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Politik: „Ich verspüre keine Fesselung“

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla über die Koalition, die Hauptstadt Berlin – und Wadenbeißer in der Politik

DER MENSCH

Geboren am 15. Mai 1959 in Weeze im Kreis Kleve, verheiratet.

DER STUDENT

1977 bis 1981 Studium der Sozialpädagogik an der Fachhochschule Düsseldorf. 1981 bis 1987 Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Köln, 1987 erstes juristisches, 1991 zweites juristisches Staatsexamen.

DER POLITIKER

Seit 1975 Mitglied der CDU. Seit 2000 Bezirksvorsitzender der CDU Niederrhein. Mitglied des Deutschen Bundestages seit 1990. Seit Dezember 2005: Generalsekretär der CDU.

Herr Pofalla, Gerhard Schröder verkündet gerade auf allen Kanälen, dass er der bessere Kanzler war. Sie haben als CDU-Generalsekretär jetzt die Chance, uns zu erklären, warum Angela Merkel die bessere Kanzlerin ist.

Sie ist erfolgreicher.

Wie äußert sich das?

Deutschland kommt voran: Das Wachstum ist in diesem Jahr dreimal so hoch wie im letzten Jahr unter Gerhard Schröder. Die Arbeitslosigkeit hat um 400 000 abgenommen. Und zum ersten Mal seit über 60 Monaten steigt in diesem Jahr die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wieder.

Warum stehen Sie mit Ihrer positiven Sicht der Dinge so alleine da?

Die Umfragen sind eindeutig: Auf die Frage, wer ist der bessere Bundeskanzler – Gerhard Schröder oder Angela Merkel – antworten zwei Drittel der Deutschen: Angela Merkel. Damit bin ich sehr zufrieden und mit meiner Sicht der Dinge alles andere als alleine.

Die Umfragewerte der CDU sind im Keller, das Ansehen der Kanzlerin auch.

Natürlich gebe ich mich mit den Umfragewerten meiner Partei nicht zufrieden. Es gibt aber auch Gründe: Die Bundeskanzlerin, die auch die CDU-Vorsitzende ist, hat die schwierigen Reformen dieser Legislaturperiode an den Anfang gestellt. Und nicht, wie Schröder, erst Jahre verstreichen lassen, bevor er sich an die Agendareform gemacht hat. Es ist normal, dass die Menschen jetzt nicht begeistert sind, wenn wir sie belasten, etwa durch die Mehrwertsteuererhöhung oder die Kürzung der Pendlerpauschale. Wenn die Reformen wirken, wird sich die Stimmung in der Bevölkerung aber wieder drehen.

Ihre Partei hat in den letzten Monaten wie ein Hühnerhaufen gewirkt. Nach einer aktuellen Analyse des Instituts für Demoskopie Allensbach wird die Union heute in einem Ausmaß als zerstritten wahrgenommen, zu dem es nur eine Parallele gibt: die Jahre der Spendenaffäre.

Es stimmt, der CDU-Chor war in den letzten Wochen nicht besonders harmonisch. Es wäre besser gewesen, wenn die eine oder andere Äußerung bei der Gesundheitsreform nicht gleich auf dem offenen Markt ausgetragen worden wäre. Aber wir haben unsere Lehren daraus gezogen. Die Führungsgremien der CDU – Präsidium und Bundesvorstand – sind sich darin einig, dass wir intern um die Sache ringen, aber nach außen geschlossen auftreten müssen. Darauf hat unsere Parteibasis einen Anspruch.

Die Botschaft scheint noch nicht bei allen angekommen zu sein. Bei der letzten Sitzung des Bundesvorstands haben sich die Ministerpräsidenten, die als potenzielle Störer angesprochenen wurden, mitnichten reuig gezeigt.

In den letzten vier Wochen sind wir geschlossen aufgetreten. Und gleich sind die Umfragen wieder besser.

Mit Verlaub: Nachdem Anfang der Woche im CDU-Vorstand mehr Geschlossenheit von den Ländern angemahnt wurde, fordert zwei Tage später Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers grundsätzliche Änderungen an Hartz IV. Sieht so Geschlossenheit aus?

Es ist das gute Recht von Jürgen Rüttgers, seine Sicht der Dinge zu sachpolitischen Themen zu äußern.

Bei der Gesundheitsreform haben die Ministerpräsidenten auch nur ihre Interessen vertreten – aber in einer Lautstärke, die bei den Menschen nur noch als Durcheinander angekommen ist.

