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Frankreichs Präsident François Hollande am vergangenen Samstag auf der Landwirtschaftsmesse in Paris.

© REUTERS

Frankreich: Es wird einsam um Hollande

Das Zerwürfnis bei Frankreichs regierenden Sozialisten verschärft sich: Nach dem Rückzug von Justizministerin Taubira aus dem Kabinett streitet die Partei jetzt über eine Reform des Arbeitsrechts.

Kanzlerin Angela Merkel hat in der ARD-Sendung „Anne Will“ am Sonntag die Flüchtlingskrise als „die bislang größte Herausforderung meiner Kanzlerschaft“ bezeichnet. Ganz andere Sorgen hat hingegen derzeit der Franzose François Hollande, der als Staatschef von Deutschlands wichtigstem EU-Partner aus der Sicht der Kanzlerin eigentlich einen wichtigen Beitrag zur europäischen Lösung der Flüchtlingskrise leisten müsste. Während Merkel in erster Linie mit der Flüchtlingskrise beschäftigt ist, kämpft Hollande 14 Monate vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich vor allem um seine letzte Chance für eine erneute Kandidatur. Der Staatschef steht dabei mehr denn je unter Druck, weil sich die Linke der sozialistischen Regierungspartei zunehmend von ihm abwendet. Seine Beliebtheitswerte befinden sich im Sinkflug – am vergangenen Wochenende musste er sich Pöbeleien auf der Landwirtschaftsmesse „Salon de l’Agriculture“ in Paris anhören.

Streit um 35-Stunden-Woche - ein Heiligtum in der französischen Politik

Auslöser für den jüngsten Streit bei den Sozialisten ist das Gesetz um die 35-Stunden-Woche, das in Frankreich gewissermaßen als politisches Heiligtum gilt. Die Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit Ende der Neunzigerjahre geht auf die ehemalige Arbeitsministerin Martine Aubry zurück, die Tochter des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors. Derzeit bereitet Hollandes Regierung Lockerungen beim Arbeitsrecht und eine Reform der 35-Stunden-Woche vor. Dabei soll die Arbeitszeitbegrenzung zwar im Kern erhalten bleiben, doch sollen Urabstimmungen in den Betrieben Abweichungen ermöglichen. Aus Protest kündigte Aubry am Wochenende ihren Rückzug aus der Parteiführung der Parti Socialiste an.

Die Stimme der Parteilinken Aubry hat bei den Sozialisten Gewicht. Zwar beteuerte die frühere Parteichefin am vergangenen Wochenende, dass sie vor den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr keinesfalls als Kandidatin ihren Hut in den Ring werfen wolle. Dennoch vertieft sich mit ihrem Rückzug der Riss, der durch die Regierungspartei geht. Dass die Parteilinke Probleme mit Hollandes Kurs hat, wurde bereits im Januar deutlich, als Justizministerin Christiane Taubira im Streit um die geplante Verfassungsreform und die Terrorbekämpfung zurücktrat.

Hollande hat Probleme, sich als Galionsfigur einer geeinten Linken zu präsentieren

Die Misstrauensbekundungen der Parteikolleginnen Aubry und Taubira dürften Hollande schmerzen. Wenn er sich noch ein Fünkchen Hoffnung für eine Präsidentschaftskandidatur wahren will, dann muss er sich als Galionsfigur einer geeinten Linken präsentieren können. Diesem Zweck diente auch die jüngste Kabinettsumbildung: Die Ernennung von Jean-Marc Ayrault zum Außenminister galt als Zugeständnis an die Parteilinke.

Doch mit dem Streit um das Arbeitsrecht und die 35-Stunden-Woche sind bei den Sozialisten die alten Grabenkämpfe wieder aufgeflammt. Die Parteilinke weiß dabei die Gewerkschaften hinter sich, die bereits massive Proteste gegen die Reformen angekündigt haben.

Die Vorstellung des umstrittenen Gesetzes im Kabinett wurde verschoben

Einen derartigen Showdown will Regierungschef Manuel Valls, der einen sozialliberalen Kurs vertritt, vermeiden. Am Montag erklärte der Regierungschef deshalb, dass der Gesetzesentwurf zum Arbeitsrecht nun zwei Wochen später als geplant im Kabinett vorgestellt werden solle, um „Missverständnisse“ zu beseitigen. Ursprünglich war geplant, den Entwurf am 9. März im Ministerrat vorzustellen.

Hollandes Probleme gehen aber weit über Detailfragen im Arbeitsrecht hinaus. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ifop ist die Popularität des Präsidenten inzwischen inzwischen so weit geschwunden, dass der Sozialist bei der Präsidentschaftswahl in der ersten Runde sowohl gegen Nicolas Sarkozy als auch gegen Alain Juppé den Kürzeren ziehen würde – also jenen beiden Politikern, die sich bei den oppositionellen Republikanern für eine Kandidatur warmlaufen. Weil die Lage für Hollande zunehmend aussichtslos erscheint, rechnen immer mehr Beobachter mit einer Präsidentschaftskandidatur von Manuel Valls im Lager der Sozialisten.

Beschimpfungen auf der Landwirtschaftsmesse

Obendrein musste sich der Präsident am vergangenen Wochenende auf der Landwirtschaftsmesse Pöbeleien von aufgebrachten Bauern anhören. Die Landwirte, die wegen des Preisverfalls in eine bedrohliche Lage geraten sind, beschimpften ihn als „Nichtsnutz“, „Mistkerl“ und „Vollidiot“. Allerdings hat es bereits eine gewisse Tradition, dass Frankreichs Staatschefs auf der jährlichen Agrarmesse ein unfreundlicher Empfang bereitet wird. Hollandes Amtsvorgänger Sarkozy leistete sich seinerzeit im „Salon de l’Agriculture“ einen Fehltritt, als er einen Mann, der ihm nicht die Hand geben wollte, mit den Worten beschimpfte: „Hau ab, armseliger Blödmann“.

Frankreichs Staatschef hat derzeit andere Probleme als die Flüchtlingskrise

All dies wird Angela Merkel bedenken müssen, wenn sie am kommenden Montag beim Brüsseler Flüchtlingsgipfel mit der Türkei auch mit Hollande zusammentreffen wird. Bei dem Gipfel will Merkel hören, wie weit die Europäische Union mithilfe der Regierung in Ankara beim Schutz der EU-Außengrenzen vorangekommen ist. Hollande ist sich mit der Kanzlerin einig, dass der Zustrom der Flüchtlinge an den Außengrenzen der Gemeinschaft gestoppt werden muss.

Damit ist der Vorrat der Gemeinsamkeiten zwischen Berlin und Paris in der Flüchtlingskrise aber auch schon fast erschöpft. Dass Hollande und vor allem sein Regierungschef Valls eine harte Linie in der Flüchtlingspolitik verfolgen, zeigte sich am Montag. Unter den Augen eines massiven Polizeiaufgebotes räumten die französischen Behörden einen großen Teil des Flüchtlingslagers bei Calais. Von dort hatten in der Vergangenheit Migranten immer wieder versucht, durch den Kanaltunnel nach Großbritannien zu gelangen. Die Flüchtlinge aus dem als „Dschungel“ bekannten Camp sollen nun unter anderem in einem Containerlager in Calais untergebracht werden.

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