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Angehörige von Inhaftierten demonstrieren in Georgien.

© Reuters

Georgien: Grausame Szenen treiben die Massen auf die Straßen

In Georgien gehen die Massenproteste gegen Haftbedingungen weiter. Der Skandal kommt höchst ungelegen. Am ersten Oktober wählt Georgien ein neues Parlament.

Zehn Justizvollzugsbeamte sitzen jetzt selbst hinter Gittern. Weitere Kollegen dürften ihnen bald Gesellschaft leisten. In einer Ansprache im Staatsfernsehen forderte Georgiens Präsident Michail Saakaschwili die Untersuchung eines Skandals, wie ihn die Ex-Sowjetrepublik im Südkaukasus noch nicht erlebt hatte. Es geht um Folter und Vergewaltigungen von Häftlingen. Ausgerechnet in Georgien, dem bisher einzigen UdSSR-Nachfolgestaat, in dem nach der Revolution der Rosen 2003 reale demokratische Reformen stattfanden und Rechtsstaatlichkeit sowie Menschenrechte nicht nur auf dem Papier stehen.

Mit harter Hand hatte Saakaschwili Polizei, Justiz und Verwaltung umgekrempelt. Um Korruption und Willkür in den Rechtsschutzorganen zu beseitigen, mussten tausende Richter, Staatsbedienstete und sämtliche Polizisten ihren Hut nehmen. Spätestens Dienstagabend war klar, dass die Auswirkungen sich in Grenzen halten. Ein oppositioneller TV-Sender hatte das erste Video mit schockierenden Bildern aus einem Gefängnis in der Hauptstadt Tiflis gesendet. Vollzugsbeamte malträtierten Gefangene mit Fußtritten, einer wurde mit einem Stock vergewaltigt. Am Donnerstag gab es einen Nachschlag, ein Video aus einem anderem Gefängnis. Die für den Strafvollzug zuständige Ministerin Chatuna Kalmachelidze hatte bereits Mittwoch ihren Rücktritt eingereicht. Kurz zuvor hatte sie im Staatsfernsehen ausgerechnet die von ihr auf den Weg gebrachte Vollzugsreform als gelungen bezeichnet.

Der Skandal kommt höchst ungelegen. Am ersten Oktober wählt Georgien ein neues Parlament. Ob die regierende Vereinte Nationale Bewegung ihre überwältigende Mehrheit verteidigen kann, war schon vor den Folter-Videos alles andere als sicher. Denn Partei- und Staatschef Michail Saakaschwili ist angeschlagen. Die Nation hat nicht vergessen, wie er Massenproteste im Herbst 2007 mit Wasserwerfen auflöste. Und schon gar nicht die Niederlage im Krieg mit Russland, die dazu führte, dass Moskau Georgiens abtrünnige Regionen Südossetien und Abchasien als unabhängig anerkannte.

In Tiflis und anderen großen Städten kam es bereits erneut zu Massenprotesten mit mehreren tausend Teilnehmern.

Unabhängige georgische Beobachter tippen auf einen Machtkampf zweier rivalisierender Clans in Saakaschwilis Umgebung. Dafür spricht, dass Wladimir Bedukadse, der Chef einer der in die Schlagzeilen geratenen Haftanstalten, der die Videos weitergab und in Brüssel inzwischen politisches Asyl beantragt hat, sagte, er sei selbst an den Folterungen beteiligt gewesen, habe dies jedoch auf Anweisung von Innenminister Batscho Achalaja getan. Das Innenministerium erklärte indes, Oppositionelle hätten Wärter bestochen, Häftlinge vor laufenden Kameras zu misshandeln. Bei einem der festgenommenen Beamten seien 17.000 Dollar gefunden worden.

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