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Proteste gegen TTIP wie hier in Berlin gibt es außer in Deutschland vor allem in Österreich und Luxemburg.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Freihandelsabkommen TTIP: Jetzt drängt Europa und die USA zögern

Lange schien es, als könne TTIP nur an der europäischen Skepsis scheitern. Im US-Präsidentschaftswahlkampf haben sich die Druckverhältnisse gedreht.

Manche trösten sich, was im Wahlkampf gesagt werde, müsse man nicht so ernst nehmen. Doch der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf verändert die Wirklichkeit, nicht nur innenpolitisch, sondern auch in der internationalen Arena. Zum Beispiel in der Freihandelsdebatte. Beim Brussels Forum des German Marshall Fund (GMF) äußerte Jeff Sessions, ein einflussreicher republikanischer US-Senator, der früher ein verlässlicher Freihändler war, doppelte Zweifel: Er selbst sei skeptisch, ob er das Transpazifische Freihandelsabkommen (TPP) unterstützen solle, und er glaube auch nicht, dass es 2016 eine Mehrheit im Senat finde.

Frank Friedman, Vorstandsmitglied des internationalen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungskonzern Deloitte, ging noch weiter: Angesichts der kategorischen Kritik an Freihandelsabkommen von rechts (Donald Trump) wie links (Bernie Sanders und Hillary Clinton) sehe er keine Chance für irgendein solches Projekt in absehbarer Zeit, auch nicht für das Transatlantische Abkommen (TTIP).

Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments und SPD-Mitglied, hatte bisher gewarnt: TTIP könne scheitern, wenn die USA zu viel Liberalisierung wollten und die Sorgen europäischer Skeptiker wüchsen, dass durch ein zu weit gehendes TTIP Standards für Verbraucherschutz, Umwelt oder Gesundheitsaspekte gesenkt würden. Jetzt richtete Schulz einen flammenden Appell an die USA, mehr Ehrgeiz in den TTIP-Verhandlungen zu zeigen und ein umfassendes Abkommen anzustreben. Es gehe darum, die gemeinsamen Werte und Standards weltweit durchzusetzen. 

Die Druckverhältnisse haben sich gedreht: 2013 bis 2015 ließen die Folgen der NSA-Abhöraffäre und eine wachsende Protestbewegung die EU zögern, TTIP offensiv voranzutreiben. Jetzt drängt Europa bei Freihandel, Amerika zögert. Ein Hauptgrund dafür ist der US-Wahlkampf: Im Werben um Wähler aus der Arbeiterschaft und große Teile der Mittelschicht, die seit Jahrzehnten kein Wachstum der realen Haushaltseinkommen gesehen haben, sprechen sich nahezu alle führenden Bewerber um das Weiße Haus gegen Freihandelsabkommen aus. Die bisherigen, voran das nordamerikanische Abkommen Nafta, aber auch die mit Korea und anderen Partnern in Asien hätten nachteilige Folgen für US-Beschäftige gehabt: verlorene Jobs durch Verlagerung von Produktion ins Ausland, sinkende Reallöhne durch Konkurrenz aus dem Ausland. 

Europa braucht Wachstumsimpuls dringender als Amerika

Es gibt noch weitere Gründe, warum nun Europa mehr Interesse an TTIP äußert als Amerika. Die meisten EU-Staaten haben große Probleme mit Wachstum und Arbeitslosigkeit, sagt die Chefin der griechischen Nationalbank Louka Katseli. Die USA hingegen verzeichnen zwei bis drei Prozent Wachstum, jeden Monat entstehen Zehntausende neue Jobs, die Arbeitslosenrate ist auf rund fünf Prozent gesunken, ergänzt Friedman von Deloitte. Europa braucht einen Wachstumsimpuls dringender als Amerika. Angesichts der hohen Staatsverschuldung kommen staatliche Konjunkturprogramme jedoch nicht in Frage. 

