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Kellner in Landshut. Lohnt die Arbeit?

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Hartz-IV-Dilemma: Wer arbeitet, ist der Dumme

Ist die Stütze zu hoch, oder sind die Löhne für Geringqualifizierte zu niedrig? Für viele Menschen gibt es keine Anreize, das Hartz-IV-System zu verlassen. Das Prinzip des Forderns und Förderns funktioniert nicht.

Fordern und fördern - das war die Losung, die der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Superminister Wolfgang Clement ausgegeben haben, als die Hartz-Reform entstand. Fünf Jahre nach der Einführung ist klar: Das Prinzip funktioniert nicht. "Von einer raschen Reintegration in den Arbeitsmarkt durch ein Fordern und Fördern kann nicht die Rede sein", sagt der Arbeitsmarktexperte des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Klaus Schrader. Insbesondere Haushalten mit Kindern scheint die Rückkehr in den Arbeitsmarkt im Hartz-IV-Zeitalter nicht zu gelingen.

Zahlen belegen: Langzeitarbeitslose profitieren weit weniger vom Aufschwung als andere Arbeitslose. Im August gab es fast 4,9 Millionen erwerbsfähige Hilfebedürftige, wie erwachsene Hartz-IV-Bezieher im Amtsdeutsch heißen. Hinzu kommen noch gut 1,8 Millionen Kinder, die auf Hartz IV angewiesen sind. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Gesamtzahl der Hartz-IV-Empfänger lediglich um 0,5 Prozent gesunken.

Vom deutschen Jobwunder spüren viele Langzeitarbeitslose also kaum etwas; die Zahl der erwerbsfähigen Langzeitarbeitslosen ist seit Januar 2007 gerade einmal um eine halbe Million Menschen gesunken. Mehr als die Hälfte der Langzeitarbeitslosen bezieht schon seit mindestens zwei Jahren Stütze. Bei den 50- bis 64-Jährigen beträgt dieser Anteil sogar 70 Prozent im Bundesschnitt, in manchen Regionen fast 80 Prozent, zeigt die Statistik der Bundesagentur für Arbeit.

Zweifel, ob die Anhebung der Hartz-IV-Sätze in die richtige Richtung geht

Häufig mangele es ihnen an regionaler Mobilität, Möglichkeiten zur Kinderbetreuung, vom Arbeitsmarkt verlangten Qualifikationen oder schlichtweg einem finanziellen Anreiz. Die Differenz zwischen Stütze und dem möglichen Arbeitseinkommen sei für viele Langzeitarbeitslose sehr gering.

Beim Blick auf den Lohnzettel wird sich mancher Arbeitnehmer fragen, ob es sich für ihn überhaupt lohnt, arbeiten zu gehen. Eine Hartz-IV-Familie mit zwei Kindern hat sogar ein höheres Nettoeinkommen als etwa eine vergleichbare Familie eines Zeitarbeiters oder einer Kellnerin. "Eine reguläre Arbeit erscheint ihnen daher nicht lohnenswert", sagt Schrader. Daher laufe die Anhebung der Hartz-IV-Sätze tendenziell in die falsche Richtung. Insbesondere für viele Haushalte mit Kindern und einem Alleinverdiener seien die Lohnabstände bereits jetzt "problematisch". Der künftige Kinderzuschlag für Langzeitarbeitslose ist mit 215 bis 287 Euro pro Monat deutlich höher, als das normale Kindergeld von derzeit 184 Euro für die ersten beiden Kinder beträgt.

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Die Differenz zwischen Arbeitslosengeld II und dem auf dem Arbeitsmarkt erzielbaren Einkommen ist nach Berechnungen des Kieler Instituts dann besonders gering, wenn der Hartz-IV-Empfänger gering qualifiziert ist, der potenzielle Arbeitsplatz in Ostdeutschland liegt und/oder im Dienstleistungssektor angesiedelt ist und der ALG-II-Bezieher eine Frau ist.

Bestimmte soziale Gruppen von Eltern würden rechnerisch sogar draufzahlen, wenn sie eine reguläre Vollzeitstelle annähmen, sagt Schrader: Eine geringqualifizierte ostdeutsche alleinerziehende Frau mit zwei Kindern bekomme unter dem Strich acht Prozent mehr Stütze, als sie im Dienstleistungssektor als Einstiegsgehalt verdienen würde. Nähme sie den Job dennoch an, würde aufgrund von Hinzuverdienstregeln freilich sichergestellt, dass ihr Einkommen wenigstens auf Hartz-IV-Niveau aufgestockt würde.

Besonders unattraktiv wird für die Alleinerziehende ein Vollzeitjob, wenn sie zu ihrem Arbeitslosengeld II bereits 400 Euro hinzuverdient. Mit Mini-Job plus Hartz IV sei ihr Einkommen um 19 Prozent höher, als wenn sie regulär im Dienstleistungssektor arbeiten ginge, betont IfW-Ökonom Schrader.

Grund sind die leistungsfeindlichen Hinzuverdienstregeln: Die ersten 100 Euro kann ein Hartz-IV-Empfänger behalten, ohne dass er Abzüge von der Stütze hinnehmen muss. Von Verdiensten zwischen 100 und 800 Euro darf er 20 Prozent netto behalten und für Einkommen zwischen 800 und 1200 Euro weitere zehn Prozent. Bei Haushalten mit Kindern gilt diese Grenze bis 1500 Euro. Alle Einkünfte darüber werden voll auf die Sozialleistung angerechnet - die Grenzbelastung liegt also bei 100 Prozent.

Zum Vergleich: Bei Spitzeneinkünften ab 250.000 Euro verlangt der Staat lediglich 47,5 Prozent Steuern.

Quelle: Handelsblatt

Axel Schrinner

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