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In der Defensive: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) muss im Bundestrag ihre Flüchtlingspolitik verteidigen.

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Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin: Der Druck aus den eigenen Reihen wächst schnell

Es wird ungemütlicher für Angela Merkel. Von den Abgeordneten der Union im Bundestag wächst der Widerspruch gegen ihre Flüchtlingspolitik.

Von Robert Birnbaum

Zwei Jahre hat es in der Griechenland-Krise gedauert, bis der CDU-Rebell Klaus-Peter Willsch zum ersten Mal im Bundestag zu Wort kam. In der Flüchtlingskrise ist der Punkt, an dem die Kanzlerin im Reichstag Widerworte hören muss, nach zwei Monaten erreicht. Hans-Peter Friedrich steht am Donnerstag am Rednerpult und fordert den Stopp der Flüchtlingsströme. „Wir können nur so viele aufnehmen, wie wir auch integrieren können, ohne unsere Kultur und Werte zu gefährden“, ruft der frühere CSU-Innenminister, und aus den Reihen der Union erntet er Beifall. Europa müsse seine Außengrenzen  wieder schützen, „nicht irgendwann und nächstes Jahr, sondern jetzt!“ Sonst bleibe nichts übrig, als die deutsche Grenzen dicht zu machen. 

Angela Merkel sitzt in der Regierungsbank und schaut nicht von ihrem Tablet auf. Dass Friedrich heute hier und so reden darf, zeigt überdeutlich, wie schnell  der Druck auf sie wächst. Für die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende wird die Bewältigung der Flüchtlingskrise zunehmend zum Rennen gegen die Zeit.

Dabei ist Zeit eigentlich das, was sie dringend brauchte, um ihre Pläne umzusetzen. Kurz bevor Merkel sich zum EU-Gipfel nach Brüssel auf den Weg macht, erläutert sie noch einmal, wie sie den Umgang mit dem massenhaften Flüchtlingsandrang vorstellt:Solidarität zwischen den Europäern bei der Aufnahme von Flüchtlingen wie bei der gemeinsamen Sicherung der Außengrenzen, Finanzhilfen und sonstige Unterstützung für die  Türkei, Hilfen für die UN-Flüchtlingshilfe.

„Es gibt nicht den einen Schalter, den man umlegen kann“, beharrt Merkel. „Abschottung im 21. Jahrhundert des Internets ist auch keine Alternative.“ Eine Lösung werde es nur für ganz Europa geben. Merkel verspricht, sich beim EU-Gipfel dafür stark zu machen. Die Unionsfraktion hört bei diesen Passagen stumm zu. am Ende wird sie sehr lange, aber ohne jeden Enthusiasmus applaudieren.

Selbst die Gutwilligen fragen immer lauter nach den Grenzen des Möglichen

Die Abgeordneten stehen in ihren Wahlkreisen überall unter Druck. Selbst die Gutwilligen, die sich für Flüchtlinge engagieren, fragen immer lauter nach den Grenzen des Möglichen. Merkels Haltung, dass mit gutem Willen vieles möglich werde, stösst an praktische Grenzen: Wo keine Zelte, Container und Turnhallen mehr zu kriegen seien, sagt ein CDU-Mann, helfe  der beste Wille  nicht.

Die Zeit, in der Erstaufnahmelager und Kommunen für immer neue tausende Flüchtlinge auf normalem Wege Unterkunft beschaffen können, läuft in absehbarer Zukunft ab. Vor Ort und in Berlin hoffen viele heimlich auf einen raschen Wintereinbruch; dann könnte die Zahl der Neuankömmlinge  deutlich sinken. Aber ob zuerst der Zustrom versiegt oder zuerst Helfer und   Kommunen die weiße Fahne hissen, kann niemand sagen.

Immerhin vermerken etliche Abgeordnete hinterher mit Genugtuung, dass in Merkels Regierungserklärung ein paar neue Töne zu hören sind. Da ist zum Beispiel der wie nebenbei dahingesprochene Hinweis, dass Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention zunächst nur für drei Jahre Anspruch auf Aufnahme haben. Das gilt also für die allermeisten der Bürgerkriegsflüchtlinge, die inzwischen in Deutschland sind.

Noch bemerkenswerter ist, was fehlt im Redetext: „Wir schaffen das“ kommt diesmal nicht vor. Am Abend vorher hat Merkel ein CDU-Mitglied bei der „Zukunftskonferenz“ im sächsischen Schkeuditz entgegen geschleudert, dass „weite Teile der Bevölkerung“ den Satz nicht mehr hören könnten. Der Abend war für die CDU-Chefin auch sonst ungemütlich. Zahlreiche Redner forderten einen offenen Kurswechsel, einer sah „nationale Katastrophen“ heraufziehen, wenn es so weiter geht, und ein anderer hatte gleich ein Plakat mitgebracht, auf dem er unverhohlen „Merkel entthronen“ forderte.

Noch muss Angela Merkel die eigene Partei nicht fürchten

Das ging selbst Mike Mohring zu weit, dem thüringischen CDU-Fraktionschef, der nun wirklich nicht als bedingungsloser Merkel-Fan bekannt ist: „Nach Angela Merkel kommt nur rot-grün oder rot-rot-grün“, warnte er. Merkel verteidigte  vor den  Aufgebrachten ihren Kurs. Aber das Treffen in Schkeuditz war ein klarer Hinweis darauf, dass die Stimmung an Teilen der Basis fragiler ist, als es die eher ermutigenden „Zukunftskonferenzen“ in Wuppertal und Stade nahelegten – selbst wenn man in Rechnung stellt, dass in der Ost-CDU das Stichwort „Ausländer“ noch stärker polarisiert als anderswo in der Republik.

