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Shinzo Abe, japanischer Regierungschef hat drastische Geldmaßnahmen angekündigt.

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Update

"Helikoptergeld": Lässt Japan als erstes Land Geld vom Himmel regnen?

"Helikoptergeld" ist ein Konzept, bei dem die Notenbank Geld verschenkt, um die Inflation anzuheizen. Es gibt Hinweise, dass Japan das erste Land sein könnte, das zu diesem Mittel greift. Was bedeutet das?

Von Andreas Oswald

Ist Japan das erste Land, das zum Mittel des "Helikoptergeldes" greift? Der Besuch von Ben Bernanke, dem ehemaligen Chef der US-Notenbank Fed, in Japan hat die Märkte elektrisiert. Bernanke hat in dieser Woche nicht nur den japanischen Notenbankchef Haruhiko Kuroda getroffen, sondern auch Shinzo Abe, den Regierungschef. Der hatte nach seinem jüngsten Wahlsieg weitere geldpolitische Maßnahmen angekündigt, um die Deflation zu besiegen. Lassen sich die Japaner, so die naheliegende Überlegung der Börsianer, von Bernanke das Prinzip des "Helikoptergeldes" erklären? Bernanke ist einer der bekanntesten Verfechter dieser Idee. Angewendet wurde sie aber noch nie, auch nicht zu der Zeit, als Bernanke US-Notenbank-Chef war.

Einige Investoren hätten gehofft, Japans Wirtschaft würde mit direkten Geldgeschenken für die Bürger wieder flottgemacht, sagte Ayako Sera, Analyst bei der Sumitomo Mitsui Trust Bank in Tokio der Nachrichtenagentur Reuters. Auch die Saxo Bank und der Bond-Handelshaus Jefferies äußerten sich in diesem Sinne.

Die Gerüchte um eine mögliche Ausschüttung von Helikoptergeld in Japan könnten der Grund für die Börseneuphorie der vergangenen Tage gewesen sein. Interessant ist, dass Japans Regierung die Spekulationen so ernst nahm, dass sie sie dementierte. Regierungssprecher Yoshihide Suga erklärte am Mittwoch, das sogenannte "Helikopter-Geld" werde nicht erwogen. Am Donnerstag schließlich bedeuteten Regierungs- und Zentralbankvertreter gegenüber Reuters, dass es definitiv nicht zum Einsatz von Helikoptergeld kommen werde.

Eine Frage aber bleibt: Was wollten Regierungschef Abe und Notenbankchef Kuroda von Bernanke wissen? Eines ist sicher. Japans Regierung kämpft verzweifelt gegen die Deflation. Und Bernanke hat das Konzept "Helicopter Money", mit dem man Deflation wirksam bekämpfen kann.

"Interessantes Konzept". EZB-Chef Mario Draghi bei seiner Pressekonferenz am 10. März 2016, wo er sich auch über Helikoptergeld äußerte.
"Interessantes Konzept". EZB-Chef Mario Draghi bei seiner Pressekonferenz am 10. März 2016, wo er sich auch über Helikoptergeld äußerte.

© REUTERS

Das Thema "Helikoptergeld" kam vor allem im März dieses Jahres auch in Europa auf. Die Frage war: Sollen Notenbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB) Geld drucken und an Bürger und Staaten verschenken? EZB-Chef Mario Draghi hat die Debatte neu angefacht, als er bei seiner Pressekonferenz am 10. März 2016 das Konzept des „Helikoptergelds“ als „sehr interessant“ bezeichnete. Zwar moderierte er das Thema anschließend herunter, aber der Geist war aus der Flasche.

Was ist mit dem Konzept "Helikoptergeld" gemeint?

Die Notenbank soll mit neu gedrucktem Geld direkt Staatsausgaben finanzieren, beispielsweise dringend benötigte Investitionen in die Infrastruktur, Renovierung von Schulgebäuden und Ähnliches. Zudem könnte die Notenbank den Schuldendienst des Staates übernehmen, die Zinsen zahlen und, wenn eine Staatsanleihe ausläuft, die Besitzer der Anleihen ausbezahlen, ohne dass für diesen Zweck eine neue Staatsanleihe begeben werden müsste. Der absolute Schuldenstand des Staates würde sich damit verringern.

Zudem gibt es die Idee, dass im Falle einer schweren Krise jeder Bürger eine erhebliche Summe frisch gedruckten Geldes bekommt, beispielsweise 5000 Euro, mit denen er Schulden bezahlen, sparen, Aktien kaufen oder seinen Konsum erhöhen kann.

