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Rohe Gewalt. Eine Trennung kann für Frauen gefährlich werden. Immer wieder kommt es zu Racheakten ihrer Ex-Männer.

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Gewalt gegen Frauen: Auf dass der Tod uns scheidet

Sie fühlen sich erniedrigt und gedemütigt, es geht um angebliche Ehre und um Selbstmitleid. Was treibt Männer, die ihre Frauen töten oder verletzen?

Du nutzloser Mann, hat seine Frau gesagt. Was aber ist ein nutzloser Mann? Die Psychologin mustert Gökhan K. eindringlich. Es ist ein bizarres Duell, das sich vor den Richtern der Großen Strafkammer 2 in Hamburg abspielt. Auf der einen Seite die ältere grauhaarige Frau in getigerter Weste, die sich auf dem Tisch abstützt, als könne sie ihre üppige Körperfülle nicht alleine halten. Und ihr gegenüber der hagere Angeklagte, der wie ein Schüler im gestreiften Oberhemd dasitzt, sehr aufrecht, und kaum zu verstehen scheint, warum die psychologische Sachverständige ihm immer wieder diese Frage stellt. Was also ist das, Herr K., ein nutzloser Mann?

Ein nutzloser Mann ist für mich kein richtiger Mann.

Vor einem richtigen Mann hätte meine Frau Angst.

Sie würde tun, was ich ihr sage.

Drei Antworten. Drei Erklärungen, warum Gökhan K., 44 Jahre alt, seine Frau niedergestochen hat.

Er zog sofort ein Messer und stach zu

Es war am 24. November vorigen Jahres, als Gülsen K., 43 Jahre alt, ihre Worte fast mit dem Leben bezahlt hätte. Als ihr Mann Gökhan mit dem Messer so oft auf sie einstach, dass sie nur durch eine Notoperation gerettet werden konnte. Bis dahin war es für sie ein Tag wie jeder andere.

Sie kam vom Einkaufen, und ihr Mann saß im türkischen Café, wie immer. Sie musste vor dem Haus auf ihn warten, weil er ihr kurz zuvor den Schlüssel abgenommen hatte, er wollte die Kontrolle über sie. Sie saß auf dem Rand einer Sandkiste, als er endlich kam. Sie sagt: Er zog sofort ein Messer und stach zu. Er sagt: Sie stritten sich. Nein, sie hatte keine Angst vor ihm, obwohl er sie schon so oft bedroht hatte. Sie beschimpfte ihn sogar, das behauptet zumindest er. Die Worte seien gefallen, nutzloser Mann. Da stach er zu, wieder und wieder. „Schlampe“, schrie er dabei.

Nutzloser Mann. Eine Demütigung. Wieso führt eine Demütigung zu solcher Gewalt?

Stimmen hätten ihm das befohlen

Frauen leben nach einer Trennung gefährlich. Immer wieder kommt es zu Racheakten von Männern, die auf eine Zurückweisung gewalttätig reagieren. In Hannover hatte ein 33-jähriger Mann seiner Ex-Freundin 2016 Säure ins Gesicht geschüttet und sie dauerhaft entstellt. Er fühlte sich erniedrigt und wollte sie hässlich machen, sagte er zur Begründung in seinem Prozess. In Reutlingen hat ein 21-jähriger Syrer vorigen Sommer seine Freundin nach der Trennung mit einer Machete umgebracht. Im Prozess behauptete er zunächst, Stimmen hätten ihm das befohlen, dann sprach er von Eifersucht und gekränkter Ehre.

Eifersucht, angeblicher Untreue wegen, war auch der Grund für einen 32 Jahre alten Tschetschenen, zuerst mit dem Messer auf seine Frau einzustechen, sie dann aus dem Fenster zu stoßen, um der Schwerverletzten schließlich die Kehle durchzuschneiden. Vor zwei Wochen verurteilte ihn das Cottbusser Landgericht wegen Totschlags.

Das Schema ist oft das gleiche. Wie es abläuft, lässt sich zurzeit in Hamburg beobachten. Dort stehen mehrere Männer vor Gericht, die ihren Frauen nach einer Zurückweisung Gewalt angetan haben. Manche wollten töten. Andere das Gesicht der einst Geliebten so entstellen, dass auch kein anderer sie bekommt. Aggression statt Trauer. Täter statt Opfer.