Man kann beide Situationen nicht vergleichen. Bei der Gesundheitsreform haben wir Eckpunkte beschlossen, um diese dann in Gesetzesform zu gießen. Das Problem war doch, dass nach der Einigung der Koalitionsspitzen Anfang Juli Teile der vereinbarten Eckpunkte wieder in Frage gestellt wurden.

Warum ist es in Deutschland so schwierig, Reformen durchzusetzen?

Die Probleme sind komplex geworden. Andererseits erwartet die Öffentlichkeit klare und einfache Botschaften. Das führt dazu, dass manche Veränderung bei der Vermittlung an ihre Grenzen stößt. Wir müssen die nächsten Monate dazu nutzen, die Reform besser zu erklären.

Ist das Problem nicht vielmehr, dass die Politik Details zu Grundsatzfragen erhebt? Kein Mensch versteht, warum Sie sich bei der Gesundheitsreform die Köpfe über Ein-Prozent-Klauseln und Acht-Euro-Pauschalen heiß geredet haben.

Den Ball müssen Sie an die Sozialdemokraten geben.

Moment mal. Die Union hat die Ein-Prozent-Klausel in Frage gestellt.

Die SPD hat diese Klausel erfunden. Wir wollten ein neues Wettbewerbssystem im Gesundheitswesen, ohne Bürokratie und ohne solche Klauseln.

In den Umfragen agieren beide Volksparteien am unteren Ende ihre Möglichkeiten. Bereitet Ihnen das keine Sorgen?

Ich bin mir der Stimmung im Land bewusst. Wenn die Reformen greifen, dann wird die Akzeptanz der beiden Volksparteien auch wieder zunehmen. Und insbesondere die CDU als die Kanzlerpartei wird davon profitieren.

Nach knapp einem Jahr großer Koalition herrscht der Eindruck vor, dass die Volksparteien gefesselt sind.

Ich verspüre keine Fesselung. Wir können unsere Parteibeschlüsse jetzt nicht in Reinform umsetzen. Dennoch ist sich die CDU ihrer Verantwortung in der großen Koalition bewusst.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat die Union im Sommer aufgefordert, sich von ihren Lebenslügen zu verabschieden. Er hat den Eindruck, dass die Union sich nicht mehr genügend um die kleinen Leute kümmert. Teilen Sie seine Einschätzung?

Die CDU wendet sich an alle Menschen. Wir haben und werden die Arbeiter und die kleinen Leute in Deutschland nicht vergessen.

SPD-Chef Kurt Beck wirbt dafür, dass die Politik sich wieder um die Unterschichten kümmert. Wie heißt die Antwort der CDU?

Der Begriff der Unterschicht ist diskriminierend und entwürdigend. Ich finde es mehr als unglücklich, dass er in die politische Debatte eingeführt wurde. Stattdessen müssen wir Chancen aufzeigen. Konkretes Beispiel: Die CDU will den Niedriglohnbereich in Deutschland ausbauen, damit die Schwächsten der Schwachen wieder eine Chance haben, in den Arbeitsmarkt zurückzukommen.

Immerhin beschreibt Beck ein Phänomen, das lange totgeschwiegen wurde. Ist es nicht gut, wenn die Politik sich ehrlich macht?

Man darf die Menschen, die gering qualifiziert sind, nicht ausgrenzen, indem man ihnen sagt: Ihr da unten. Man muss ihnen die Hand reichen. Ich selber komme aus einer Arbeiterfamilie. Mein Vater war Holzfacharbeiter, meine Mutter Putzfrau. Mein Vater ist mit Anfang 50 arbeitslos geworden, hat dann aber später im Bewachungsgewerbe einen Job gefunden und damit die fünfköpfige Familie ernährt.

Heute sieht die Lage auf dem Arbeitsmarkt anders aus. Ihr Vater war vermutlich einer der letzten, der im Alter von 50 Jahren eine solche Chance bekam.

Die Union wird nie den Anspruch aufgeben, wieder Vollbeschäftigung zu erreichen. Von den 4,2 Millionen Arbeitslosen sind etwa 1,8 Millionen ohne jede Ausbildung. Diese Menschen können wir doch nicht einfach aufgeben.

Die Menschen glauben aber nicht mehr daran, dass es jemals wieder Vollbeschäftigung in Deutschland geben wird.

Dann müssen wir alles dafür tun, dass sich diese Stimmung ändert. Wenn wir den Niedriglohnbereich öffnen, können wir gerade den über 55-jährigen Langzeitarbeitslosen ein Angebot machen, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Und wir können den Zuwachs von Jobs begünstigen, wenn wir die Arbeitslosenversicherungsbeiträge stärker senken.

