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Monika Lüke.

© Mike Wolff

Amnesty-Generalsekretärin: "Gewalt darf nur das allerletzte Mittel sein"

Amnesty-Generalsekretärin Monika Lüke spricht im Interview über Libyen, die Menschenrechte und die Bilanz deutscher Außenpolitik.

Frau Lüke, kennen Sie irgendeinen Politiker auf dieser Welt, der offen die Gültigkeit der Menschenrechte infrage stellt?

Öffentlich traut sich kein Politiker, die Menschenrechte zu bestreiten. Das ist aber nicht selten nur die Fassade, denn oft pfeifen Politiker auf das, was sie versprechen. Deshalb recherchiert und veröffentlicht Amnesty International (ai) Menschenrechtsverletzungen in aller Welt. Denn jeder Politiker, auch der, der seine Bürger unterdrückt und foltert, will in der Öffentlichkeit gut dastehen.

Im Mai feiert Amnesty International seinen 50. Geburtstag. Wird Ihre Organisation vor ihrem 100. Geburtstag überflüssig sein, weil ihr die Arbeit ausgeht?

Schön wär's. Ich glaube es allerdings nicht. Es gibt viele positive Entwicklungen, etwa im Kampf gegen die Todesstrafe. Aber wir sehen auch neue Formen von Menschenrechtsverletzungen, die uns herausfordern. Vor den Anschlägen vom 11. September 2001 dachten wir, das Folterverbot sei in der westlichen Welt fest verankert. Doch es wurde im Antiterrorkampf vor allem von den USA massiv und offen untergraben.

Aber die USA sind unter einem neuen Präsidenten von vielen Praktiken abgerückt. Reicht Ihnen das nicht?

In den USA dürfen staatliche Stellen, also Soldaten oder Geheimdienstmitarbeiter, offiziell nicht mehr foltern. Präsident Obama hat die Ermächtigungen zur Folter, die George W. Bush ausgesprochen hatte, zurückgenommen. Aber er hat die Hoffnungen nicht erfüllt, die er geweckt hatte. Das Lager Guantánamo besteht immer noch, nur die Haftbedingungen wurden verbessert. Die Gefangenen werden auch weiterhin vor Militärkommissionen gestellt, obwohl sie Anspruch auf ein ordentliches Gerichtsverfahren haben. Und: Wir erwarten von Obama, dass er wegen der Ermächtigung zur Folter Ermittlungen gegen Bush einleitet.

Schauen wir nach Deutschland. Die Koalition hat versprochen, ihre Außenpolitik an den Menschenrechten auszurichten. Hat sie das nach eineinhalb Jahren eingelöst?

Das war ein großer Anspruch, an dem die Regierung zu scheitern droht. Es gibt Licht und Schatten. Positiv ist: Wenn der Außenminister verreist, weisen wir ihn auf Opfer von Menschenrechtsverletzungen hin. Wir bekommen die Rückmeldung, dass Guido Westerwelle diese Fälle auch anspricht, etwa in China. Der Außenminister hat sich auch dafür eingesetzt, dass es im neuen Auswärtigen Dienst der EU eine erkennbare Zuständigkeit für Menschenrechte gibt. Die deutsche Außenpolitik hat schließlich maßgeblich dazu beigetragen, dass mit der Resolution 1970 des UN-Sicherheitsrates strafrechtliche Ermittlungen gegen Libyens Machthaber Muammar al Gaddafi eingeleitet wurden.

Und das Negative?

Wir kritisieren, dass die deutsche Außenpolitik gegenüber Missständen in Nordafrika und Arabien lange geschwiegen hat. Sie hat nicht laut protestiert, als im November bei den Parlamentswahlen in Ägypten Stimmen gefälscht sowie die Demonstrations- und Pressefreiheit eingeschränkt wurden. Und wir warten noch immer darauf, dass Deutschland den nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat dazu nutzt, die Niederknüppelung von Demonstranten und die Folter von Menschenrechtsverteidigern im Sudan in aller Deutlichkeit zu kritisieren statt Präsident Bashir für sein „Wohlverhalten“ während des Referendums zur Unabhängigkeit des Südsudan zu belohnen.

Sie haben den Umbruch in Nordafrika angesprochen. War die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates zur Etablierung der Flugverbotszone über Libyen ein Meilenstein bei der Durchsetzung des Schutzes von Zivilisten weltweit?

Nein. Wichtiger war die Resolution 1970. Der Sicherheitsrat hat darin einstimmig den Internationalen Strafgerichtshof aufgefordert, Ermittlungen gegen Gaddafi und seinen Clan einzuleiten. Eine solche Aufforderung hatte es bis dahin nur einmal gegeben; 2005 ging es um die Verantwortlichen für die Verbrechen in Darfur und später konkret um Staatschef al Baschir, gegen den mittlerweile ein internationaler Haftbefehl besteht. Die neue Resolution ist ein großer Fortschritt hin zu einer Stärkung des internationalen Rechts. Sie ist ein starkes Signal, dass Verantwortliche für massive Menschenrechtsverletzungen auch dann vor ein Gericht müssen, wenn sie an der Spitze eines Staates stehen.

Im Falle Libyens hat die Resolution 1970 mit der Strafandrohung keinen Eindruck auf Gaddafi gemacht. Hat nicht erst die durch die Resolution 1973 ermöglichte Militärintervention verhindert, dass er seine Ankündigung wahr machte und die Aufständischen in Bengasi massakrierte?

