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Der Journalist Armin Wertz saß fünf Monate lang in syrischer Haft.

© Doris Spiekermann-Klaas

Gefangen in Syrien: "Ich saß in Assads Knast"

Monatelang saß der Journalist Armin Wertz im Dunkeln. Allein in einer Zelle eines syrischen Gefängnisses. Im Interview spricht er über unerträgliche Hitze, Schlaf auf dem Betonboden, permanenten Hunger und Prügelorgien.

Wir treffen Armin Wertz in der Kantine des Tagesspiegels. Seine Haare haben sie ihm im Gefängnis alle zehn Tage geschoren. Er trägt einen viel zu großen Strickpullover eines Freundes, weil seine eigenen Sachen in Aleppo geblieben sind. Wertz kam am vergangenen Samstag aus syrischer Haft frei – nach fünf Monaten.

Sie sind eigentlich Journalist mit Wohnsitz und Arbeitsplatz in Indonesien. Was wollten Sie in Syrien?
Ich hatte einen Auftraggeber, der Reportagen aus Syrien drucken wollte. Für die wäre es aber zu teuer gewesen, eigene Leute zu schicken. Dazu kamen Medien aus der Schweiz, die auch interessiert waren. Die Reportagen hätten sich sicherlich gut verkauft.
War es etwas blauäugig, ohne Visum nach Syrien einzureisen?
Nein, glaube ich nicht. Ich habe solche Sachen oft gemacht, zum Beispiel in Lateinamerika. Was ich nicht wusste, war, dass die syrischen Behörden keine Fotografen mögen. Aber ich hatte wie jeder Schreiber eine Kamera dabei, auch wenn ich sie selten benutze. Die syrischen Behörden waren besessen von der Idee, dass ich irgendetwas fotografiert habe, was ich nicht hätte fotografieren dürfen.

Wie sind Sie nach Syrien eingereist?
Über die Türkei, und dann weiter mit dem Auto nach Aleppo. Das haben sie mir auch übelgenommen. Die Türkei wird von Syrien als Feind gesehen.
Wo wurden Sie dann verhaftet?
Die Sicherheitsleute sind in Aleppo ins Hotel gekommen, um mich festzunehmen. Das Hotel wird der Einwanderungsbehörde ihre Gäste gemeldet haben.
Wie lief die Festnahme ab?
Die Männer waren eigentlich recht nett. Sie haben gesagt, sie kämen vom Innenministerium. In zivil. Ich hatte den Eindruck, die seien vom Geheimdienst. Die waren sehr korrekt und höflich. So korrekt und höflich, dass ich den Eindruck hatte, sie haben Anweisung von oben, mit Ausländern – zumindest mit Europäern – anständig umzugehen. Die fanden das auch ganz spannend, mit mir zu reden.
Worüber?

Wir haben uns über Lateinamerika unterhalten. Ich habe gesagt: Ihr beschwert euch über die Amerikaner, wie die euch behandeln? Redet mal mit den Lateinamerikanern, denen geht es noch viel schlimmer. Da waren die alle ganz interessiert und holten noch Kollegen dazu. Die haben mich nicht gleich eingesperrt, sondern im Hotel unter Hausarrest gestellt. Das Hotel durfte ich nur unter Aufsicht verlassen. Jeden Tag bin ich mit einem von den Typen spazieren gegangen. Am ersten Tag nur eine halbe Stunde, dann länger. Einer hat mir sogar ein Mittagessen in einem Restaurant ausgegeben. Die haben mir den Eindruck vermittelt, dass ich schnell wieder rauskomme. Niemand hat mir das mit dem fehlenden Visum krumm genommen.
Also alles halb so schlimm?
Ich habe immer gehofft, dass ich zu Championsleague-Finale zwischen Bayern und Borussia Dortmund am 25. Mai wieder draußen bin. Ich war natürlich nicht draußen und habe irgendwann im August von einem Neuankömmling, der Fußballfan war, das Ergebnis erfahren.
Wann ist die Stimmung gekippt?
Nach zwei Wochen ungefähr wurde ich in ein Gefängnis gebracht, wo es etwas ungemütlicher war. Aber nicht einmal die Wärter wussten warum. Ich schon mal gar nicht.
Hatten Sie Angst, dass sich in Deutschland niemand um Ihre Freilassung kümmert?
Ich konnte ganz zu Beginn noch eine SMS von meinen Handy an einen deutschen Kollegen absetzen. Der hat Reporter ohne Grenzen und andere informiert. Das Handy wurde mir dann abgenommen, aber es war raus, dass ich in Syrien im Knast sitze.