Solche Programme sollen nur solange laufen, bis die gewünschte Inflationsrate von zwei Prozent erreicht ist. Die Weltwirtschaft soll damit wieder in normale Bahnen mit normalen Zinssätzen und normalem Wachstum gelenkt werden. Entscheidend ist, dass dieses Geld nicht zurückgezahlt werden muss.

Was sind die entscheidenden Argumente der Befürworter?

Die Befürworter, unter ihnen Adair Turner, ehemaliger Chef der britischen Finanzmarktaufsicht, Lawrence Summers, Harvard-Ökonom und ehemaliger US-Finanzminister unter Bill Clinton sowie viele andere Ökonomen und Banker sehen in „Helikoptergeld“ eine Möglichkeit, Geld direkt in die Realwirtschaft zu lenken, um sie anzukurbeln und die nun schon viele Jahre andauernde deflationäre Phase seit der Finanzkrise zu überwinden. Sie weisen zudem darauf hin, dass die Notenbanken mit ihrem bisherigen außergewöhnlichen Instrumentarium ihr Ziel nicht erreicht haben, eine Inflation von zwei Prozent herzustellen.

EZB-Chefvolkswirt Peter Praet hatte sich zumindest nicht ablehnend geäußert. Theoretisch könnten alle Notenbanken dieses „extreme Instrument“ einsetzen, sagte Praet im März in einem Interview der italienischen Zeitung „La Repubblica“.

Lehnt "Helikoptergeld" strikt ab: Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank.
Lehnt "Helikoptergeld" strikt ab: Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank.

© dpa

Was sagen die Gegner des Konzepts?

Nachdem sich EZB-Chef Mario Draghi Mitte März zu dem Thema geäußert hatte, meldete sich wenige Tage später Bundesbankchef Jens Weidmann zu Wort. Interessant ist dabei, dass er sich überhaupt in diese Debatte einbringt, ist doch die ablehnende deutsche Haltung zu lockerer Geldpolitik hinreichend bekannt. Offensichtlich haben die Bemerkungen von Draghi und Praet der Debatte ein solches Gewicht verschafft, dass Weidmann sich zur Stellungnahme genötigt sah. „Das wäre nichts anderes als die vollständige Vermengung von Geldpolitik und Fiskalpolitik und mit der Notenbankunabhängigkeit nicht vereinbar“, sagte Weidmann. „Statt immer waghalsigere geldpolitische Experimente ins Spiel zu bringen, wäre es sinnvoll, einmal innezuhalten. Geldpolitik ist kein Allheilmittel, ersetzt nicht notwendige Reformen in einzelnen Ländern und löst auch nicht die Wachstumsprobleme Europas. Wer das von ihr verlangt, überfordert sie und wird am Ende enttäuscht werden.“

Auch andere Kritiker haben sich zu Wort gemeldet. Der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding, sagte der Finanznachrichtenagentur dpa-AFX: „Das Helikoptergeld ist Quatsch.“ Wirtschaftlich sei es nicht nötig und politisch würde man damit einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen. „Es würde die Illusion nähren, die Notenbank könne für die Bürger einfach immer mehr Geld drucken und damit die Probleme lösen.“

Im Kern geht es den Kritikern darum, dass der EZB Staatsfinanzierung grundsätzlich verboten ist. Möglicherweise aus gutem Grund. Länder, die in der Vergangenheit Geld drucken ließen, um Staatsausgaben zu finanzieren, bekamen ziemlich schnell eine Hyperinflation.

Eine andere Rechnung macht Maurice Obstfeld, Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf. Gegenüber der "Neuen Zürcher Zeitung" ("NZZ") verweist er auf die Tatsache, dass der starke Fall des Ölpreises nicht dazu geführt habe, dass die Konsumenten mehr konsumieren. Vielmehr sparen sie, oder bauen Schulden ab. Befürworter des "Helikoptergelds" könnten allerdings anführen, dass ein Abbau von Schulden die Konsumfähigkeit potenziell steigert. Hinzu kommt, dass die Befürworter "Helikoptergeld" durchaus auch als ein wichtiges Mittel zum Schuldenabbau bei Staat und Bürgern sehen. Wobei solche Maßnahmen nicht unbedingt inflationstreibend sein müssen.

Woher kommt der Begriff "Helikoptergeld" und wer steckt dahinter?

Ursprünglich stammt die Idee von dem späteren Nobelpreisträger Milton Friedman. Er hatte 1969 das Bild vor Augen, dass Helikopter Geld über einer Stadt abwerfen.

