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Flächenbrand droht: Libanon wird immer stärker in syrischen Bürgerkrieg hineingezogen
Die Hisbollah kämpft aufseiten Assads gegen Syriens Rebellen. Der Libanon wird so Teil des Bürgerkriegs. Nun droht ein Flächenbrand. Unterdessen prüft die EU, Teile der Hisbollah auf die EU-Terrorliste zu setzen. Doch das ist umstritten.
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Moschee-Lautsprecher rufen zum Blutspenden auf. Krankenwagen rasen heulend durch die Bekaa-Ebene. In schiitischen Grenzorten werden junge Männer zu Grabe getragen – von Tag zu Tag verstrickt sich die libanesische Hisbollah tiefer in den syrischen Bürgerkrieg. Allein am letzten Wochenende starben bei Gefechten mindestens 31 Kämpfer, nahezu hundert wurden verletzt – die schwersten Verluste der schiitischen Kampforganisation seit ihrem Krieg mit Israel im Jahr 2006. Trotzdem überquerten nach Augenzeugenberichten am Dienstag weitere Elitekämpfer die Grenze zu Syrien in Richtung Qusair, wo heftige Kämpfe zwischen Regime und Aufständischen toben. In einem Video präsentierten Rebellen den Unterarm eines Getöteten, in den ein Tattoo des schiitischen Heiligen Imam Hussein eintätowiert ist. Ein Sprecher der „Freien Syrischen Armee“ machte im Fernsehsender „Al Arabiya“ offen Front gegen Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah, kündigte ihm Vergeltung an und nannte ihn einen „Mörder des syrischen Volkes“.
Mit dieser jüngsten Eskalation droht sich der syrische Bürgerkrieg nun auszubreiten in eine Konfrontation zwischen Sunniten und Schiiten in der gesamten Region - nicht nur im Libanon, auch im Irak, wo letzte Woche bei gegenseitigen Bombenanschlägen zwischen sunnitischer Al Qaida und schiitischen Milizen mehr als 240 Menschen starben. Auf syrischem Boden treffen mit Hisbollah und Al Nusra-Gotteskämpfern erstmals die härtesten Elitetruppen beider islamischer Glaubenslager direkt aufeinander. Und der Libanon ist tief gespalten in Gegner und Anhänger des syrischen Diktators. In der Hafenstadt Tripoli starben drei Soldaten durch Kugeln von Assad-Feinden, während sunnitische Bewohner aus Solidarität mit den Qusair-Rebellen eine Kerzennacht organisierten. Schiitische Moscheen dagegen beteten im Südlibanon und in der Bekaa-Ebene für den Sieg der „Partei Gottes“.
Für Hisbollah-Ideologen allerdings wird es immer schwieriger, gegenüber der libanesischen Öffentlichkeit zu rechtfertigen, warum sich ihre Kämpfer auf syrischem Territorium mit arabischen Aufständischen blutige Gefechte liefern. Jahrzehntelang hatte die Organisation ihre Bewaffnung damit legitimiert, sie müsse libanesischen Boden von israelischer Besatzung befreien. Entsprechend konstruiert und gewunden fallen jetzt auch die Erklärungen der Führung aus. „Wir werden in ganz Syrien kämpfen, weil wir den Feind Israel bekämpfen“, sagte Scheich Mohammad Yazbeck, der zum Shura-Rat gehört, dem Führungszirkel der Hisbollah. Andere Kader beschimpften die Aufständischen als „Ungläubige und Dreck“, die nur den Interessen Israels dienten.