Worte, die wie Waffen eingesetzt wurden

Mohamad B., 50 Jahre alt, hat seine Ehefrau mit heißem Öl überschüttet. Er unterstellte ihr einen Liebhaber und wollte zeigen, dass er sich von ihr nicht demütigen lässt. Armin B., 56 Jahre alt, hat seiner Frau Salzsäure ins Gesicht gekippt. Sie hatte ihn für einen anderen verlassen. Dafür verurteilte das Hamburger Landgericht ihn am Montag zu vier Jahren und sieben Monaten Haft. Mustafa A., 51 Jahre alt, wollte seine Frau erst mit kochendem Wasser verbrühen, dann hat er sie mit dem Messer attackiert. Sie hatte sich von ihm getrennt, er glaubte an eine Affäre. Und Gökhan K. hat unendliche Male zugestochen, ehe er seiner Frau noch ins Gesicht trat und ihr das Nasenbein zertrümmerte. Der Anlass dafür: die Worte nutzloser Mann.

Den Weg in diese Taten haben Demütigungen geebnet. Und Worte, die wie Waffen eingesetzt wurden. Kränkung und Gegenkränkung. Schlampe, Hure, Nutte. Die Worte schreiben dem einst geliebten Menschen eine verachtenswerte Rolle zu. Und sollen dadurch, so scheint es, einem körperlichen Übergriff die Berechtigung verleihen.

Er saß im Café, den ganzen Tag

Ja, sagt Gülsen K., sie hat ihren Mann nutzlos genannt. Die 43-Jährige ist eine resolute Frau mit herben Zügen im Gesicht. Ihre Stimme ist rau, als sie an jenem Morgen vor der Großen Strafkammer von ihrer Ehe erzählt. Sie fällt der Richterin immer wieder ins Wort, wenn die eine Zwischenfrage stellt, so dringend muss das alles endlich einmal raus. Wie sie sich alleine um die vier Kinder kümmerte, weil ihr Mann sich nicht für sie interessierte. Wie er im Café saß, den ganzen Tag und Abend, statt zu arbeiten.

„Warum?“, fragt Gülsen K. aufgebracht, „er ist doch nicht behindert!“ Wie er das gemeinsame Geld verzockte und dann neues von ihr forderte. Sie hat zu Hause alles geregelt, er hat gespielt. Aber sie war die Schlampe. Wenn er nach Hause kam, beschimpfte er sie. Er unterstellte ihr Affären. Wenn sie Sex hatten, verhöhnte er sie anschließend als Nutte. Er drohte ihr, er werde sie klein schneiden. Sie spricht aufgebracht, wird immer lauter, bis irgendwann die Tränen kommen. „Ich habe ihn nur nutzlos genannt. Das war zu viel für ihn“, sagt sie leise.

Seit mehr als 20 Jahren in Hamburg, aber kein Wort Deutsch

Gökhan K. sagt, er sei eifersüchtig gewesen, weil er an eine Affäre seiner Frau mit einem Nachbarn glaubte. Die Eifersucht spielt eine große Rolle in diesen Fällen. Oder das, was die Männer Eifersucht nennen. Es ist ein Begriff, hinter dem sich oft eitle Gefühle verstecken. Denn sie sprechen nicht von ihrer Angst, die geliebte Frau zu verlieren. Sie meinen ihre Kränkung als Mann.

Es ist nur wenige Monate her, dass im Hamburger Landgericht Mohamad B. auf der Anklagebank saß, ein Afghane, heute 50 Jahre alt. Mohamad B. ist ein kleiner Mann mit Glatze und grauem Haarkranz. Er sieht viel älter aus, als er ist, und gleichzeitig hilflos wie ein Kind. Seit mehr als 20 Jahren lebt er in Hamburg, aber er spricht kein Wort Deutsch. Er hatte auch keinen Kontakt zu Deutschen, übersetzt die Dolmetscherin. Seine Ehe führte er, als lebe die Familie noch in Afghanistan.

