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Ein Helm und ein Maschinengewehr, so wie sie von den deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg benutzt worden sind, im Skopeftirio Park in Athen. Hier wurden 1100 Griechen hingerichtet.

© dpa

Griechenland und Reparationen: "Es gibt eine andere Ebene als die Rechtsebene - die moralische"

Steht Deutschland wegen des Zweiten Weltkriegs noch in der Schuld der Griechen? Aristomenis Syngelakis vom Nationalrat für die Entschädigungsforderungen Griechenlands gegenüber Deutschland sagt "Ja". Und erklärt im Interview, warum.

Herr Syngelakis, Sie vertreten die Interessen des „Nationalrats für die Entschädigungsforderungen Griechenlands gegenüber Deutschland“  bereits seit Jahren. In Deutschland sind aktuell viele Menschen irritiert, dass die griechische Regierung die Reparationsfrage nun mit den Schuldenverhandlungen verknüpft. Schadet diese Politik nicht Ihrer Sache?

Wir sollten diese beiden Dinge  nicht verbinden. Das ist eine Beleidigung der Opfer. Der Kampf um Reparationen begann schon 1944 in Athen, am Tag der Befreiung haben die ersten Opfer eine Kompensation für ihre Leiden gefordert. Das haben wir 1946, 1966, 1990 und 1995 immer wieder klar gemacht, auch wenn die deutsche Regierung das anders sieht. Wir wollen Gerechtigkeit, wir wollen verhandeln. Dabei geht es nicht um Geld, wir würden das auch für nur einen Euro tun, es geht ums Prinzip. Im Übrigen sehe ich im Gegensatz zu Ihnen nicht, dass wir die Themen hier in Griechenland verknüpfen.

Premierminister Alexis Tsipras spricht die Reparationen immer wieder im Zusammenhang mit Griechenlands Schulden und Deutschlands moralischer Haltung an. Und Justizminister Nikos Paraskevopoulos hat gerade angekündigt, deutsche Güter pfänden zu lassen, wenn in „nationalen Fragen“ nichts passiere. Das wurde in Deutschland als Erpressung im Schuldenstreit gewertet.

Das Zitat des Justizministers ist aus dem Zusammenhang gerissen worden. Er bezog sich nicht auf die Schuldenverhandlungen sondern auf die Reparationsfrage. Er sagte: Wenn in dieser Frage nichts passiert, dann bin ich bereit, der Pfändung zuzustimmen.

Aristomenis Syngelakis.
Aristomenis Syngelakis.

© promo

Glauben Sie denn, die Drohung hilft?

Wir fordern die Reparationszahlungen seit 70 Jahren. Hat sich die deutsche Regierung in dieser Zeit bewegt? Nein. Sie besteht darauf, dass alles juristisch abgeschlossen ist. Unser Land und unsere Gerichte sehen das anders. Ich glaube, es ist gut zu zeigen, dass es diese Regierung ernst meint und keine falsche Rücksicht nimmt. Deutschland soll die Millionen für die Opfer des Distomo-Massakers zahlen, zu denen es vom höchsten griechischen Gerichtshof verurteilt wurde.

Deutschland bezieht sich dabei auf ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs, nachdem das Gericht eines Landes nicht ein anderes Land zu Zahlungen an die eigenen Bürger verpflichten kann. Die meisten Rechtsexperten stimmen dieser Auffassung der Staatenimmunität aus völkerrechtlicher Sicht zu. Damit wäre die Pfändung ein Rechtsbruch...

Wir sehen das wie gesagt anders. Und wir könnten immer noch die Zwangsanleihe einklagen, die für uns nicht unter die klassischen Reparationsfragen fällt, da würden wir vermutlich sogar gewinnen. Aber wir wollen Verhandlungen auf politischer Ebene. Denn es gibt eine andere Ebene als die Rechtsebene - die moralische.

Die vorherigen griechischen Justizminister haben das Thema weniger offensiv behandelt. Werfen Sie ihnen das vor?

Sie wollten sich es nicht verscherzen, Deutschland ist ein sehr mächtiges Land. Die Forderung zur Wiedergutmachung gefällt der deutschen Politik nicht, aber das macht unser Anliegen nicht weniger berechtigt. Und nicht weniger dringend. Denken Sie das Ganze doch einmal anders. Reparationen sind ein emotionales und unglaublich wichtiges Thema für uns Griechen. Mein Vater hat zwanzig Familienmitglieder durch SS-Massaker verloren. Er ist alt, mein Ziel ist, dass er erlebt, dass wir mit Verhandlungen beginnen. Die letzten Widerstandskämpfer, die noch leben, sind bereits über neunzig Jahre alt Es wäre ein fatales Signal der Regierung gewesen, wenn sie die Schulden vor dem Unrecht attackiert hätte. Dieses Thema gehört auf jede Agenda bei jedem Ministertreffen. Aber um das noch einmal zu betonen: es wird keinen Handel geben, es geht nicht darum, auf anderen Ebenen irgendetwas zu erreichen.

Die deutsche Regierung sagt, sie bemüht sich außerhalb von Reparationsahlungen um Wiedergutmachung. Wie empfinden Sie das?

Wir wissen, dass Deutschland auf gesellschaftlicher Ebene viel getan hat, um die Nazi-Zeit aufzuarbeiten und eine Völkerversöhnung zu erreichen. Es geht aber um die offizielle Ebene, um die Regierung und es geht um die Anerkennung von Schuld. Die deutsche Politik hat sieben Jahrzehnte gebraucht, um sich überhaupt offiziell für die Verbrechen in Griechenland zu entschuldigen.

Sie sprechen von Joachim Gaucks Besuch im vergangenen Jahr in der Gemeinde Ligiadis, in dem SS-Soldaten 92 Menschen erschossen haben. Wie haben Sie diese Geste erlebt?

Ich war dort und diese Entschuldigung ohne Ausweichen, gerade heraus, die hat mich sehr bewegt, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie wichtig uns das war. Wir haben Jahrzehnte darauf gewartet. Später hatten wir ein Treffen mit ihm und haben gesagt, dass er uns sehr berührt hat, aber auf diese Entschuldigung auch Taten folgen müssen.

Was hat er gesagt?

Dass er nicht zur Regierung gehört und diese Fragen nicht entscheiden kann. Wir wissen, dass unser Anliegen kein Leichtes ist. Aber Sie müssen auch wissen: Wir werden nicht nachlassen, Deutschland muss sich seiner Verantwortung stellen. Wir werden das Vergessen nicht zulassen. Der Zeitpunkt für Gerechtigkeit wird kommen.

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