"Ich habe gesungen"

Was war so „ungemütlich“ an dem neuen Gefängnis?
Die haben mir nicht gesagt, wie es weitergeht. Aber ich habe mich auch bockig gestellt und denen auch nichts mehr gesagt. Ich durfte auch mit keinen anderen Insassen reden. Ich saß in einer Einzelzelle, ohne Lüftung, ohne Licht. Das war eklig. Die Hitze war noch unerträglicher als die Dunkelheit. Nur durch ein kleines Gitterfenster zum Flur kam etwas schummeriges Licht. Ich hätte nicht lesen können, mal abgesehen davon, dass ich auch nichts zu lesen hatte.
Wie geht es Ihnen heute?
Eigentlich ganz gut, bis auf das linke Knie. Das hat das Schlafen auf dem Betonboden nicht so gut vertragen. Ich habe mehr als zehn Kilo abgenommen und meine Haut ist total ausgetrocknet. Ich bin zwar ein alter Mann, aber so alt habe ich noch nie ausgesehen. Und rasieren würde ich mich gerne, aber als ich am Samstagabend in Berlin angekommen bin, hatten alle Läden schon zu.
Hatten Sie während der Gefangenschaft Angst? Gar Todesangst?
Nein, ich habe nur befürchtet, dass sich das noch länger hinzieht. Die haben ja auch nie was gesagt. Niemand hat mit mir gesprochen, was sie vorhaben mit mir. Ich saß in einer dunklen Zelle und wusste nicht, was mit mir passiert.
Was geht einem durch den Kopf, wenn man monatelang in einer Zelle sitzt?
Ich war ja die meiste Zeit allein. Und das Essen war ganz bescheiden. Brot und Reis. Brot und Reis. Brot und Reis. Aber es gab immer so wenig, dass ich permanent hungrig war. Viele Gedanken drehen sich ums Essen. Ich hatte Angst, dass, wenn ich noch länger keine Vitamine bekomme, mir die Zähne ausfallen. Skorbut oder sowas. Ich habe eine Obsession auf Karotten- und Feldsalat entwickelt. Orange und Grün. Das wollte ich sofort essen, wenn ich rauskomme.
Und? Haben Sie schon?
Nein, noch nicht. Der zweite Wunsch ist auch noch offen: ein Stück Schweinefleisch, so richtig kross gebacken, mit Schwarte. So richtig rustikal.
Und Getränke?
Im Knast gab’s nur Wasser aus der Leitung, richtig schlechtes Wasser. Das hatte so einen komischen Geschmack. Das wurde man schläfrig von. In einem anderen Gefängnis haben sie mir gesagt, die machen da etwas rein. Obwohl ich mich in der Zelle kaum bewegen konnte, war ich andauernd müde.
Gab es Kontakte zu anderen Häftlingen?
Ab und zu haben die Wärter mal einen anderen Gefangenen reingeschoben, die haben sie aber immer wieder schnell rausgeholt. Ich war ziemlich isoliert, und die Wärter wollten nicht, dass ich mit den anderen rede. Aber es gab schon ab und zu Kontakte zu Häftlingen, die den Flur sauber gemacht haben. Ich habe versucht, Zettel mit Nachrichten rauszuschieben. Da stand eine E-Mail-Adresse drauf, von der ich wusste, dass sie stimmt. Aber ich weiß bis heute nicht, ob die Kassiber irgendeine Wirkung hatten. Das muss ich noch recherchieren.
Hatten Sie Angst, dass Sie im Knast vergessen werden?
Sicher. Ich wusste ja gar nicht, ob zum Beispiel das Außenministerium irgendetwas tut. Jede Nachricht wird nach einer gewissen Zeit ja langweilig. Ich wollte mit den Kassibern an mich erinnern.
Was haben Sie gemacht mit 24 Stunden Dunkelheit pro Tag?
Ich habe gesungen. Mir sind Lieder aus frühester Kindheit eingefallen. Ich wusste gar nicht, dass die in meinem Kopf existierten. Es steht ein Soldat am Wolgastrand/hält Wache für sein Vaterland. Das muss aus den 50er Jahren sein. Oder: Du hast viele Engel im Himmel bei Dir/schick doch einen, nur einen zu mir. Ich dachte, ich spinne. Das muss von ganz hinten in meinem Kopf wieder hochgekrochen sein. Dann ist mir der Gefangenenchor von Nabucco eingefallen. Ich habe versucht, damit die anderen Gefangenen aufzumuntern und habe ihnen das durch das Zellenfenster vorgesungen. Aber diese Musik liegt denen offensichtlich nicht. Die haben dann ihre Lieder gesungen.

