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Fordert eine Anhörung von Edward Snowden im NSA-Ausschuss: Glenn Greenwald.

© dpa

Glenn Greenwald im Interview: „Die Bundesregierung stellt die Beziehungen zu den USA über die Privatsphäre“

Glenn Greenwald veröffentlichte die NSA-Informationen des Whistleblowers Edward Snowden. Von Angela Merkel ist Greenwald enttäuscht. Die Regierung Obama wiederum, sagt er, behindert Journalisten aggressiver als jede andere zuvor.

Herr Greenwald, wann waren Sie zuletzt in den USA?

Ende Mai vergangenen Jahres, bevor ich Edward Snowden in Hongkong traf.

Seitdem leben Sie im Exil?
Nicht offiziell, aber die US-Regierung hat alles getan, um mir Angst vor einer Rückkehr zu machen.

Sie übertreiben …
Leider nicht. Der Sicherheitsberater des Präsidenten James Clapper hat mich einen Kriminellen genannt und bedroht. Es laufen strafrechtliche Ermittlungen gegen mich, mein Partner wurde in London verhaftet.

Was befürchten Sie, wird bei Ihrer Rückkehr geschehen?
Kann sein, dass ich angeklagt oder sogar verhaftet werde. Wenn ich morgen nach New York fliege, werde ich es sehen.*

Ist das nicht ein wenig paranoid? Sie haben doch nichts Illegales getan.
Es gibt Leute in der amerikanischen Regierung, die nennen die Veröffentlichung geheimer Dokumente ein Verbrechen. Ich habe mir die Anschuldigungen ja nicht ausgedacht. Auch der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, Mike Rogers, hat offen gefordert, dass ich bei der Einreise in die Vereinigten Staaten festgenommen werde. Der amerikanische Staat tut schon seit Jahren Dinge, die unsere Verfassung verbietet. Sie wirft Menschen ohne Prozess ins Gefängnis, sie lässt Menschen und sogar ihre eigenen Bürger ohne Anklage mit Drohnen ermorden. Klar, eigentlich schützt unser Recht uns davor, aber dafür müssen wir kämpfen und darum gehe ich jetzt zurück.

Haben Sie Angst vor dem, was jetzt kommt?
Es gibt ein Risiko, ja, aber ich habe nicht so viel Angst, dass ich es lassen möchte. Mir geht’s gut in Brasilien, ich lebe da seit acht Jahren, aber es geht ums Prinzip. Es kann ja nicht sein, dass ich aus meinem eigenen Land vertrieben werde, obwohl ich nichts Falsches getan habe.

Was ist bei alldem aus dem amerikanischen Journalismus geworden?
Die Regierung Obama behindert die Recherche und Arbeit von Journalisten aggressiver als jede andere zuvor, auch schon lange vor den Enthüllungen über die NSA. Ich weiß, das überrascht viele Leute, vor allem hier in Deutschland, wo Obama bewundert wurde. Aber so ist es nun mal. Zum Beispiel hat sich die Regierung vergangenes Jahr mal eben die Mail- und Telefonaufzeichnungen der Reporter von Associated Press verschafft, um deren Quellen im Regierungsapparat zu finden. Und solche Informanten werden unter Obama härter verfolgt als je. So wird ein Klima der Angst unter Journalisten erzeugt. Die NSA-Affäre hat das nur noch schlimmer gemacht.

Und die Medien beugen sich dem Druck?
Oh ja. Unsere führenden Kritiker sind Journalisten, die es falsch finden, Geheimnisse der US-Regierung zu veröffentlichen, obwohl genau das die Aufgabe von Journalisten ist. Es gibt eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen den führenden Medien und der amerikanischen Regierung. Die Medien prüfen und recherchieren die Behauptungen der Regierung nicht, sie verbreiten und verteidigen sie nur. Die meisten Journalisten sehen die Welt so wie die Regierung, so dass jeder, der da Transparenz erzeugt, von den Journalisten selbst angegriffen wird, jedenfalls von denen in hohen Positionen mit Einfluss. Das war ja nicht nur in unserm Fall so, sondern auch mit Wikileaks und Julian Assange.