Der US-Handelsbeauftragte Mike Froman und EU-Kommissarin Cecilia Malmström, die die TTIP-Verhandlungen leiten, treiben die Arbeit am geplanten Abkommen unbeeindruckt von der veränderten politischen Stimmung voran. Die Einwände gegen US-Abkommen mit Billig-Lohn-Ländern träfen auf TTIP nicht zu, denn hier gehe es um zwei große Wirtschaftsräume mit sehr hohen Standards. Die Löhne in der US-Exportindustrie seien um 18 Prozent höher als in den Nicht-Export-Branchen, sagt Froman. Mehr Handel sei eine Antwort auf stagnierende Löhne und werde die Durchschnittsverdienste erhöhen. 

US-Senator Jeff Sessions, der Donald Trump unterstützt und berät, lässt sich davon nicht so rasch überzeugen. Nach jedem Freihandelsabkommen der Vergangenheit hätten die Vertragspartner Zugang zum US-Markt, dem "attraktivsten Markt der Welt", bekommen, aber die US-Exporte seien nicht wie versprochen gestiegen. Die höheren Löhne in der Exportindustrie seien zudem "ein geringer Trost, wenn die Folgen für größere Branchen mit viel mehr Beschäftigten negativ sind".

Das veranlasste Cecilia Malmström zu Widerspruch: "Mit Verlaub, die USA sind nicht der größte Markt der Welt. Die EU ist der größte Markt der Welt."

Nicht alle Diskussionsteilnehmer beim Brussels Forum teilten die Einschätzung, dass Freihandelsabkommen in den USA auf absehbare Zeit keine Chance haben. Nach der Wahl sehe die Lage anders aus, eine Präsidentin Hillary Clinton werde das Transpazifische Abkommen TPP wohl doch unterzeichnen, auch wenn sie sich jetzt aus taktischen Gründen skeptisch äußere, hieß es in der Debatte. Und da ein Abkommen mit Europa keine Bedrohung für das Lohnniveau in den USA bedeute, werde auch TTIP nicht scheitern. Kein Präsidentschaftsbewerber habe sich gegen TTIP geäußert, die Kritik betreffe nur Abkommen mit Billig-Lohn-Ländern. Generell gebe es in den USA keine breite Protestbewegung gegen TTIP, in der EU beschränke sie sich auf Deutschland, Österreich und Luxemburg. 

Freihandelsabkommen mildern Globalisierungsdruck

Neera Tandem, Chefin des amerikanischen Think-Tanks Center for American Progress (CAP), argumentiert, nicht Freihandel sei die Ursache der stagnierenden Haushaltseinkommen in Arbeiterschaft und Mittelschicht, sondern der Druck durch die Globalisierung. Freihandelsabkommen seien sogar eine Hilfe, weil sie Regeln festlegen, die den Globalisierungsdruck mildern. 

Nicht alles, was im Wahlkampf gesagt wird, muss man für bare Münze nehmen. Auf die Frage, wie er Donald Trumps Versprechen einordne, dass er alle Freihandelsabkommen der USA neu verhandeln und zu besseren Ergebnissen kommen werde, antwortete Froman mit amüsierte Lachen. Und gab dann eine diplomatische Antwort: Als Handelsbeauftragter der Regierung wolle er die Aussagen von Präsidentschaftsbewerbern nicht bewerten. Aber Freihandelsabkommen mit mehreren Partnern seien kompliziert. Es sei ein Balanceakt, zu einer Einigung zu kommen. Er könne sich schwer vorstellen, dass einseitige Nachverhandlungswünsche Erfolg haben.

Und was hält er von der Behauptung britischer EU-Gegner, nach einem Brexit werde Großbritannien leichter und schneller zu einem Freihandelsabkommen mit den USA kommen? Erneut reagierte Froman mit Schmunzeln, gefolgt von dem Rat: Großbritannien habe mehr Einfluss und wird eher gehört, wenn es in der EU bleibt.

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