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Noch ist das Abkommen nicht endgültig gescheitert.

© REUTERS

Freihandelsabkommen mit USA: TTIP lebt – noch

Mit dem Thema Freihandel lässt sich Stimmung machen. Politiker wie Sigmar Gabriel wollen das für sich nutzen. Doch das könnten sie noch bitter bereuen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Totgesagte leben länger. Gilt das auch für die Transatlantische Wirtschaftsabkommen? Der beste Beweis, dass TTIP noch nicht gescheitert ist, sind Sigmar Gabriel und, auf andere Weise, die lautstarken TTIP-Gegner. Warum machen sie sich die Mühe, eine angebliche Leiche alle paar Wochen erneut für tot zu erklären? Die wichtigste Antwort: Der Wahlkampf hat begonnen.

Freihandel ist eines der Themen, bei denen Unterschiede zwischen den Parteien noch sichtbar sind – und mit denen sich Stimmung machen lässt. Daneben spielen taktische Motive eine Rolle und die Veränderung der Großwetterlage durch den Brexit, Donald Trumps Aufstieg in den USA mit Antifreihandelsrhetorik, aber auch eine Gegenströmung, die den Zusammenschluss der westlichen Marktwirtschaften angesichts von Krisen und Kriegen dringender erscheinen lässt.

In Sigmar Gabriel treffen die Spannungen aufeinander. Der Wirtschaftsminister kennt die wirtschaftlichen und geostrategischen Argumente für TTIP. Deutschlands Wohlstand hängt am Freihandel. Eine Angleichung der wichtigsten Industrienormen und Verbraucherstandards zwischen Europa und Nordamerika würde Milliarden Kosten sparen und wie eine weltweite Vorgabe wirken, der sich Asien und Südamerika nicht entziehen können. Vor zwei Jahren war Gabriel ein vehementer TTIP-Befürworter, der unerschrocken mit den Gegnern kämpfte, obwohl der NSA-Abhörskandal damals auch Schatten auf TTIP warf.

Der SPD-Vorsitzende Gabriel hat freilich beobachtet, welche Mobilisierung sich mit den Protesten gegen TTIP – und nun auch gegen Ceta, das vermeintlich „gute“ Freihandelsabkommen mit Kanada – erreichen lässt: Chlorhühnchen, Investitionsschutz, genveränderter Mais brachten Hunderttausende auf die Straße. Die Gewerkschaften sind gespalten. Im DGB haben die Gegner die Oberhand, auch wenn die Betriebsräte der Auto- und Maschinenbauer sowie der Medizintechnik für TTIP sind.

Falsche Argumente, falsche Herangehensweisen

Die öffentliche Stimmung in Deutschland ist gekippt. Die Gegner äußern sich laut, die Befürworter leise; sie hoffen, dass die Politik TTIP am Ende durchsetzen wird, auch wenn die Nutznießer sich zurückhalten. Gabriel hat die Witterung aufgenommen und in der Phase der Positionierung für die Bundestagswahl erneut hinaustrompetet, was er schon im April, im Mai und Mitte Juli sagte: TTIP ist gescheitert, da die Amerikaner sich nicht auf die Europäer zubewegen.

Dem Ausland geben diese deutschen Windungen Rätsel auf. Überall nimmt man an, dass die Deutschen die Gewinner des Freihandels wären, wie sie schon die Gewinner der Freihandelszone EU und der Erweiterung dieser EU waren. Erlauben sie sich erneut eine romantisch verklärte Mixtur aus Realitätsverweigerung und Angstkampagne wie beim Waldsterben und der Friedensbewegung, die Abrüstung vom Westen, aber nicht vom Osten verlangte, obwohl der ihr Land bedrohte? Es irritiert auch, dass Linke und Rechtsextreme so merkwürdig einig wirken in ihrer Sehnsucht nach nationaler Abschottung, die vor den Zumutungen des internationalen Austauschs schützt.

TTIP ist noch nicht tot. Sonderlich lebendig ist es freilich auch nicht. Das Projekt kämpft mit lebensbedrohlichen Wunden, die ihm teils seine Anhänger, teils seine Gegner zugefügt haben. In der Annahme, dass sich kaum jemand für ein so trockenes Wirtschaftsthema interessiert, hatten die Insider dieses Abkommen wie unzählige zuvor hinter verschlossenen Türen aushandeln wollen. Mit zum Teil falschen Argumenten, aber einer hochprofessionellen Kampagne machten die Gegner TTIP dann zum öffentlichen Thema. Im Idealfall beginnt jetzt eine dritte Phase, in der die Bürger die Gegenbewegung ähnlich scharf unter der Lupe nehmen wie zuvor die Pro-TTIP-Seite. Es könnte allerdings sein, dass Politiker wie Gabriel, die den Strom der öffentlichen Empörung für sich nutzen wollen, den Ausgang dieser Taktik am Ende bitter bereuen. Wie David Cameron beim Brexit.

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