Noch muss Merkel die eigenen Truppen nicht fürchten und Meldungen  der „Bild“-Zeitung nicht weiter ernst nehmen, dass  Wolfgang Schäuble sich insgeheim  darauf vorbereite, sie zu ersetzen. Merkel kommentiert den Bericht auf ihre Weise. Während im Bundestag die Opposition spricht, sieht man die Kanzlerin betont entspannt und ausführlich  mit ihrem Finanzminister plaudern. Schäuble spielt mit und lächelt viel. Doch Merkel kennt ihre CDU gut genug, um zu wissen, dass die  Solidarität zur Führung Grenzen kennt. Gehen die Umfragen weiter nach unten, wird auch ein Kanzlerinnenwahlverein nervös und unberechenbar.

Den CSU-Mann Friedrich im Plenum reden zu lassen, ist also wohl als  Versuch zu deuten, Druck aus dem Kessel zu nehmen. Den zweiten Versuch macht der Innenminister.  „Die Zahl derer, die in diesem Jahr kommen, ist einfach zu hoch“, sagt Thomas de Maizière (CDU) in der anschließenden Debatte über das erste Asyl-Gesetzespaket. De Maizière räumt auch ein: „Die Sorgen werden größer.“ das dürfe man aussprechen, denn die Sorgen der Menschen seien auch die der Politiker. Allerdings reiche es nicht, Sorgen zu verstehen, betont er: Politiker  müssten sie auch abbauen. Zum Beispiel durch das Gesetzespaket, das der Bundestag später verabschiedet.

Das Paket allerdings zeigt auch: Politik im demokratischen System tut sich schwer mit schnellen Schritten. Erst Ende November – Merkel erwähnt es in ihrer Regierungserklärung – werden die neuen Maßnahmen wirksam. Noch langsamer geht es international. Selbst wenn sie vom EU-Gipfel Zusagen der anderen Europäer mitbringt oder am Sonntag aus Istanbul die Bereitschaft der Türkei, gegen Geld und politische  Zugeständnisse einen Teil der Flüchtlingswelle abzufangen – selbst dann dauert die Umsetzung  Monate. Für die  schon beschlossenen 1100 zusätzlichen Beamten für die EU-Grenztruppe Frontex tröpfeln die Zusagen aus den meisten EU-Staaten nur sehr zögerlich ein; in vielen Ländern der Gemeinschaft gilt die Flüchtlingsfrage schlicht als „deutsches Problem“. Vollends in den Sternen steht ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien, der die Fluchtwelle ursächlich auslöst. „Auch das braucht einen langen Atem, vielleicht einen sehr langen“, warnt Merkel.

Aber langen Atem mag nicht jeder haben. Beim  Koalitionspartner SPD steigt die Nervosität. Magdeburgs Oberbürgermeister tritt aus der Partei aus, der Lüneburger Oberbürgermeister Ulrich Mägde wirft Merkel und der eigenen Partei Realitätsverweigerung vor: „Ich stelle fest, dass im Bund die Realität noch nicht angekommen ist“, schimpft Mägde im NRD. Nur einer habe sie begriffen, weil der  mit seinen Bürgermeistern und Landräten spreche: Horst Seehofer nämlich.

Horst Seehofer warnt vor Wahlniederlagen

Der CSU-Chef hat schon lange keinen langen Atem mehr. Auch er gibt am Donnerstag eine Regierungserklärung ab, als Ministerpräsident im bayerischen Landtag. „Ohne Begrenzung der Zuwanderung werden wir als staatliche Gemeinschaft in Deutschland und Europa grandios scheitern“, prophezeit er, malt „ein unabsehbares Sicherheitsrisiko“ an die Wand und warnt vor Wahlniederlagen. Aber an ihm, darauf legt der Bayer neuerdings gesteigerten Wert, an ihm werde das dann nicht liegen: „Niemand anders ist für Zuwanderungs- und Aufenthaltsrecht zuständig als der Bund“, betont Seehofer. „Dafür wird Bayern nicht die politische Verantwortung übernehmen.“

Das enthebt ihn praktischerweise auch der Antwort auf die Frage, die seinem Paladin Friedrich im Bundestag gestellt wird. Der Linke Klaus Ernst will von dem Ex-Minister wissen, wie er sich das denn konkret vorstelle, die deutsche Grenze dichtzumachen gegen tausende, zehntausende Menschen? Da werde es nicht reichen, dass Polizisten mit Knüppeln wedelten. „Wo hören Sie auf?“ Ob er schießen lassen wolle?

Das ist genau der Satz zu viel, weil er es Friedrich leicht macht. „Sie sind ein Radikaler“, gibt der CSU-Mann zurück. Aber in der Sache fällt ihm auch nur der Rückzug aufs Staatsrecht ein: „Wir können das doch nicht aufgeben! Wir müssen in der Lage sein, unsere Grenzen zu schützen!“ Merkel schaut weiter konzentriert auf ihr Tablet. Sie müsste ja sonst am Ende noch dem Linken Ernst beifällig zunicken.

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