Hat sich das mit den Enthüllungen über die Massenüberwachung durch die NSA jetzt nicht doch geändert?
Klar, das verunsichert jetzt viele. Wie soll man noch mit Informanten sprechen, wenn die Regierung sowieso immer mithört. Aber man muss sich darüber klar sein, dass viele von den Leuten, die sich Journalisten nennen, gar keinen richtigen Journalismus betreiben, sondern ihr Publikum nur unterhalten wollen.

Haben Snowden und die von ihm instruierten Journalisten außer der Sensation selbst eigentlich irgendwas erreicht?
Aber sicher. Bevor sich etwas ändert, müssen zunächst die Menschen anders über ein Thema denken. Jetzt erleben wir rund um die Welt Debatten über den Wert des Schutzes von Daten und Privatsphäre im digitalen Zeitalter und die Gefahren der Massenüberwachung. Jetzt arbeiten in den USA Gruppen, die sonst nie kooperiert hätten, gemeinsam gegen die NSA. Deutschland und Brasilien drängen auf internationale Abkommen. Sogar Google, Facebook und Yahoo machen Front gegen die NSA-Überwachung, weil sie verstanden haben, dass das ihr Geschäft bedroht. Warum sollten Leute noch diese Dienste nutzen, wenn sie wissen, dass alle Informationen bei der US-Regierung landen? Natürlich kommt der Wandel nicht über Nacht. Aber selbst jetzt, zehn Monate nach dem Beginn der Enthüllungen ist das Interesse daran überall noch extrem groß. Das zeigt, da passiert richtig was.

"Ein Universum von Informationen ist den Ermittlern noch unbekannt"

Der Bundestag hat vergangene Woche einen Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre eingerichtet, aber er kann sich nicht einigen, ob Edward Snowden als Zeuge geladen werden soll. Was könnte er berichten, was wir nicht schon wissen?
Ganz viel. Was wir bisher veröffentlicht haben, ist ja nur ein kleiner Teil der Unterlagen, die Snowden uns überlassen hat. Da ist ein ganzes Universum von Informationen, das die deutschen Ermittler noch nicht kennen. Außerdem sagt die US-Regierung, dass Snowden noch zahlreiche Dokumente hat, die er uns Journalisten gar nicht gezeigt hat. Der Mann war fast zehn Jahre als hochrangiger Mitarbeiter mit allen Formen der Überwachung befasst. Es wäre völlig unverantwortlich, wenn die politischen Ermittler …

… Sie meinen die Mitglieder des Ausschusses …
…, ja, wenn sie gegenüber der Öffentlichkeit behaupten würden, sie ermitteln die Aktionen der NSA in Deutschland, aber dann die Person nicht befragen, die am meisten darüber weiß. Das wäre unentschuldbar. Wenn ich Ermittler wäre, würde ich das auf gar keinen Fall ohne Edward Snowden versuchen.

Wie bewerten Sie das Agieren der Bundesregierung in der NSA-Affäre?
Zuerst hat die deutsche Regierung nur so getan, als sei sie etwas verärgert. Da ging es auch erst mal „nur“ um das Ausspähen der deutschen Bevölkerung. Erst als die Kanzlerin persönlich betroffen war durch das Abhören ihres Handys, wurde der Ärger real. Das stört mich schon sehr. In Brasilien war das ähnlich. Da veröffentlichten wir auch erst Dokumente über das Ausspähen der Bevölkerung und dann über die Politik, und auch dort reagierte die Regierung erst, als sie selbst betroffen war. Jetzt, denke ich, will die Bundesregierung schon Schutz für die eigene Kommunikation und die der Bevölkerung, aber sie geht nicht viel Risiko ein, um diesen Schutz zu bekommen. Sie stellt die Beziehungen zu den USA über die Privatsphäre der eigenen Bevölkerung. Aber man muss auch sagen, dass die deutsche Politik zumindest klare Worte gefunden hat, um die amerikanische Überwachung zu kritisieren. Deutschland hat eine Stimme mit Gewicht in der Welt und deshalb war das wichtig.