Schläge auf die Fußsohlen

Hatten Sie Angst, wahnsinnig zu werden?
Nein, das nicht. Aber die Langeweile ging mir auf den Keks. Die einzige Unterbrechung war das Verteilen des Essens. Das kam immer so um fünf Uhr. Es kam mir alles so lang vor. Es gab Gefangene, die haben alle halbe Stunde nach der Zeit gefragt, weil sie mit der Situation nicht mehr klarkamen. Ich habe wirklich gedacht, als ich kurz vor meiner Freilassung nach Damaskus kam, es sei der 1. Advent. Dabei war es gerade mal Ende September.
Hat es in dem Gefängnis Folter oder Misshandlungen gegeben?
Oh ja. Prügelorgien. Richtige Prügelorgien. Die Wärter hatten eine Vorrichtung, auf der sie die Gefangenen festgeschnallt haben, um ihnen dann mit einem Stock auf die Fußsohlen zu schlagen. Danach mussten die Häftlinge im Flur auf- und abrennen, damit die Füße nicht zu sehr anschwellen. Die hatten richtige Klumpen und haben vor Schmerzen geschrieen.
Sie wurden nicht misshandelt?
Nein, ich saß zwar in einer Dunkelzelle, war ansonsten aber ziemlich privilegiert, dass ich nicht geschlagen wurde. Es muss eine Anweisung geben, mit Europäern pfleglicher umzugehen. Anders kann ich mir das nicht erklären.
Haben Sie etwas von der Lage im Land mitbekommen?
Ja, aber das meiste war Blödsinn.

Wie lief Ihre Freilassung ab?
Irgendwann kam ein Wärter und machte sich am Schloss zu schaffen. Ich dachte, was ist denn nun los? „Mitkommen“, sagte der nur und führte mich in den Aufenthaltsraum der Gefängniswärter. Sie gaben mir einen Tee und sagten zu mir „Deutschland gut, Deutschland gut“. Ich wusste nicht, warum Deutschland auf einmal gut sein sollte.
Kennen Sie die Hintergründe, warum Sie plötzlich freikamen?
Ein Wärter sprach ein bisschen Englisch und erklärte mir, dass Kanzlerin Merkel sich auf dem G-20-Gipfel in St. Petersburg mit den Amerikanern in der Syrienpolitik angelegt habe. Das fanden die Syrer wohl toll. Ich habe den Verdacht, dass ich durch die Bemühungen der deutschen Behörden und dem Auftreten Merkels in St. Petersburg freigekommen bin.
Dann ging es weiter nach Damaskus?
Ja, genau. In das Gefängnis der Einwanderungsbehörde. Aber wer da sitzt, der wartet nur noch darauf, dass jemand von der Botschaft vorbeikommt und ihn abholt. Am Tag meiner wiedergewonnenen Freiheit wurde ich nochmal stundenlang durch Damaskus gefahren. Irgendwann saß ich in einem Raum, bekam Tee, Kaffee und Yoghurt. Ein Typ sagte: „Wir warten hier auf Freunde.“ Ich fragte: „Deutsche?“ Und dann sah ich schon drei große Geländewagen, die mich abholten und zum Flughafen brachten.
Das Gespräch führte Lutz Haverkamp.

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