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Stehender Applaus - aber nicht von allen im US-Kongress. Und Israels Premier Netanjahu (Mitte) hatte mit seiner Rede ohnehin die Wähler daheim im Blick. Foto: Jim Lo Scalzo/dpa

© dpa

Politik: Grenzen der Vernunft

Israels Premier punktet vor dem US-Kongress vor allem zu Hause – trotz offensichtlicher Widersprüche

Er hatte versprochen, „offen die Wahrheit“ zu sagen, und das war vielleicht mehr als eine rhetorische Floskel. Denn Israels Premier Benjamin Netanjahu musste fürchten, dass ihm zwar der US-Kongress zujubeln würde, die Verantwortungsträger im Weißen Haus und anderen wichtigen Regierungssitzen seinen Bekundungen für den Frieden aber nicht trauen würden. Und tatsächlich erhoben sich die US-Parlamentarier 31 Mal jubelnd und klatschend für ihn von den Sitzen. Vizepräsident Joe Biden allerdings blieb auffallend still sitzen, als Netanjahu die Unteilbarkeit Jerusalems beschwor.

Die Zahl der stehenden Ovationen für Netanjahus Vorgänger Ehud Olmert war allerdings noch größer. Der war zwar rhetorisch weniger brillant als Netanjahu, sprach mit deutlichem Akzent, während Netanjahu, der in den USA aufgewachsen ist und studiert hat, perfektes Amerikanisch vorführte. Doch Olmert hatte ganz anders, viel flexibler und kompromissbereit gesprochen.

Die Erfahrungen, die US-Präsident Barack Obama und andere Regierungschefs mit Netanjahus Versprechen gemacht haben, sind zudem sehr schlecht. Der verweigert nämlich nicht nur den Siedlungsstopp, der die Wiederaufnahme der Verhandlungen bringen würde, und erwähnte das Thema in seinen jüngsten Reden nicht einmal. Netanjahu hat vielmehr nicht einmal die wenigen Siedlungsaußenposten räumen lassen, die er selbst für illegal hält. Dazu aber hatte sich Israel schon vor Jahren verpflichtet.

Netanjahu sprach in Washington wohl auch vor allem für die Masse der Israelis. „Er flog, redete, siegte“, jubelte sein Stab und meinte damit sowohl den triumphalen Empfang im Kongress als auch die Trendumkehr in den Meinungsumfragen. Beim Institut „Geokartografia“ lag er mit seiner Likud-Partei vor der Reise noch mit 26 Mandaten deutlich hinter der moderaten Kadima-Opposition unter Ex-Außenministerin Zipi Livni mit 31 Mandaten zurück, mit ihr persönlich bestenfalls gleichauf. Heute nun führt der Likud mit 33 Mandaten vor Kadima mit 22, und er selbst deutlich vor der Oppositionschefin.

In allen drei dicht aufeinanderfolgenden Reden – vor der Knesset, der amerikanischen Israel-Lobby und dem Kongress – hat Netanjahu vor allem Bekanntes geliefert. Mit wenigen kleineren Ausnahmen und einer gewichtigeren. Erstmals überhaupt sprach er vom Verbleiben von jüdischen Siedlungen östlich jener Grenze, die zwischen Israel und dem künftigen Staat Palästina zu ziehen sein wird. Diese neue provokative Forderung war für die Palästinenser wohl so vollkommen unakzeptabel, dass sie in ihren ersten Reaktionen gar nicht auf sie eingingen.

Geradezu absurd nimmt sich sein Streit mit Obama über die Grenzziehung aus. Der US-Präsident möchte als künftige Grenze die, leicht korrigierte, Linie von 1967. Netanjahu wies diese Formel – und damit auch die Chance auf Verhandlungen mit den Palästinensern – bei jeder Gelegenheit und in immer schärferen Tönen vehement zurück. Die 67er-Grenzen seien „nicht zu verteidigen“. In den 67er- Grenzen hat Israel freilich in allen drei großen Kriegen triumphal gesiegt. Seit es sie im Sechs-TageKrieg extrem ausgeweitet hat, tut es sich militärisch schwer, sich selbst in kleineren Waffengängen durchzusetzen – oder schafft dies auch nicht.

Noch aus anderem Grund ist Netanjahus Geplänkel gegen Obama, die Palästinenser und wohl die gesamte internationale Gemeinschaft vollkommen irreal. Schon heute verlaufen die höchst umstrittene Sperranlage – Zaun und Mauer – zwischen Israel und dem besetzten Westjordanland zu über 90 Prozent exakt auf dieser „Grünen Linie“ von damals, der Hochsicherheitszaun zwischen Israel und dem Gazastreifen gar zu 100 Prozent.

Mag der Premier also vor dem Kongress und zu Hause gepunktet haben: Die Spannungen mit dem Weißen Haus sind geblieben. Und der Verhandlungsprozess ist festgefahren wie zuvor, wenn nicht noch stärker.

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