zum Hauptinhalt
Auch solche Meinungen gibt es noch, aber sie geraten zunehmend in die Defensive.

© Sophia Kembowski/dpa

Flüchtlingspolitik: Die schleichende Kriminalisierung von Flucht

Es gibt sinnvolle Asylverschärfungen und solche, die Flüchtlinge pauschal zu potenziell Verdächtigen machen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Es ist zu laut, zu eng, es gibt keine Küchen, dafür Ärger mit der Security und nun auch noch Bettwanzen! Die Flüchtlinge, die im ehemaligen Rathaus von Berlin-Wilmersdorf untergebracht sind, klagen über die dortige Wohnqualität.

Gemeldet wurde das unter anderem im Lokalteil dieser Zeitung, Fernsehteams waren auch vor Ort und haben die Frauen, Männer und Kinder gefilmt, die seit ein paar Tagen vor der Tür des Hauses campieren. Aus Protest gegen die Zumutungen.

Und, was denken Sie, wenn Sie das lesen? Vielleicht blitzt ein Gedanke auf, der schnell wieder unterdrückt wird, vielleicht bleibt er auch. Der Gedanke: „Wenn es hier so unerträglich ist, dann fahr’ doch nach Hause.“ Das Rummeckern von Geflohenen an den Modalitäten des Aufgenommenwordenseins kommt nicht gut an. Es steht im Verdacht des Undanks, der Dreistigkeit. Und vielleicht ist das nicht in jedem Fall falsch. Aber grundsätzlich richtig ist es deshalb auch nicht.

Die Stimmung in Sachen Flüchtlinge hat sich im Jahr 2016 dramatisch verändert, die Stichworte, die das benennen, müssen nicht wiederholt werden. Die neue Skepsis, der wachsende Überdruss, Angst- und Überforderungsszenarien bereiten einen fruchtbaren Boden auch für den politischen Umlenkungsprozess. Besichtigen lässt der sich beispielsweise in den Verschärfungen der Asylgesetze, von denen es in den vergangenen Monaten zahlreiche gegeben hat, und in den neuen Regeln, die das Abschieben erleichtern sollen.

Dazu kommen die am Donnerstag voriger Woche beschlossenen erweiterten Zugriffsrechte auf Flüchtlinge und abgelehnte Asylbewerber. Mit dieser letzten Verschärfung solle es nun erst mal genug sein, kündigte der zuständige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) an – „in dieser Legislaturperiode“. Die neuen Regeln umfassen die Fußfessel und Abschiebehaft, auch wenn keine Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate stattfindet – beides nur für Personen, die als gefährlich eingestuft werden –, und das Auslesen von Handys und anderen Datenträgern. Das betrifft potenziell alle.

Recht auf Privatsphäre - nicht für Flüchtlinge?

Das Land, in dem nach den Übergriffen beim Kölner Silvesterfest 2015/6 die gesamte politische Klasse gegen Generalverdächtigungen von Flüchtlingen aufrief, hat nun letztlich diesen Generalverdacht zum Gesetz gemacht. Die Aufhebung oder zumindest Einschränkung des Rechts auf Privatsphäre ist eine Entrechtung aller Flüchtlinge, die in Deutschland sind. Das passt in die Logik, die seit dem verspäteten Erschrecken über den ungeordneten Flüchtingszustrom von 2015 das Handeln bestimmt. Flüchtlinge sind längst nicht mehr willkommen, das Streben ist, sie loszuwerden. Und die Methode, ihr Da-Sein wie auch ihr Kommen zu kriminalisieren.

Letzteres beklagen bereits seit Längerem private Hilfsorganisationen, die zu Seenotrettungszwecken auf dem Mittelmeer unterwegs sind. Sie wurden, wie berichtet, zuletzt auf eher spekulativer Basis von einem sizilianischen Staatsanwalt der Kooperation mit den libyschen Schlepperbanden verdächtigt. Und jetzt traten auch mehrere deutsche Anwälte, die sich mit Ausländerrecht beschäftigen, an die Öffentlichkeit und kritisierten die Kriminalisierung von Flüchtlingen und Fluchthelfern durch den Gesetzgeber.

4600 Festnahmen wegen Schleusungstätigkeit

Knapp 4600 Menschen wurden nach Angaben der Bundesregierung seit 2015 wegen Schleusungstätigkeiten festgenommen. Bei ihnen geht es vor allem um die im Paragraf 96 dargestellten Straftatbestände im Zusammenhang mit der illegalen Einreise von Ausländern. „Äußerst schlechtes Recht“ nennt das beispielsweise der Berliner Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der unter anderem als Ko-Vertreter von Edward Snowden Bekanntheit erlangte. Er plädiert dafür, die Schleuserparagrafen ganz abzuschaffen und die Straftaten im Zusammenhang mit illegalen Grenzübertritten in das bereits existierende Strafrecht einzugliedern.

Ebenso sieht es die seit 17 Jahren im Ausländerrecht tätige Berenice Böhlo, die mit Kaleck im Republikanischen Anwaltsverein organisiert ist. Ein Flüchtling könne nicht dafür bestraft werden, dass er illegal einreise, sagt sie, das widerspreche der Genfer Flüchtlingskonvention, deren Artikel 31 Straffreiheit für illegal eingereiste Flüchtlinge thematisiert. Es widerspricht darüber hinaus auch dem gesunden Menschenverstand. Nach Böhlos Erfahrung entpuppen sich vor Gericht viele Fälle von Schleuserkriminalität als Familiendrama: Wenn etwa Eltern Kinder über die Grenze holen und dabei erwischt werden.

Eine von der EU geförderten Studie zur vergleichenden Untersuchung der Asylsysteme in Deutschland, Österreich, Italien und Griechenland hat zudem ergeben, dass die Verschärfung der Strafen für Schleuserkriminalität keine Effekte erziele. Das spricht dafür, dass die Täter entweder zur Organisierten Kriminalität zu zählen sind, die sich von Gesetzen nicht beeindrucken lässt – oder dass es um Straftaten aus Fürsorge und Liebe geht, für die dasselbe gilt. „Wir sollen nicht Verhalten für strafbar erklären, dass jeder von uns in derselben Situation auch an den Tag legen würde“, sagt Berenice Böhlo – und sie hat recht.

Zur Startseite