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Ein Junge an der griechisch-mazedonischen Grenzen im Flüchtlingslager bei Idomeni.

© dpa

Idomeni: Kinderaugen lügen nicht

Die Flüchtlingsrouten sind zu, die Zahl der Schutzsuchenden in Deutschland sinkt. Dann können wir doch jetzt in Idomeni helfen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Wenn es doch so ist, wie Horst Seehofer und Christian Lindner sagen, der CSU- und der FDP-Chef, wenn also in diesem Jahr die Zahl der Schutzsuchenden sinkt und sinkt – dann könnte Deutschland doch wieder humanitär führend sein, oder? Jetzt bitte kein Aufschrei zur Abwehr, sondern nur einmal auf dieser Frage herumdenken.

Die Balkanroute ist zu, das sehen alle. Der Dominoeffekt der Grenzschließungen, von Österreich ausgehend, wirkt. Die Zahlen gehen gegen Null. Abgesehen davon, dass das ein Szenario ist, was die Bundespolizei schon lange, schon im Herbst vorigen Jahres, durchgespielt hatte und das von der Bundeskanzlerin abgelehnt wurde, nicht aber vom Bundesinnenminister – die Bundesregierung profitiert davon, wenn man das so sagen darf. Sie kann es selbst so nicht sagen, abgesehen von Horst Seehofer, aber der sieht sich ausdrücklich auch nicht als Teil der Bundesregierung. Jedenfalls nicht in dieser Hinsicht.

Das war der erste Teil der, sagen wir, Abschottungsstrategie. Der zweite greift jetzt. Das EU-Türkei-Abkommen, mühselig ausgedealt von der Kanzlerin (auch um ihr Amt zu sichern, keine Frage) – das bedeutet außerdem, dass aus der Türkei demnächst ebenfalls kaum noch jemand kommen wird. Und besonders nicht nach Deutschland. Ziel erreicht?

Die Kanzlerin soll sich ehrlich machen

Ziel erreicht, sagt Seehofer, in gewissem Sinn schonungslos offen. Er kann und wird behaupten, sich durchgesetzt zu haben – und Lindner von der FDP tritt da an seine Seite, nach dem Motto: Die Kanzlerin soll sich jetzt mal ehrlich machen. Was irgendwie nach dem Versuch der endgültigen Entzauberung klingt. Von wegen Heilige Angela der Flüchtlinge.

Hier geht es vordergründig ums staatliche Handeln, das sicher auch, aber nicht zuletzt um politische Machtfragen. FDP wie CSU können Wählerstimmen gewinnen, wenn es ihnen gelingt, den Umschwung für sich zu reklamieren. Übrigens, am Rande sei’s erwähnt, kann das sogar auch der Sozialdemokratie nutzen. Deren Wähler und Sympathisanten sind ebenfalls nicht wenig auf eine Verringerung der Flüchtlingszahlen aus. Dafür vorbauend hat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel ja schon ein großes Solidarprojekt ausgerufen, das helfen soll, den Bundesbürgern jegliches Gefühl der Unterprivilegierung zu nehmen.

So, und hier ist der Ansatzpunkt zum Weiterdenken: Damit Alexander Gauland, der Kopf hinter der AfD, nicht noch recht bekommt mit seinem schrecklichen Satz, dass sich Deutschland nicht von Kinderaugen erpressen lassen dürfe, muss etwas geschehen, das zeigt, wes Geistes Kind er ist. Die Grünen und die anderen, die Kirchen sowieso, überhaupt alle diejenigen, die nicht nur in die Augen der Kinder von Idomeni geschaut haben, weisen die Richtung: Ein paar tausend Menschen, Kinder, wird Deutschland doch wohl aufnehmen können! Jetzt, da es bald gar nicht mehr so viele wie erwartet aufnehmen muss. Erst recht vor dem Hintergrund, dass Kontingente von allen begrüßt wurden.

Wenn das so ist – dann könnte sich nicht zuletzt ein Politiker damit hervortun, der sich christlich- sozial nennt.

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