Das Zentralkommando der „Freien Syrischen Armee“ dagegen veröffentlichte einen Kampfaufruf an die eigenen Leute und beglückwünschte sie, ihr Land und ihre Ehre „gegen die Beschmutzung durch die kriminellen Terroristen der Hisbollah“ verteidigt zu haben. An die Adresse der Hisbollah-Führung heißt es in dem Text: „Wir wissen genau, wie eure Verbrecherorganisation aufgebaut ist. Wir wissen auch, wie man sie zerstören kann. Und wir werden sie zerstören.“ Der Oberbefehlshaber der Rebellen, General Salim Idriss, beschimpfte die Hisbollah in einem Interview als „religiöse Extremisten“ und als „Partei des Teufels“. Die Regierung in Beirut forderte er auf, die Kämpfer am Übertritt der Grenze zu hindern, sonst werde der syrische Bürgerkrieg bald auch vor ihrer Haustüre stehen. „Die libanesische Regierung war und ist gelähmt, was der Hisbollah in die Hände spielt“, urteilt dagegen Imad Salamey, Professor für internationale Politik an der Amerikanischen Universität von Beirut. „Die Regierung kann Hisbollah nicht stoppen. Und die libanesische Armee wird Hisbollah nicht am Eingreifen in Syrien hindern.“
Europäische Regierungen uneins über Vorgehen gegen Hisbollah

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Derweil prüft die Europäische Union nun offiziell, den militärischen Arm der libanesischen Hisbollah auf die EU-Terrorliste zu setzen. Den Antrag auf den Beginn eines solchen Verfahrens stellte Großbritannien, wie ein Diplomat am Dienstag in Brüssel der Nachrichtenagentur AFP sagte. Voraussetzung für eine Aufnahme auf die Terrorliste sind schlüssige Hinweise auf die Verwicklung der Schiitenmiliz in geplante oder bereits begangene "terroristische Handlungen" auf dem Territorium der Europäischen Union. Dies könnte im Juli 2012 der Fall gewesen sein. Damals gab es in Bulgarien einen Anschlag auf einen Bus mit israelischen Touristen. Sechs Menschen kamen dabei ums Leben. Die Regierung in Sofia machte für den Angriff die Hisbollah verantwortlich. Daraufhin forderten sowohl die USA als auch Israel und der Jüdische Weltkongress erneut von der EU, die vom Iran unterstützte Organisation auf die Terrorliste zu setzen.
Washington tut dies beispielsweise bereits seit 1995. Innerhalb der Europäischen Union ist allerdings umstritten, ob in dieser Form gegen die Hisbollah vorgegangen werden sollte. Die Gegner eines derartigen Schrittes verweisen darauf, dass die Hisbollah auch über einen "sozialen" Arm verfüge, sich zum Beispiel um die Bedürftigen im Libanon kümmere. Zudem wurde in den vergangenen Monaten unter anderem von Deutschland belastbares Material angemahnt, dass hinreichend beweise, dass die Hisbollah hinter dem Anschlag in Bulgarien steckt.
Die Befürworter einer Aufnahme der "Partei Gottes" auf die Terrorliste betonen dagegen, man könne bei der Miliz überhaupt nicht zwischen einem militanten und einem karitativen Arm unterscheiden. Beide dienten allein dem bewaffneten Kampf gegen Israel. Die EU-Terrorliste wurde als Reaktion auf die Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA geschaffen. Die Vermögen der darauf geführten Gruppen und Personen in der EU sollen möglichst eingefroren werden, ihre finanzielle Unterstützung ist verboten. Außerdem gelten verstärkte Maßnahmen zur Polizei- und Justizzusammenarbeit.
Der Jüdische Weltkongress begrüßte die Initiative der britischen Regierung ausdrücklich. „Eine Entscheidung Brüssels dazu ist seit langem überfällig“, sagte Generalsekretär Maram Stern dem Tagesspiegel. Er hoffe, dass alle 27 Mitgliedstaaten dem Antrag baldmöglichst zustimmen. „Allerdings ist die Trennung zwischen militärischer und politischer Organisation eine künstliche. Die Kommandostrukturen der Hisbollah sind dieselben“, betonte Stern. Nicht erst seit dem Anschlag in Bulgarien setze die Hisbollah gezielt Terror gegen die Zivilbevölkerung als Mittel der politischen Auseinandersetzung ein. „Es ist bedauerlich, dass sich die Europäische Union bislang nicht zu einem eindeutigen Signal gegen den Fanatismus und Terrorismus dieser Gruppierung hat durchringen können.“
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