Seine Frau durfte ohne ihn nie aus dem Haus. Zur Arbeit musste er sie lassen, Homa B. war die Verdienerin der sechsköpfigen Familie, jobbte als Küchenhilfe in einer Tankstellengaststätte. Er hat sie hingebracht und abgeholt. Auch zum Einkaufen begleitete er sie. Sonst verließen sie kaum ihre Wohnung.

Blickte ihr jemand hinterher?

Doch obwohl er sie überwachte, obwohl sie anderen Männern gar nicht hätte begegnen können, misstraute Mohamad B. seiner Frau. Saßen andere Männer mit im Bus, fragte er sie, warum die wohl da seien. Blickte ihr jemand hinterher, bekam sie eine Ohrfeige. Wenn Homa B., 38 Jahre alt, sich schminkte, vermutete er einen anderen. In den Wochen vor dem 8. September 2015 hatte sie Gewicht verloren. Er unterstellte ihr, sie wolle für einen anderen Mann schön sein.

An jenem Septembermorgen weckte er Homa früh. Er wollte Sex. Doch es klappte nicht. Ein Sachverständiger wird später vor Gericht sagen, dass Mohamad B. Erektionsstörungen hatte, doch für ihn war an jenem Morgen allein seine Frau an allem schuld. „Ich war mir sicher, dass sie sich einem anderen Mann zugewandt hatte“, sagte er vor Gericht. Und: „Ich wollte sie unansehnlich machen.“

Mohamad B. ging in die Küche und erhitzte drei Liter Öl. Die Temperatur überprüfte er mit dem Finger. Als es schmerzte, nahm er den Topf vom Herd und ging in das Badezimmer, wo seine Frau unter der Dusche stand. „Schau mal“, sagte er. Arglos lugte Homa B. hinter dem Duschvorhang hervor. Da schüttete er das heiße Öl über sie. „Ich hatte Angst vor der Schande, die über mich und die Familie gekommen wäre, wenn herausgekommen wäre, was ich vermutete“, sagte Mohamad B. noch. „Ich wollte ihr zeigen, dass ich mich von ihr nicht demütigen lasse.“

Sonja A. überlebte die Attacke

Wie Gülsen K. überlebte auch Homa B. schwer verletzt. Mohamad B. ist inzwischen wegen versuchten Mordes zu neuneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, das Urteil für Gökhan K. wird Mitte Juli erwartet. Die Fälle haben viele Parallelen. Die auffälligste ist: Beide ereigneten sich mitten in Hamburg in einer patriarchal organisierten Ehe, und beide Male wollte der Mann durch die Gewalt seine Rolle als Familienoberhaupt zurückgewinnen. Dass dies nicht allein mit dem kulturellen Hintergrund der Täter zu erklären ist, zeigt der Fall Armin B.

Armin B. ist ein bieder wirkender deutscher Kaufmann mit gebügeltem weißem Hemd, schwarzer Brille und teurer Armbanduhr. Ein Anwalt, könnte man denken, der sich nur noch schnell die Robe überziehen muss. Doch er ist der Täter. Der 56-Jährige sitzt im Hamburger Landgericht, weil er seine Frau mit Salzsäure überschüttet hat. „Sie wussten ganz genau, das würde zu Entstellungen führen“, sagt der Richter im Urteil.

16 Jahre war Armin B. mit seiner Frau zusammen. Die Beziehung war gleichberechtigt, das sagt auch sie - Sonja A. hat die Attacke nach Tagen im Koma überlebt. Beide gingen arbeiten, beide kümmerten sich um die zwei Söhne. Dennoch war es schwierig. Vor allem durch die Arbeitssituation von Armin B.

Sie nimmt Kontakt auf, es gibt Briefe

Er hat Sozialversicherungskaufmann gelernt, war in seinem Job aber unzufrieden. Sonja A., studierte Gesundheitswissenschaftlerin, arbeitete als Arbeitsvermittlerin im Jobcenter Wandsbek. Irgendwann besorgte sie ihm eine Stelle im Jobcenter Mitte, doch auch damit kam er nicht gut zurecht. Er brachte oft Post mit nach Hause, die seine Frau dann für ihn bearbeitete. Auch das war schon eine Demütigung. Im Herbst 2015 ließ er sich wegen Burn-outs krankschreiben. Und dann kam der andere Mann.

