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Im Zeichen der Raute. Zeigt Kanzlerin Merkel Haltung. Oder folgt sie ihren Gefühlen. Oder den Umfragen?

© Stefanie Loos/Reuters

Flüchtlingspolitik in Deutschland: Merkels Reue kommt zu spät

Erst "Wir schaffen das", dann das Eingeständnis, Fehler gemacht zu haben: Bei Angela Merkel weiß man nicht, was als nächstes kommt. Das kostet sie Vertrauen. Ein Kommentar.

Der „Spiegel“ hat eine Umfrage in Auftrag gegeben. 82 Prozent der Bevölkerung lehnen Angela Merkels Flüchtlingspolitik ganz oder teilweise ab. Unter „Flüchtlingspolitik“ scheint das verstanden zu werden, was im letzten Herbst passierte. Ich musste lachen. Wie oft habe ich gelesen, dass 80 Prozent oder mehr hinter Merkels Maßnahmen stünden, denn es wählen ja nur 15 oder 20 Prozent AfD. Die Wahrheit ist, dass eine Mehrheit der Wähler die Flüchtlingspolitik zwar kritisch sieht, aber davor zurückschreckt, eine rechte Partei zu wählen. Noch. Man muss diese Leute nur lange genug als Fremdenfeinde und Nazis beschimpfen, dann steht die AfD bei 30 Prozent.

In der Debatte wird gern so getan, als seien alle Gegner grenzenloser Einwanderung für „Abschottung“ und gegen alles Fremde. Als ob es zwischen totaler Abschottung und der Abschaffung der Landesgrenze, Herbst 2015, keinen Mittelweg gäbe! Ich glaube, dass die Mehrheit, die meisten dieser 82 Prozent, nicht Angst vor „den Flüchtlingen“ hat oder „dem Islam“, weder sind 82 Prozent fremdenfeindlich, noch dumpf, noch rechtsextrem.

Angstmache, unbegründet

Sie haben, zu Recht, Angst vor einem Staat, der hilflos in der Brandung treibt und nichts mehr steuern kann. Dieses Bild hat sich dauerhaft festgesetzt, es verbindet sich für viele mit Merkel. Den neuen Maßnahmen, diesen Korrekturen, trauen deshalb viele nicht. Man hat ihnen zu oft die Unwahrheit gesagt. Die Terrorgefahr steigt? Angstmache, unbegründet. Die Integration kostet zig Milliarden? Fremdenfeindlich! Vieles, was sich später als wahr herausstellte, wurde erst mal abgestritten.

Ein paar Tage, nachdem die Zahl „82 Prozent“ bekannt wurde, hat Merkel ihre Reuerede gehalten. Die neue offizielle Linie: Wir haben Fehler gemacht. Mich erinnert das an die Geschichte der KPD. Heute sagt die Partei dies, morgen jenes, heute paktiert sie mit der SPD, morgen ist die SPD der Hauptfeind. Als Genosse musstest du aufpassen, nicht versehentlich die Parteilinie des letzten Jahres zu vertreten, das war gefährlich.

Ich glaube nicht, dass Angela Merkel diese Reuerede viel nützt. Es kommt zu spät, es wirkt unaufrichtig. Wann hat Merkel gemerkt, dass ihre Entscheidungen des letzten Jahres nicht das Gelbe vom Ei waren? Letzte Woche? Wenn ihr das schon länger klar war, warum hat sie so lange geschwiegen? Hat sie darauf gehofft, dass die Stimmung sich vielleicht doch dreht?

Ein eigenes Genre: die Merkel-Deutung

Über das, was in Angela Merkel vorgeht, über ihre Motive, wird gern spekuliert, die Merkel-Deutung ist ein journalistisches Genre geworden. Hat sie eine Haltung? Folgt sie ihren Gefühlen, oder den Umfragen? Man wird’s wohl nie erfahren. Fest steht, dass man bei ihr nicht weiß, was als nächstes kommt. Das Vertrauen ist deshalb bei vielen weg.

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