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Der FPÖ-Präsidentschaftskandidat in Österreich, Norbert Hofer, könnte die Wahl am Sonntag gewinnen.

© Leonhard Foeger/REUTERS

Hofer, Trump, Le Pen: Wie die Rechtspopulisten Weltbilder reparieren wollen

9/11, Finanzkrise, Flüchtlingskrise. Eine Reihe von Ereignissen haben die Wirklichkeit vieler Menschen verändert. Nun entlädt sich der Zorn. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

In Österreich könnte an diesem Sonntag ein Rechtspopulist Präsident werden, Donald Trump zieht von Sieg zu Sieg, Marine Le Pen und Geert Wilders sonnen sich im Umfragehoch, die AfD ist im Aufwind. Warum? Was motiviert deren Anhänger?
Sie haben Angst vor Identitätsverlust, Heimatverlust, Globalisierung.

So sagt man. Sie sehnen sich nach klaren Verhältnissen, der Überschaubarkeit von Gestern, einer starken Führung. So sagt man. Sie wollen die Uhren zurückdrehen, sind Abgehängte, Verführte. So sagt man. All das ist richtig und falsch. Oder anders: Es sind Erklärungen, die mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Chiffren, Bausteine, rhetorische Versatzstücke.

Vielleicht hilft eher das Eingeständnis, dass die Wirklichkeit vielen Menschen in den vergangenen Jahren tatsächlich eine Reihe von Zumutungen bereitet hat. Mit diabolischer Leidenschaft stellte der Irrsinn die Logik auf den Kopf. Die Folge waren Erschütterungen, die lange nachwirken. Aus deutscher Sicht begann das mit dem Fall der Mauer.

Das Ende der Geschichte gibt es nicht

Politische Systeme können kollabieren, Staaten sich auflösen. Einfach so. Was einerseits als Befreiung erlebt wurde, schuf andererseits ein Gefühl von Endlich- und Vergänglichkeit. Wer Gerechtigkeit wollte, bekam den Rechtsstaat, wer den Konsum liebte, musste lernen, sich zwischen zehn verschiedenen Waschmitteln zu entscheiden.

Nichts bleibt, wie es ist, und das Paradies gibt’s nirgendwo, nirgendwann.

Es folgten die Terroranschläge vom 11. September 2001. Das 20. Jahrhundert sollte eigentlich das Ende der bestialischen Ideologien – Nationalsozialismus und Kommunismus – besiegelt haben, nun trat eine neue auf die Weltbühne, der militante Islamismus. Wie bekämpft man den, mit Kriegen? Afghanistan und Irak waren ein Debakel.

Deutschlands engster Verbündeter, die USA, hatte den Kriegsgrund gegen Bagdad mit einer Lüge geschaffen. Die Idee, Demokratie mit Waffengewalt exportieren zu können, endete schmählich in den Folterkammern von Abu Ghraib.

Auf die Twin Towers folgten die Anschläge in London, Madrid, Paris, Brüssel. Der Terror kommt näher, die Terroristen wohnen mitten unter uns. Was hat das mit Einwanderung, dem Islam, der Integration zu tun? Ängste folgen nur selten dem Kompass der Vernunft.

Die Reichen mästen sich, so lange sie können

Die globale Finanzkrise ließ das Gebäude weiter wanken. Politiker schauten, wie sie selbst sagten, in Abgründe. Einige Banken wurden als systemrelevant deklariert und mit Milliardensummen an Steuergeldern gerettet. Wenn es je ein Urvertrauen in die Funktionsfähigkeit des Finanzwesens gegeben hatte, so wurde es in jener Zeit zerschlagen. Risiko wird belohnt oder bestraft: Auch das gilt fortan nicht mehr. Die Reichen mästen sich, so lange sie können, und wenn sie mehr gefuttert haben, als sie verdauen können, hilft ihnen der Staat. In vielen Taschen ballen sich seitdem die Fäuste vor Wut. In Amerika ließ das die Tea Party entstehen.

In der Eurokrise folgte die nächste erschütternde Erkenntnis: Das große Projekt der europäischen Einheit fußt auf Dogmen, die in Nullkommanichts durch einen kleinen Staat wie Griechenland als solche entlarvt werden. Fiskalische Einheit ohne politische Kontrollmechanismen schaffen zu wollen, war verrückt. Rückgängig machen lässt sich das nicht mehr. Europa ist zum ewigen Weiterwursteln verdammt.

Und als sei das nicht genug, strömten ab Herbst 2015 Hunderttausende von Zufluchtsuchenden nach Europa, zum Teil unkontrolliert. Die Dublin-Regeln wurden außer Kraft gesetzt, auf ein europäisches Quotensystem konnte man sich nicht verständigen, die Politik wirkte hilf- und wehrlos, ein Integrationskonzept fehlt bis heute, vehement wurde über einen Begriff wie „Obergrenze“ diskutiert.

Die Kanzlerin schien erst ein grenzenlos offenes Herz zu haben, dann aber insgeheim froh darüber zu sein, dass andere Länder die Balkanroute dicht machten. Das aber darf sie nicht zugeben, weil sonst Horst Seehofer recht behalten würde. Während das Haus brennt, spielt das Kabinett „Mensch ärgere Dich nicht“.

Das sind Schlaglichter, Ausschnitte aus einer langen Reihe nachhaltiger Irritationen. Benannt werden sie als solche fast nie. Die Politik findet nicht das dafür notwendige Narrativ, sondern hofft auf die Zeit, die angeblich alle Wunden heilt. Doch nun kleben die Heftpflaster nicht mehr.

Der Zorn, der sich entlädt, ist auch eine Folge vieler eingestürzter Weltbilder. Die Rechtspopulisten eint das Versprechen, diese Weltbilder reparieren zu wollen. Das zu verstehen, ist für die traditionellen Parteien überlebenswichtig.

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