Aber die Bundesregierung will es wohl gar nicht so genau wissen. Sie möchte Snowden nicht nach Deutschland einreisen lassen.
Das finde ich wirklich widerwärtig. Fast alle Länder haben davon profitiert, was Snowden getan hat, aber einige ganz besonders, und dazu zählt Deutschland, weil es eines der vorrangigen Ziele der NSA ist. Da opfert Snowden seine privaten Interessen und seine eigene Freiheit, um die Rechte von jedermann zu verteidigen, auch die der Deutschen. Und die deutsche Regierung sagt, wir sind froh, dass wir das jetzt wissen, so dass wir unsere Kommunikation und die unserer Bürger schützen können. Aber dann ist sie nicht bereit, irgendwas zu riskieren, um etwas für ihn zu tun und seine Rechte zu schützen. Diese Einstellung finde ich widerlich und unentschuldbar.

Seit dem Fall Edward Snowden weiß fast jeder, was ein „Whistleblower“ ist, ein Insider, der die Öffentlichkeit über schlimme Dinge informiert. Aber schreckt sein Schicksal jetzt, wo er zwangsweise im russischen Exil festsitzt, nicht alle anderen potenziellen Warner ab?
Im Gegenteil. Vor dem Fall Snowden hat die Obama-Regierung mehr Whistleblower ins Gefängnis werfen lassen als alle vorherigen Regierungen zusammen. Das war wirklich schlimm. Und was mit Bradley Manning, jetzt Chelsea Manning …

… der Wikileaks die Geheimdokumente über Amerikas Kriege lieferte …
... geschah, das war das Schlimmste. Erst die üblen Haftbedingungen und dann 35 Jahre Haftstrafe. Das sollte anderen zeigen, wenn ihr was rausgebt, dann zerstören wir euer Leben. Aber die Bilder von Snowden heute zeigen ihn nicht in Handschellen im Gericht oder Gefängnis. Vielmehr ist er in der ganzen Welt ein Held. Wenn er über Video Vorträge hält, bekommt er überall donnernden Applaus, die Leute stehen auf und danken ihm für seinen Mut und er kann sich in Russland frei bewegen. Er zeigt, man kann die US-Regierung herausfordern, ohne zerstört zu werden.

Was empfehlen Sie, wie sollen sich solche besorgten Hinweisgeber an die Öffentlichkeit wenden oder die richtigen Journalisten finden?

Die Verantwortung liegt bei den Journalisten, dass sie sichere Wege anbieten, über die man ohne Gefahr Kontakt aufnehmen kann. Also zum Beispiel einen sicheren Briefkasten einrichten, der technisch jede Überwachung ausschließt. Darüber haben wir jetzt binnen weniger Wochen schon mehrere nützliche Hinweise bekommen.

Einige deutsche Medien haben das auch, wir beim Tagesspiegel planen ein ähnliches Verfahren ...
Das ist auch gut so. Denn die Journalisten müssen ihren Informanten einen sicheren Weg anbieten und allen die Möglichkeit geben, auf sichere Art Dokumente und Informationen zu hinterlassen. Je mehr Medien diesen Weg gehen, umso mehr Hinweisgeber werden sich bestärkt fühlen.

"Verschlüsselte Kommunikation muss einfach Standard werden"

Für Hinweisgeber und Journalisten spielen Verschlüsselungstechniken eine große Rolle. Aber viele mögen das nicht, weil es kompliziert ist. Sie selbst wollten ja auch erst nicht, als Snowden Sie zu Beginn aufforderte, mit ihm eine verschlüsselte Kommunikation aufzubauen.