Milton Friedman war als Erfinder des Monetarismus der Antipode zu John Maynard Keynes. Die beiden gelten als die wichtigsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Das Besondere an dieser Debatte ist, dass es heute vor allem Keynesianer sind, die den Einsatz von "Helicopter Money" befürworten. Keynesianer gelten als eingefleischte Gegner von Milton Friedman.

Dieser Widerspruch kann insofern aufgelöst werden, als Friedman als Monetarist ausschließlich geldpolitische Maßnahmen befürwortete und andere Maßnahmen des Staates wie eine höhere Schuldenaufnahme zur Ankurbelung der Wirtschaft ablehnte. Friedman musste aber ein geldpolitisches Mittel ins Leben rufen, das in einer extremen Situation eingesetzt werden kann, um einen Zusammenbruch der Wirtschaft zu verhindern. Und es musste ein Mittel sein, das aus seiner Sicht legitim war. Das war das "Helicopter Money". Dass sich heute Keynesianer dafür begeistern, ist einerseits eine Ironie, andererseits aber nachvollziehbar, weil Keynesianer die Gefahr einer Inflation generell niedriger einschätzen als Monetaristen.

Wie ist es zu der aktuellen Debatte gekommen und wer hat sich wie positioniert?

Die aktuelle Debatte ging in den vergangenen Monaten von Kolumnen und Leitartikeln der „Financial Times“ aus, später der „Neuen Zürcher Zeitung“ ("NZZ"). Bei ersterer ist es nicht so sehr verwunderlich, weil die Angelsachsen generell weniger Probleme mit dem Gelddrucken haben und speziell die "Financial Times" nahezu jede Maßnahme positiv beurteilt, die die Wirtschaft ankurbelt. Bei der "NZZ" ist es überraschender, sind doch die Schweizer traditionell ähnlich wie die Deutschen stabilitätsbewusst. Das gilt vor allem auch für die "NZZ". Andererseits kämpft die Schweiz ganz besonders mit der Deflation und sucht händeringend nach Lösungen, um die eigene Währung zu schwächen. Die "NZZ" hat die Debatte immer wieder aufgegriffen, wenngleich sie in Kommentaren "Helikopter-Geld" dezidiert ablehnte.

Adair Turner, ehemaliger Chef der britischen Finanzmarktaufsicht, der "Financial Services Authority" (FSA). Turner setzt sich für eine monetäre Finanzierung der Staatsfinanzen durch die Notenpresse ein.
Adair Turner, ehemaliger Chef der britischen Finanzmarktaufsicht, der "Financial Services Authority" (FSA). Turner setzt sich für eine monetäre Finanzierung der Staatsfinanzen durch die Notenpresse ein.

© REUTERS

In den vergangenen Monaten haben sich dann immer mehr hochrangige Experten zu Wort gemeldet, um das Konzept zu vertreten, so Anfang November 2015 auf der Forschungskonferenz des Internationalen Währungsfonds (IWF). Dort wiederholte Adair Turner, ehemaliger Chef der britischen Finanzmarktaufsicht FSA, die Zentralbanken sollten zu einer sogenannten "monetären Finanzierung" (MF) übergehen, wie das Konzept sonst noch genannt wird. Die Nachfrage solle dadurch stimuliert werden, dass der Staat mehr Geld ausgibt und dieses Mehr direkt von der Notenbank überwiesen bekommt, ohne dass das Geld zurückgezahlt werden muss. Über seinen Auftritt beim IWF berichtete die "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ).

Turner verwies dabei aber auf das Risiko, dass Staaten, die dieses Instrument einmal einsetzten, Gefahr laufen, es wieder und wieder einsetzen zu wollen. Turner hat seine Ideen zuletzt in seinem Buch "Between Debt and the Devil" (Princeton University Press, Oxford 2015, 320 S., $ 29.95.) ausgeführt. Darin warnt er vor der Vorstellung, hohe Schulden seien bei niedriger Inflation kein Problem. Es drohten vielmehr Preisblasen an den Immobilienmärkten, Finanzkrisen und anschließende Rezession. Ein Ausweg sei die Druckerpresse.

Turner ist bei weitem nicht alleine mit seinen Vorstellungen. Rückendeckung erhielt er auf der IWF-Konferenz vom ehemaligen schwedischen Vizenotenbankchef Lars Svensson, berichtet die "NZZ".

Inwiefern hat die EZB die Debatte um "Helicopter Money" indirekt befeuert?

