zum Hauptinhalt
Harald Martenstein.

© Sebastian Kahnert/dpa

Griechenland-Drama: Solidarität? Ich bin irritiert!

Viele schimpfen derzeit auf Wolfgang Schäuble. Ein Nationalist sei er, heißt es. Doch der Finanzminister vertritt in der Griechenlandkrise deutsche Interessen. Und das völlig zu Recht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Martenstein

Für die einen ist der deutsche Finanzminister ein Nationalist, für die anderen, und zwar die Mehrheit der Bevölkerung, ist er der Last man standing. Die meisten Deutschen finden es gut, dass Wolfgang Schäuble bei dem, was er tut, auch ein wenig an die Interessen der deutschen Steuerzahler denkt. Ich sehe das ebenfalls so und frage mich, ob es nicht sogar ein wichtiger Beitrag zur europäischen Einigung ist, wenn meine Regierung auch die Interessen der eigenen Bevölkerung im Auge hat.

Sämtliche andere Regierungen in der EU betreiben ebenfalls Interessenpolitik, die meisten zum Glück nicht maßlos, aber ein bisschen denken sie schon an ihre Bevölkerung. Wenn die deutsche Regierung in der Griechenlandkrise als einzige sagen würde: "Ach, wisst ihr, unser Geld könnt ihr ruhig haben, nehmt euch einfach, was ihr braucht", dann wäre dies ein "deutscher Sonderweg", wie er sich in der Geschichte mehrmals als verhängnisvoll herausgestellt hat.

Schaden vom deutschen Volk abwenden

Ein gewisses Maß an Interessenpolitik ist nicht Nationalismus, sondern wird der Regierung vom Grundgesetz vorgeschrieben. Das Grundgesetz ist doch okay, oder? Die Minister müssen schwören, dass sie versuchen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Wenn unsere Regierung bedingungslos Kredite und Bürgschaften an marode Staaten verteilt, dann verursacht sie ohne jeden Zweifel einen Schaden und bricht damit das Grundgesetz.

Besonders wütend sind viele darüber, dass Schäuble den Griechen mit dem "Grexit" gedroht hat. Ja, wie führt man denn eigentlich Verhandlungen? Üblicherweise bauen beide Seiten erst mal eine Maximalposition auf, dann einigt man sich irgendwo in der Mitte. Manche meiner Landsleute stellen sich Verhandlungen ganz anders vor. Der deutsche Minister soll gleich zu Beginn das Wort ergreifen, er soll sagen: "Also, wir sind die Guten, wir sind ganz lieb. Von uns bekommt ihr alles, was ihr wollt. Wärt ihr auf dieser Basis vielleicht zu einem kleinen Zugeständnis bereit?"

Und, wer zahlt?

Am meisten irritiert mich das Wort "Solidarität", das in der Griechenlandkrise gern verwendet wird. Fast niemandem scheint klar zu sein, dass Rechnungen, die heute ausgestellt werden, irgendwann bezahlt werden müssen. Auch Bürgschaften sind Verpflichtungen. Und, wer zahlt?

Diejenigen, die für alles zahlen, für jede der sozialen Errungenschaften dieser Regierung, auch für Griechenland. Es sind unsere Kinder und Enkel. Die können sich nicht wehren. Die können kein Drohszenario aufbauen. Deswegen ist mit denen keiner solidarisch. Also, jetzt bekommt Griechenland erst mal an die 100 Milliarden. Die reichen, vielleicht, für drei Jahre. Und dann geht das Spiel von vorne los. Alle drei Jahre: Ich nenne dies die "moderne Olympiade der Euro-Zone".

Weitere Kolumnen von Harald Martenstein finden Sie hier

Zur Startseite