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Die neue Partei "Neos" von Parteichef Matthias Strolz kam in Österreich 2013 auf Anhieb ins Parlament

© dpa-pa

Grüne, AfD, FDP und Linksliberalismus: Der jungen, urbanen Mittelschicht fehlt eine politische Partei

Was wäre eine Antwort auf die AfD? Vielleicht hätte eine neue politische Kraft aus der Mitte heraus Erfolg. Als Alternative zur Großkoalition von Union und SPD, zu verbohrten Grünen, dogmatischen Linken und einer FDP in der Krise. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Fabian Leber

Über einen Mangel an Parteien kann man sich in Deutschland nicht beklagen. Woher kommt trotzdem dieses Gefühl, gerade in der Mitte der Gesellschaft, dass viele nicht mehr aus vollem Herzen wählen? Das ist ja das zweite Problem, neben der steigenden Zahl an Nichtwählern: der Eindruck, sich oft nur für ein kleineres Übel zu entscheiden. Selbst an den Grünen, einst ein Hort von Überzeugungstätern, ist diese Entwicklung nicht vorbeigegangen. Unter deren Anhängern gibt es viele, die ihr Kreuzchen bloß noch der Tradition wegen machen.

An den Rändern ist die Entscheidung einfacher zu treffen. Wer zum Beispiel Hartz IV bezieht, dem wird immer noch die Linkspartei am nächsten stehen, auch wenn sie – wie jetzt in Brandenburg – als Regierungspartei Protest auf sich zieht. Die AfD kommt mitunter wie ein Chamäleon daher. Doch wer wirklich konservativ tickt, der kann sich von ihr schon vertreten fühlen – gesellschaftspolitisch zumindest.

Manche Diagnosen der AfD sind nicht falsch

Schwieriger wird es bei denen, die sich der Mitte zugehörig fühlen. Ein Paradox eigentlich. Denn in die Mitte streben irgendwie alle Parteien. Und gefühlt wird sie ja immer größer. Mehr als 150 Jahre lang durchzogen feste soziale und kulturelle Grenzen die Gesellschaft. Da die Sozialisten, dort die Christlich-Konservativen, anderswo die Liberalen. Doch die Grenzen verschwammen.

Fernab aller Fehlleistungen ist hier vielleicht der tiefere Grund für den Abstieg der FDP zu sehen. Ein festes Milieu, auf das sie sich stützen kann, gibt es nicht mehr. Was andererseits nicht heißt, dass es nicht immer noch Wähler gibt, die für liberale Ideen offen wären.

Die logische Konsequenz einer Parteigründung wie der AfD müsste eigentlich sein, aus der Mitte heraus eine neue politische Kraft zu etablieren. Denn eine unideologische Partei ist durch die AfD mit Sicherheit nicht entstanden. Manche Diagnose, aus der sich ihr Protestpotenzial speist, mag dennoch richtig sein. Die zum Beispiel, dass in der Europapolitik nicht immer nur mit Notwendigkeiten argumentiert werden kann. Oder dass die Bundespolitik zu hermetisch wirkt, weil es an direkter Demokratie fehlt.

Union und SPD wiederum scheinen unbeirrt in Richtung Allerweltsparteien zu marschieren – ohne zu merken, wie technokratisch sie geworden sind. Aus dem zwanghaften Abarbeiten eines Koalitionsvertrages allein erwächst noch kein politisches Lebensgefühl. Und nach dem Kanzler- entsteht womöglich noch ein Vizekanzler-Wahlverein.

Die Grünen wiederum hätten theoretisch alle Chancen, zum Sprachrohr einer urbanen, liberalen und jungen Mitte zu werden. Wenn ihnen nicht die eigene Befindlichkeit im Weg stehen würde. Und auch der Malus, das Werk vor allem einer Generation zu sein. Mit zu viel Selbstbezogenheit aber hatte schon der Niedergang der FDP begonnen.

In den Niederlanden und Österreich gibt es liberale Parteien, die erfolgreich sind

Was müsste also die Antwort einer veränderungsbereiten wie auch sozial denkenden Mitte sein auf eine kleinkarierte AfD, auf die bräsige Großkoalition, verbohrte Linke und dogmatische Grüne? In Österreich war die politische Kultur so sehr am Ende (die ewige große Koalition aus SPÖ und ÖVP hat in Umfragen inzwischen keine Mehrheit mehr), dass sich dort eine neue Partei gegründet hat – „Neos“, Parteifarbe pink.

Als linksliberal lässt sich ihr Programm wohl noch am ehesten einordnen. Sie ist für ein Bürgergeld, eine Vermögenszuwachssteuer, eine Senkung der Einkommensteuer, führt Online-Abstimmungen durch, will mehr Nachhaltigkeit und Transparenz, mehr Schulautonomie. Eine ähnliche Partei existiert, mit wechselhaftem Erfolg, bereits seit den 60er Jahren in den Niederlanden, unter dem Namen D66. Bei der letzten Europawahl wurde sie dort stärkste Partei, mit 15,4 Prozent. Beide Parteien sind keine Massenprodukte, sie betrachten sich selbst eher als klein, aber fein. Sie verbinden gesellschaftliche Offenheit mit einer Portion Staatsskepsis und auch sozialliberalem Gedankengut.

„Neos“ bezeichnet sich selbst als „postideologische Zentrumspartei“. Bei der Parlamentswahl 2013 erzielte sie fünf Prozent – mehr als hier die AfD. Bei der Europawahl kam sie auf 8,1 Prozent. Es gibt auch Kritik an ihr. Dass sie sich zum Beispiel nur an gut Ausgebildete und Modernisierungsgewinner richte. Oder dass sie in Wirklichkeit neoliberal ticke und sich nur einen sozialen Anstrich gegeben habe. Vielleicht ist sie tatsächlich nur eine weitere postmoderne Protestpartei. Vielleicht aber gäbe eine Partei ähnlichen Typs auch in Deutschland jenen eine Stimme, für die die Volksparteien zu unspezifisch geworden sind – und die mit Populismus auch nichts anfangen können.

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