Auftrieb bekam das Konzept jetzt, weil Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), sich dazu geäußert hat. Draghi, war in der jüngsten Pressekonferenz am 10. März auf „Helikoptergeld“ angesprochen worden. Draghi antwortete, man habe im Zentralbankrat bisher nicht darüber nachgedacht oder gesprochen, sprach aber auch von einem „sehr interessanten Konzept“, das derzeit unter anderem unter akademischen Ökonomen diskutiert werde und auch „viele verschiedene Dinge“ bedeuten könne.

"Sehr interessantes Konzept" - das ist ein neuer Ton. Wird sich die EZB diesem Konzept öffnen, wenn die bisherige expansive Geldpolitik nicht den ersehnten Erfolg bringt?

Nicht vergessen sind die Worte Draghis 2012, als er versicherte, die EZB werde "alles Notwenige tun" - "whatever it takes" -, um den Euro zu erhalten. Seither hat er immer weitergehende Maßnahmen verkündet, ohne dass die Wirtschaft in der Eurozone in Schwung kommt und das Inflationsziel unter, aber nahe zwei Prozent erreicht hat. Wird die EZB irgendwann weich und wagt sich an das Thema "Helikoptergeld"?

Auch EZB-Chefvolkswirt Peter Praet hatte sich im Anschluss an Draghi zumindest nicht ablehnend geäußert. Theoretisch könnten alle Notenbanken dieses „extreme Instrument“ einsetzen, sagte Praet in einem Interview der italienischen Zeitung „La Repubblica“. Es stelle sich nur die Frage, ob und wann der Einsatz tatsächlich Sinn mache.

Fast scheint es so, als ob EZB-Vertreter, indem sie sich vom Konzept "Helikoptergeld" distanzieren, die Debatte befeuern. So haben sich nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag, den 7. April 2015 Führungsmitglieder der Europäischen Zentralbank demonstrativ gegen die Idee gewendet. Über ein solches "Helikopter-Geld" werde noch nicht einmal diskutiert, sagte EZB-Chefvolkswirt Peter Praet auf einer Notenbank-Konferenz in Frankfurt.

Noch nicht einmal diskutiert? Warum dann diese Äußerung? Dazu von jemandem, der sich zuvor bereits sehr viel weicher zu dem Thema geäußert hatte? Auf derselben Veranstaltung sagte Italiens Notenbank-Chef Ignazio Visco, solche Geldgeschenke seien legal schwierig und in der Umsetzung sehr riskant. Ähnlich äußerte sich laut Reuters EZB-Vize Vitor Constantio im Europa-Parlament: "Das ist nicht auf dem Tisch in irgendeiner Gestalt oder Form."

Wenn das Thema kein Thema ist, warum reden die Verantwortlichen der EZB dann immer wieder darüber?

Auch andere reden darüber: Das schwedische Bankhaus Nordea hatte laut Reuters jüngst eine Summe von 1300 Euro ins Gespräch gebracht, die die Notenbank direkt an jeden Bürger der 19 Länder des Euro-Raums ausschütten könne.

Rechnet Wolfgang Schäuble damit, dass die EZB "Helikoptergeld" druckt?

Irritierend ist eine weitere Meldung und ihr Dementi. Dem "Spiegel" zufolge wird in Schäubles Ministerium für den Fall des sogenannten Helikoptergeldes ein juristisches Vorgehen erwogen. Sollte die EZB solche direkten Geldgeschenke für die Bürger beschließen, würde sich für die Bundesregierung die Frage stellen, ob sie die Grenzen des Zentralbankmandats vor Gericht untersuchen lässt, berichtete das Magazin. Einen Tag später, am Sonntag, den 10. April 2016, dementierte Schäubles Ministerium laut Reuters. Nach Auskunft eines Ministeriumssprechers würden aktuell keine juristischen Schritte geprüft. Er betonte zugleich aber, dass die Unabhängigkeit der EZB nur im Rahmen ihres gesetzlich gegebenen Mandats gelte. Offenbar scheint Schäubles Ministerium Draghi nicht recht zu trauen.

Für eingehendere wissenschaftliche Betrachtungen: Eine etwas andere Form der Monetarisierung von Schulden stellen Pierre Pâris von der Banque Pâris Bertrand Sturdza und Prof. Charles Wyplosz zur Diskussion, worauf die "NZZ" hinweist. Die EZB solle Staatsschulden aufkaufen und durch zinslose und unbefristete Kredite ersetzen. Die Erhöhung der monetären Basis wirke unter den bestehenden deflationären Bedingungen nicht inflationär. Ausserdem könne die Notenbank stets eigene Schuldpapiere anbieten und die überschüssige Geldmenge aufsaugen. (Den englischsprachigen Originalartikel der beiden Ökonomen lesen Sie hier.)

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