Snowden hat vor wenigen Wochen darüber gesprochen und die Technik-Community in die Verantwortung genommen. Sie müssen Systeme entwickeln, die, wie er es genannt hat, die „Glenn Greenwald-Mauer“ überwinden. Soll heißen: Es muss jeder Technik-Idiot wie ich verstehen und nutzen können. Es hat sich aber schon viel getan. Noch vor zehn Monaten nutzten vielleicht ein Prozent der Journalisten verschlüsselte Mails. Heute maile auch ich überhaupt nicht mehr anders. Wenn man es einmal eingerichtet hat, merkt man gar nicht mehr, dass man verschlüsselt kommuniziert. Es muss einfach Standard werden.

Beim Telefon ist das schwieriger.
Das stimmt. Das liegt in der Natur der Sache. Aber man merkt als Journalist, dass es schwieriger wird, am Telefon mit Informanten zu sprechen. Als ich noch beim „Guardian“ gearbeitet habe, habe mich meine Quellen sehr ungern zurückgerufen, weil sie nicht wollten, dass unter ihren Metadaten eine Nummer des „Guardian“ war. Das geht aber über uns Journalisten hinaus. Das Internet ...

... über das ja letztlich auch viel Telefonie läuft ...
... ist eigentlich ein Ort, an dem man sich selbst entdecken, in dem man mit vielen Menschen frei reden kann und sich Informationen beschafft. Doch durch die permanente Möglichkeit überwacht zu werden, schränken sich alle Möglichkeiten ein. Das ist für jeden eine klare Einschränkung der persönlichen Freiheit zu wissen, alles, was ich sage und kommuniziere, kann abgehört werden. Deshalb ist diese Angelegenheit so schädlich.

Jetzt arbeiten Sie für ein Online-Magazin namens „The Intercept“, das von Pierre Omidyar, einem Internet-Milliardär, gesponsert wird. Warum unterstützt einer der Superreichen Amerikas eine journalistische Plattform für einen Linken wie Sie?
Viele Menschen sind verärgert über die amerikanische Politik der vergangenen zehn Jahre. Es tut ihnen weh zu sehen, wie Grundrechte immer und immer wieder verletzt werden. Und Omidyar geht es da ähnlich wie Edward Snowden auch. Für Snowden ist das Netz nicht nur ein Medium, um E-Mails zu versenden, es ist das Zentrum seines Lebens, er ist damit aufgewachsen. Er konnte es nicht mehr ertragen mitanzusehen, wie aus dem Netz, das ursprünglich mal ein Medium der Freiheit war, plötzlich ein Instrument der Kontrolle wurde. Omidyar, der Ebay gegründet hat, ist ein ähnlicher Technik-Freak wie Snowden, und auch er konnte nicht länger zusehen, wie das auf diese Weise zerstört wird.

Was machen Sie, wenn sich ein Hinweisgeber von Ebay bei Ihnen meldet mit Informationen, von denen Omidyar auf keinen Fall will, das sie publik werden?
Dann publiziere ich sie natürlich. Der Tag, an dem er versucht meine journalistische Arbeit zu kontrollieren und zu beeinflussen, wird der Tag sein, an dem ich das Projekt wieder verlasse. Und das weiß Omidyar auch. Nicht umsonst hat er sich Journalisten für das Magazin geholt, die wirklich schwer zu kontrollieren sind.

Er sagt aber auch, dass sich das Projekt rechnen muss. Sie müssen Geld verdienen. Wie machen Sie das?

Das Ganze ist kein Charity-Projekt. Und natürlich müssen wir Geld verdienen. Wie das geht, wird sich noch zeigen, wir sind erst seit zwei Monaten am Start.

Wird Werbung wichtig sein, oder Abonnements?
Nein, keine Abonnements, auch keine Bezahlschranken, wohl nichts davon. Aber wie gesagt, wir haben noch keine definitive Antwort auf diese Fragen.

Das Gespräch führten Harald Schumann und Christian Tretbar.

* Greenwald konnte ohne größere Hindernisse zu einer Preisverleihung in die USA einreisen – das Interview wurde zuvor in Deutschland geführt.

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