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Der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke provoziert immer wieder gern.

© imago/Christian Schroedter

Dresdner Rede von Björn Höcke: AfD-Wähler haben das Recht auf Irrtum verwirkt

Verbalattacken wie die von Björn Höcke sind eine Taktik der AfD, Stimmen zu gewinnen. Wer aber jetzt noch AfD wählt, trägt dazu bei, dass Neonazis Macht ergreifen könnten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Was soll die ganze Aufregung: Kaum hält uns ein führender AfD-Politiker das Stöckchen der Provokation hin, springen wir drüber? Und bekommt die Alternative für Deutschland nicht immer wieder genau das Maß an Aufmerksamkeit, das die Neugier der Unwissenden und über die etablierte Politik Resignierten weckt? Ja – und nein. Denn seit Björn Höckes Dresdner Rede hat die politische Zielrichtung dieser Partei eine neue Dimension erreicht.

Richtig ist, dass die AfD weitere Wähler gewinnen will und Verbalattacken solcher Art mit anschließenden halben Dementis die Basis dieser Taktik sind. Irgendetwas wird beim mutmaßlichen Wähler schon hängen bleiben. Als die AfD noch die Partei der Euro-Skeptiker war, regte die Methode auch niemanden wirklich auf.

Seit sie sich zum Fürsprecher aller Gegner der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin machte, übertrifft sie die Tonalität eines Horst Seehofer einfach noch – und setzt jetzt einem Höcke keine Grenze mehr. Führende Parteigenossen distanzieren sich allenfalls taktisch von einer Rede, nach der in Deutschland eine völkische, das „Dritte Reich“ verklärende Politik Urständ feierte. Wer nach dieser Dresdner Rede AfD wählt, ist kein Nazi – aber trägt dazu bei, dass Neonazis die Macht ergreifen könnten.

Jubel für den NPD-Freispruch

51 Prozent der Mandate will der freigestellte Geschichtslehrer aus Hessen, inzwischen thüringischer Vorsitzender der AfD, erreichen, hat er gesagt. Also um am liebsten alleine zu regieren. Als Seniorpartner würde er auch in eine Koalition gehen, hat Höcke auch noch gesagt; in einem Saal und in einer Atmosphäre, die in allem an Goebbels Sportpalastveranstaltungen erinnern. Jeder kann die 52 Minuten auf Youtube anschauen und sich ein eigenes Bild machen.

Weder die Medien, noch die Altparteien, noch Angela Merkel oder überhaupt irgendeine dritte Partei sind verantwortlich für das Erstarken der AfD. Sie mögen aus soziologischer Perspektive Teile des Ursachengeflechts sein; die Verantwortung trägt jeder einzelne AfD-Wähler.

schreibt NutzerIn sonstwer

Gleich am Beginn gibt es Jubel über den NPD-Freispruch durch die Karlsruher Verfassungsrichter. Bei den letzten Wahlen zum Beispiel in Mecklenburg- Vorpommern wurde die AfD stark, weil ihr auch die NPD-Wähler in Scharen zuliefen – nun darf das ja alles zusammen gehen. Mit dem Harmlosigkeitssiegel der Verfassungsrichter ausgestattet, können die Nationaldemokraten in den national befreiten Zonen Ostdeutschlands weiter anstreben, was die abgehobenen Richter im fernen Karlsruhe so feinsinnig als „Dominanzansprüche in abgegrenzten Sozialräumen“ bezeichneten. Wer da noch an Widerstand denkt, zieht besser um.

Gegen verrottete Strukturen in ländlichen Regionen wie in Vorpommern, gegen fehlende Verkehrsanbindungen und für die Schaffung von Arbeitsplätzen kann Politik nicht nur viel tun, sie muss es auch. Sonst sind Ministerpräsidenten Versager. Gegen völkische Parolen, gegen mehr oder minder offenen Antisemitismus, gegen die Umwertung der Werte hilft: der gesunde Menschenverstand.

Die deutsche Geschichte muss nicht umgeschrieben werden. Täter bleiben Täter und Opfer Opfer. Wenn die Entnazifizierung die deutschen Wurzeln fast ausgerottet hat – Originalton Höcke –, was ist das für ein Baum, der da wächst? Einer, der seine Kraft aus dem Nationalsozialismus schöpfte. Wird Geschichtsschreibung um 180 Grad gedreht – ist dann der Zweite Weltkrieg das erfolglose Aufbegehren Deutschlands gegen eine Verschwörung von Bolschewismus und Weltjudentum?

Nein. Wer diese Partei, die AfD, nach der Dresdner Rede noch wählt, hat das Recht auf Irrtum verwirkt.

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