Im Januar 2016 erwähnt Sonja A. zum ersten Mal einen alten Bekannten, dem sie Jahre zuvor begegnet war und gerne wiedertreffen würde. Sie nimmt Kontakt auf, es gibt Briefe, irgendwann auch persönliche Treffen. Im Februar trennt sie sich von Armin B.

In dem Moment änderte er sein Gesicht, sein Verhalten. Vor allem das Vokabular. Sonja A., eben noch die geliebte Frau, wurde für Armin B. zur Hure und Schlampe. Er schrieb diese Worte an ihre Schlafzimmerwand. Seinen Söhnen, 11 und 13 Jahre alt, sagte er: „Eure Mutter hat einen neuen Ficker.“

Voller Hass fuhr er zum Jobcenter

Er lauerte ihr vor der Haustür auf und beschimpfte sie. Er schrieb ihr fortwährend SMS, 27 waren es alleine in einer Nacht. Er drohte, er werde ihrem neuen Freund „die Eier abschneiden und ins Maul stopfen“. Und trotzdem war sie arglos, als er am 7. November plötzlich in ihrem Büro im Jobcenter erschien.

Ja, sie habe die Drohungen ernst genommen, erzählt sie vor Gericht mit fester Stimme, eine schlanke Frau mit dunklen Haaren und schmalem Gesicht. „Aber er hatte mich nie geschlagen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er mich wirklich “ Sie stockt. „Angreift?“, fragt der Richter. „Ja.“

Armin B. hatte an jenem Morgen einen Brief ihres Anwaltes bekommen. Darin ging es um Geld. Er war so verfangen in seiner Opferrolle, dass er in allem einen neuen Angriff sah. Voller Hass fuhr er zum Jobcenter. Bei sich trug er ein Honigglas, darin die Salzsäurelösung. Das habe er bei sich gehabt, behauptet er, weil er in seiner neuen Wohnung die Toilette putzen wollte. Er ging ins Büro seiner Frau, gab ihr den Brief. Als sie las, schüttete er ihr die Säure ins Gesicht. Er rief: „Damit du auch mal siehst, was Schmerzen sind.“

Aus vielen Sätzen spricht Selbstmitleid

Vor Gericht erzählt Armin B. alles offen und distanziert zugleich. Worte wie „für Sonjas neuen Ficker“, die er an ihre Schlafzimmerwand schrieb, zitiert er so sachlich, als referiere er eine Einkaufsliste. Er spricht mit Eifer, offensichtlich darum bemüht, sich kooperativ zu zeigen. Doch aus vielen seiner Sätze spricht Selbstmitleid. Er sagt, die Tat tue ihm leid - und erwähnt im nächsten Satz, dass seine Frau ihn „finanziell fertigmachen wollte“. Eigentlich habe er die Säure vor ihren Augen trinken wollen, um sich umzubringen, behauptet er.

Aber dann habe sie ihn angesehen. Mit einem Blick, aus dem er gelesen habe: Ich habe das Sagen. Du bist mir nicht gewachsen. „Ich fühlte mich so erniedrigt“, sagt Armin B.

Erniedrigt, gedemütigt, kein richtiger Mann. Armin B. hat sein Urteil erhalten, Mohamad B. sitzt im Gefängnis, Gökhan K. in Untersuchungshaft. Auch im Fall von Mustafa A., der seine Frau mit kochendem Wasser verbrühen wollte, läuft noch der Prozess. Die Frauen haben überlebt. Sie sind wieder zu Hause bei ihren Kindern. Der frühere Terror ist jetzt von Ängsten und Schlafstörungen abgelöst. So werden sie weiter von ihren Männern bestimmt, auch wenn die hinter Gittern sind. Sonja A. erzählt, dass sie in Therapie ist und Antidepressiva nimmt, sonst käme sie mit dem Erlebten nicht klar. „Ich muss mich ja auch um die Kinder kümmern.“

Die Frauen, sie funktionieren. So, wie es immer war.

Der Text erschien am 25. Juni 2017 im gedruckten Tagesspiegel und im Online-Kiosk Blendle.

Elke Spanner

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