Wie stark?

Wir haben im Koalitionsvertrag beschlossen, 2007 die Beiträge um zwei Prozentpunkte zu senken. Die Bundesagentur für Arbeit macht in diesem Jahr einen Überschuss von mindestens 9,6 Milliarden Euro. Damit wäre bis Ende 2010 die Senkung der Arbeitslosenbeiträge um weitere 0,3 Prozentpunkte seriös finanzierbar. Wenn wir den Menschen mehr positive Signale geben, werden sie auch mehr Verständnis für unsere Reformpolitik aufbringen.

Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus zieht andere Schlüsse aus der Massenarbeitslosigkeit. Er fordert ein Bürgergeld für jeden.

Ich halte den Gedanken, den Dieter Althaus in die Debatte über das neue Grundsatzprogramm der CDU eingebracht hat, für visionär. Faszinierend ist, dass bei dieser Form von Grundsicherung jede Form von Sozialbürokratie wegfällt: keine Formulare mehr, keine Bedürftigkeitsprüfung. Ein Bürgergeld kann aber auch dazu führen, dass Menschen, die in der zweiten oder dritten Generation von Sozialtransfers leben, sich endgültig aus der Arbeitsgesellschaft zurückziehen. Wir haben uns in der CDU-Grundsatzprogrammkommission noch keine abschließende Meinung darüber gebildet.

Im Entwurf für die Präambel des neuen Grundsatzprogramms taucht erstmals der Begriff der Sicherheit auf. Wie wichtig ist Sicherheit im Vergleich zu Freiheit und Gerechtigkeit?

Unsere drei zentralen Grundwerte bleiben Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Gleichzeitig müssen wir aber auch das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit erfüllen. Also sagen wir ihnen: Der Staat sichert die Existenz, wenn der Einzelne nicht mehr für sich selbst sorgen kann.

Sind das die Lehren aus dem schlechten Ergebnis der letzten Bundestagswahl?

Nein. Die Bedingungen der globalisierten Welt haben das Verlangen der Menschen nach Sicherheit verstärkt.

Herr Pofalla, aus den eigenen Reihen müssen Sie sich des öfteren den Vorwurf anhören, dass Sie als Generalsekretär zu wenig den politischen Gegner SPD attackieren. Warum sind Sie so zahm?

Der Managerkreis der Friedrich-Ebert- Stiftung hat mir kürzlich vorgehalten, ich sei ein Wadenbeißer.

Das ist ein Minderheiten-Eindruck.

Die CDU muss in und mit der Regierung Erfolg haben, damit wir den Wählern im nächsten Wahlkampf sagen, was eine CDU-geführte Bundesregierung im Gegensatz zur erfolglosen Schröder-Regierung geleistet hat. Im Mai 2007 wird in Bremen gewählt, die nächsten Landtagswahlen sind erst wieder 2008. Diese wahlfreien Phasen in Deutschland müssen wir für die gemeinsame Arbeit an den Reformen nutzen. Sonst schaffen wir unsere Hausaufgaben bis 2009 nicht. Die Zeit, in der zwischen den beiden Volksparteien wieder mehr zugespitzt und polarisiert wird, kommt früh genug wieder.

Manche prophezeien, dass Sie beim Parteitag im November mit einem schlechten Wahlergebnis abgestraft werden.

Gehen Sie davon aus, dass ich mit 100 Prozent minus X gewählt werde.

Sind Sie gerne der Sündenbock der CDU?

Es gibt eine klare Aufgabenteilung: Wenn die Umfragen gut sind, sind es alle gewesen. Wenn die Umfragen nicht gut sind, war es der Generalsekretär. Im Ernst: Mein Ziel ist, dass die Union bei der der Bundestagswahl 2009 ein Ergebnis von 40 Prozent plus X erzielt. Daran werde ich mich messen lassen.

Herr Pofalla, Sie leben nicht nur am Niederrhein, sondern auch in Berlin. Hat Klaus Wowereit Recht, wenn er sich darüber beklagt, dass die anderen Bundesländer die Hauptstadt nicht ausreichend unterstützen?

Herr Wowereit blamiert doch Berlin bis auf die Knochen. Andere Bundesländer haben es auch geschafft, sich zu sanieren. Berlin kann das auch schaffen. Mit dem Finger auf andere zu zeigen ist schlechter politischer Stil. Nur mit Jammern und Beliebigkeit kann man eben keinen Staat machen.

Das Interview führten Robert Birnbaum und Cordula Eubel. Das Foto machte Thilo Rückeis.

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