.Keine Regierung sei mit ihren Initiativen für eine politische Lösung erfolgreicher gewesen als die Bundesregierung, sagte Fischer unter Hinweis auf die Erklärung der G-8-Staaten.Die sieben westlichen Industriestaaten und Rußland verlangen allerdings ein "unverzügliches und nachprüfbares Ende" der Gewalt im Kosovo und den Rückzug der serbischen Einheiten als Voraussetzung für eine Feuerpause.

Nach Fischers Rede erhoben sich zahlreiche Delegierte und feierten ihren Minister mit minutenlangem Beifall.Die Vorstandssprecherin Gunda Röstel wertete das in einem Fernseh-Interview als Zeichen dafür, daß die Kompromißlinie des Vorstands sich durchsetzen würde.Bereits in der Debatte überwogen die Stimmen, die Fischer den Rücken stärkten.Nach Fischer erfuhr auch sein Staatsminister Ludger Volmer demonstrative Unterstützung.In einer emotionalen Rede, die mit langem Beifall quittiert wurde, setzte er sich für Härte gegen den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic ein.Zudem forderte er seine Partei zu Solidarität mit Fischer auf.

Volmer nannte Milosevic einen "nackten Faschisten".In der Kosovo-Krise stünden die Grünen vor der schwierigsten Entscheidung in ihrer Parteigeschichte.Sie müßten zu einem Beschluß kommen, der ihrem Außenminister "nicht die Beine wegzieht".Er fügte hinzu: "Ein Minister kann vieles ertragen, aber nicht alles ertragen."

Der zur Parteilinken gehörende Gegner der Nato-Einsätze gegen Jugoslawien, Christian Ströbele, hatte unmittelbar zuvor für seinen Redebeitrag deutlich weniger Beifall erhalten.Ströbele sagte, es gehe bei der Entscheidung über die Kosovo-Politik um eine Seelenfrage der Grünen.Der dem Parteitag vorliegende Antrag von Kriegsgegnern für ein sofortiges und bedingungsloses Ende der Nato-Bombardements entspreche den friedenspolitischen Positionen im Parteiprogramm der Grünen.

Die Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach, die die Minderheitenposition in der Fraktion vertrat, verlangte einen Ausstieg aus der Eskalationsspirale.Eine Unterbrechung lehnte sie ab, da sich die Nato so erneut unter Zugzwang setzen würde."Drohszenarien führen in die Sackgasse", erklärte sie.Es müsse eingeräumt werden, daß die Nato-Luftangriffe ein Fehler gewesen seien.Buntenbach sprach sich aber ausdrücklich für einen Verbleib der Grünen in der Regierung aus.Sie verlangte aber, daß sich der Kurs der Regierung ändern müsse.

Der eintägige Sonderparteitag konnte erst mit einstündiger Verspätung beginnen, weil einige hundert Kriegsgegner die Eingänge zur Tagungshalle unter Rufen wie "Kriegstreiber" und "Raus aus der Nato" versperrten.Sie wurden von Polizeikräften, die das Gelände abgesperrt hatten, zur Seite gedrängt.Dabei kam es vereinzelt zu Rangeleien.Fischer wurde im Saal von einem Farbbeutel getroffen und am Ohr verletzt.Im Krankenhaus mußte er wegen eines Risses im Trommelfell behandelt werden.

FRAUKE STAMER

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