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Proteste gegen die islamistische Dominanz in der Verfassungsgebenden Versammlung

© dapd

Frauenrechte: Ägypten streitet über Scharia-Artikel in der Verfassung

Ein spezieller Artikel der Verfassung soll die Scharia berücksichtigen, Kritiker protestieren gegen die Übermacht der Islamisten. Wohin führt die Diskussion das Land?

Das Fass zum Überlaufen brachte der Entwurf von Artikel 36. Im neuen ägyptischen Grundgesetz soll der Text die Rechte und Pflichten der Frauen regeln, sofern diese nicht „den Vorschriften der Scharia widersprechen“. „Nirgendwo sonst im bisherigen Verfassungstext gibt es einen solchen Verweis auf die Scharia, nur in dem Artikel über Frauenrechte“, empört sich Nehad Aboul Komsan, Vorsitzende des „Ägyptischen Zentrums für Frauenrechte“.

Für kommenden Freitag haben 21 säkulare Gruppen und Parteien zu einer Protestkundgebung auf dem Tahrir-Platz aufgerufen – gegen das Monopol der Islamisten in der Verfassungsgebenden Versammlung. „Wir fordern eine Verfassung im Konsens, die die Verschiedenartigkeit der ägyptischen Gesellschaft widerspiegelt“, heißt es in der gemeinsamen Petition der Demokratiebewegung „6. April“, der Sozialdemokraten, der Verfassungspartei von Mohammed el Baradei sowie der „Volksbewegung“ des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Hamdeen Sabbahi. Der Linkspolitiker war Ende Mai nur knapp am zweiten Wahlgang gescheitert und hatte im Großraum Kairo mit Abstand die meisten Stimmen bekommen. Er und seine Mitstreiter werfen Muslimbrüdern und Salafisten vor, Ägypten in einen theokratischen Staat verwandeln zu wollen. Auch müssten die alten Kräfte des Regimes endlich aus Verwaltung und Sicherheitsapparat entfernt werden. Bisher habe die Revolution nichts weiter hervorgebracht als einen Wechsel von den korrumpierten Eliten des alten Regimes zu den neuen Eliten des politischen Islam. „Das gesamte bisherige Regiment mit seiner Korruption und seinem Autoritarismus blieb unangetastet“, heißt es in dem Manifest.

Alle Vertreter „nationaler und demokratischer Kräfte“ riefen die Aktivisten auf, ihr Mandat in der Verfassungsgebenden Versammlung niederzulegen. Acht Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung haben inzwischen aus Protest gegen die übermächtige islamistische Dominanz ihr Mandat niedergelegt. Für die nubische Menschenrechtlerin Manal al Tibi war vorige Woche das Maß voll, als ein Verfassungsartikel wieder gestrichen wurde, der das Mindestheiratsalter für Mädchen auf 18 Jahre festlegen und Menschenhandel mit minderjährigen Mädchen unter Strafe stellen sollte. Ihren Abgang begrüßte das Männerplenum mit höhnischem Applaus. „Schlimmer als alle bisherigen Verfassungen“, nannte sie in ihrem Rücktrittsschreiben das kommende Grundgesetz, ihre Mitarbeit in der Verfassungsgebenden Versammlung eine „bittere und schwarze Erfahrung“.

Mit mindestens 60 der 100 Sitze beherrschen Muslimbrüder und Salafisten das Plenum bisher nach Belieben. Die weibliche Hälfte der Bevölkerung ist dagegen nur mit sechs Frauen vertreten. Die Abstimmung zu den weit über hundert Verfassungsartikeln, die jeweils eine Zweidrittel-Mehrheit von 67 Stimmen erfordern, soll noch diese Woche beginnen. Noch vor Jahresende könnte das neue Grundgesetz dann dem Volk zum Referendum vorgelegt werden, auch wenn vor dem Obersten Verwaltungsgericht noch eine Klage gegen die Rechtmäßigkeit der Versammlung insgesamt anhängig ist.

Frauenrechtlerinnen kritisieren den Artikel 36 als Gummiklausel, die von islamistischen Kräften leicht genutzt werden kann, um mühsam errungene Rechte wieder rückgängig zu machen, ein Urteil, dem sich auch Human Rights Watch (HRW) in einem offenen Brief an die Verfassungsgebende Versammlung anschloss. Das Plenum könne „das Fundament legen für den Respekt von Menschenrechten im Ägypten von Morgen“, sagte Nadim Houry, HRW-Vizechefin für Nahost. Der bisherige Entwurf jedoch verfehle dieses Ziel. Sobhi Saleh, einer der Wortführer der Muslimbruderschaft, begründete die Klausel damit, dass Ägypten internationale Konventionen unterschrieben habe, die gegen die Scharia verstießen. Als Beispiele nannte er das Recht von Männern und Frauen auf einen gleichen Erbteil, die Legalisierung von gleichgeschlechtlichen Ehen und die Abschaffung der Vielehe. Falle der Scharia-Vorbehalt weg, „muss Ägypten künftig Praktiken erlauben, die gegen den Islam sind, und das ist nicht akzeptabel“. Die Kritiker des Artikels 36 bezichtigte er, „die islamische Religion nicht anzuerkennen“.

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