Wir können leider noch nicht feststellen, dass die Resolution 1973 und die Militärschläge bis jetzt die Lage der Zivilbevölkerung deutlich verbessert und die massiven Menschenrechtsverletzungen im Krieg in Libyen beendet hätten. Der Einsatz droht mehr Leid zu bringen als er verhindert. Der Internationale Strafgerichtshof hat dagegen Ermittlungen gegen Gaddafi und seinen Clan aufgenommen. Er kann nicht mehr reisen. Es gibt keine einfache Lösung. Lösungen brauchen Zeit.

Lehnt Amnesty generell militärische Gewalt zur Durchsetzung der Menschenrechte ab?

Nein. Aber militärische Gewalt darf nur das allerletzte Mittel sein, um Menschenrechte durchzusetzen. Jeder Militäreinsatz steigert mit hoher Wahrscheinlichkeit die Zahl der Opfer. In Libyen war und ist die Schwelle zum Völkermord nicht überschritten. Nur beim Völkermord gilt nach dem Völkerrecht die Pflicht, einzugreifen.

Die USA suchen ein Exilland für Gaddafi, das den Internationalen Gerichtshof nicht anerkennt. Darf er straffrei davonkommen?

Nein. Es darf keinen Ausweg geben für Gaddafi, der ihm ermöglicht, dass er sich nicht verantworten muss für die Menschenrechtsverletzungen, die ihm zugeschrieben werden.

Seine freiwillige Abdankung könnte aber Zehntausenden das Leben retten.

Die Erfahrung aus der Vergangenheit zeigt, dass der Verzicht auf die Durchsetzung des Rechts nicht automatisch zu langfristigen Lösungen führt. Die Opfer haben einen Anspruch auf Gerechtigkeit. Sehen Sie nach Lateinamerika. Dreißig Jahre nach dem Ende von Militärdiktaturen werden nun Gesetze zurückgenommen, die Straffreiheit garantierten. Nur so kann man Rechtsfrieden schaffen.

Die Gewaltherrscher haben womöglich nur von der Macht gelassen, weil ihnen keine Strafe drohte.

Dafür gibt es keinen Beweis. Wer sagt, dass Gaddafi von der Macht und der Gewalt abließe, wenn man ihm Straffreiheit anböte?

Die Glaubwürdigkeit Ihrer Organisation ist Ihr wichtigster Wert, da sie von Spenden und freiwilligem Engagement lebt. Hat die Glaubwürdigkeit darunter gelitten, dass die ehemalige Generalsekretärin der Amnesty-Zentrale in London und ihre Stellvertreterin zum Ende ihrer Amtszeit Zahlungen in Höhe von einer Million Euro erhalten haben?

Ich hoffe sehr, dass unsere Glaubwürdigkeit langfristig nicht darunter leiden wird. Der ehrenamtliche internationale Vorstand von Amnesty hat eingeräumt, dass der Vertrag, der die Ansprüche von Frau Khan begründete, ein Fehler und eine Ausnahme war. Er hat sich bei den Mitgliedern entschuldigt. Wie viele Mitglieder halte auch ich persönlich den Fall für äußerst bedauerlich. In Deutschland gab und gibt es keinen solchen Vorgang.

Die ausgeschiedene Generalsekretärin soll 150 000 Euro im Jahr verdient haben. Liegen Sie auch in dieser Größenordnung?

Ich verdiene 80 000 Euro brutto im Jahr und bekomme keine Boni oder Sonderzahlungen.

Frau Lüke, Sie sind hoch schwanger. Wie wird es um die Menschenrechte stehen, wenn Ihr Sohn oder Ihre Tochter einmal erwachsen ist?

Es wird eine Tochter. Ich hoffe, dass in 18 Jahren eine deutsche Schwangere nicht mehr privilegiert ist, weil sie ihr Kind hier bekommt und nicht etwa in Sierra Leone, wo jede achte Frau bei einer Geburt stirbt. Dass sie nicht mehr privilegiert ist gegenüber einer schwarzen Frau in den USA, bei der die Wahrscheinlichkeit bei der Entbindung zu sterben, fünf Mal so hoch ist wie die einer weißen. Ich hoffe, dass das Folterverbot dann endlich wieder gilt. Und ich hoffe, dass wir dann anders als heute eine Flüchtlingspolitik nach humanitären Maßstäben betreiben werden.

Das Gespräch führte Hans Monath.

Die Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland (ai) führt seit Sommer 2009 die Organisation mit gegenwärtig mehr als 114 000 Mitgliedern und Unterstützern. Finanziert wird die Arbeit der Menschenrechtler mit knapp 14 Millionen Euro Spenden im Jahr. Die heute 42-jährige promovierte Juristin studierte unter anderem Völkerrecht. Vor der Wahl zur ai-Chefin forschte sie in London über Menschenrechte, kümmerte sich für die Evangelische Kirche um Asyl- und Flüchtlingspolitik und arbeitete als Entwicklungshelferin in Kambodscha.

Amnesty International feiert am 28. Mai Geburtstag. Vor 50 Jahren veröffentlichte an diesem Tag der britische Rechtsanwalt Peter Benenson einen Artikel, der die Freilassung portugiesischer Gefangener verlangte – der Beginn von ai. Auch Monika Lüke und ai Deutschland nutzen das Jubiläum für Aktionen.

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