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Verbraucherschutzministerin: Ilse Aigner: Höchste Zeit zum Handeln

Nett und kompetent finden sie die einen. Andere werfen ihr mangelnde Tatkraft vor. Jetzt will sie handeln. Und dafür wird es höchste Zeit.

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WAS FÜR EIN TYP IST SIE?

Wer sich in der CSU ein bisschen umtut nach Urteilen über Aigner, bekommt vor allem zwei Adjektive zu hören: „nett“ ist immer das erste, „kompetent“ das andere. Seit die gelernte Elektrotechnikerin in der CSU ist – sie ging die traditionelle Parteikarriere von der Jungen Union über Kreis- und Bezirksebene bis ins Präsidium –, galt Aigner als eine Art schlummernde Vielzweckbegabung. Wer sich beruflich in die Steuerelektronik von Hubschraubern reindenken konnte, dem traute man in der von Männerrollenbildern nachhaltig geprägten CSU auch sonst allerlei zu. Als Horst Seehofer nach dem Wahldesaster in Bayern 2008 als Retter nach München zog, war „die Ilse“ daher nicht die einzig mögliche, aber eine durchaus logische Nachfolgerin im Agrarministerium. Sie hatte dessen Etat schließlich schon vorher im Haushaltsausschuss betreut.

HAT SIE DAMIT ERFOLG?

Das „kompetent“ ist mithin ernst gemeint. Das „nett“ auch. Aigner ist das, was man früher burschikos genannt hätte, jemand der gern lacht und zu Menschen auch dann Freundschaften pflegt, wenn sie zufällig Parteifreunde sind. Allerdings steckt in dem „nett“ zugleich ein Unterton. Aigner hat sich nie nach vorn gedrängt, nie andere weggebissen, nie gerempelt und gefoult. Ihre politische Vita verzeichnet folgerichtig lauter „Vize“- Posten vom Kreisvorsitz bis zur Landesgruppe. Eine Nummer Eins fehlt. Die könnte sie in diesem Jahr werden, wenn der Posten des Bezirkschefs Oberbayern frei wird, weil Staatskanzleichef Siegfried Schneider sich aus der aktiven Politik in die Landesanstalt für Neue Medien zurückzieht. Aber nichts ist so bezeichnend für Aigners Image wie der Umstand, dass niemand in der CSU glaubt, dass sie diese zentrale Machtposition im Gefüge der Partei energisch anstrebe. „Das werden die Ilse und der Georg miteinander ausmachen“, sagt vielmehr einer der Spitzenleute – Georg Fahrenschon nämlich, Landesfinanzminister und noch aus JU-Tagen mit Aigner gut Freund.

Für Fahrenschon wäre der Posten das Sprungbrett zum Ministerpräsidentenamt, weshalb der Noch-Amtsinhaber Seehofer neuerdings als spezieller Fan der jungen Frau Aigner gilt – der werden derlei Karriereziele nicht nachgesagt.

Dieser Mangel an Ehrgeiz ist einerseits ja höchst sympathisch, zumal er im Haifischbecken der Politik selten vorkommt. Doch er ist auch ein Problem. Die Bachforelle, um im Bild zu bleiben, hat unter Haien nur begrenzte Überlebenschancen. Dass sie deren Großmäuligkeit nicht mag, gereicht ihr zur Ehre und zum Nachteil zugleich. Der Dioxinskandal zeigt das Problem in aller Deutlichkeit. Noch jeder, der als verantwortlicher Politiker mit solchen Affären zu tun hatte, hat die Erfahrung machen müssen: Mit bloßer Vernunft und Pragmatismus ist da nichts getan. Das Publikum verhält sich nämlich paradox. Gerade die, die sonst von der Politik wenig bis nichts erwarten, wollen im Ernstfall ihre Repräsentanten kämpfen sehen. Und Gift im täglich Brot ist allemal ein Ernstfall.

WAS HAT SIE ALS MINISTERIN BISHER ERREICHT?

Man solle sie nicht unterschätzen, hat Ilse Aigner vor einem Jahr Journalisten im kleinen Kreis auf der Grünen Woche erzählt. Allerdings würde sie Konflikte nicht an die große Glocke hängen, sondern hinter den Kulissen austragen. Doch jetzt im Dioxinskandal wünscht sich so mancher mehr Entschlossenheit von der Ministerin. Bisher sah sie sich eher als Moderatorin. Folgerichtig hat Aigner die Futtermittelindustrie, die maßgeblich für den Skandal verantwortlich ist, um Lösungsvorschläge für das Dioxinproblem gebeten. Beim ersten großen Krisentreffen durften deren Vertreter am runden Tisch im Ministerium sitzen. Ein großer politischer Fehler, sagen selbst die, die es gut mit ihr meinen. „Wie kann man harte Lösungen durchziehen, wenn man die Betroffenen vorher ins Boot geholt hat?“, wundert sich ein Verbraucherschützer.

Dem Vorwurf der mangelnden Tatkraft begegnet Aigner häufig. Als „Ankündigungsministerin“ ist sie verspottet worden. Tatsächlich leidet die CSU-Politikerin vornehmlich darunter, dass sie die Probleme der Verbraucher auch dann lösen will, wenn sie gar nicht zuständig ist. Allein im vergangenen Jahr war sie auf allen möglichen Feldern unterwegs. Sie hat gegen Google Street View gekämpft, aus Protest über die laschen Datenschutzvorschriften hat sie ihren Facebook-Account gekündigt, sie prangerte die schlechte Beratung der Banken an und ist gegen die hohen Gebühren an Geldautomaten ins Feld gezogen. Das Problem: Für den Datenschutz ist im Kabinett Innenminister Thomas de Maizière zuständig, der keine strengeren Gesetze will, für das Finanzwesen Wolfgang Schäuble (beide CDU). Und selbst wenn es um vergleichsweise übersichtliche Fragen wie die Entschädigung von Bahnkunden für lahme Züge oder Schlichtungsstellen für Flugreisende geht, muss Aigner bei ihrer Kabinettskollegin, Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), vorstellig werden.

So sehr sich Verbraucherschützer über die geringe Durchschlagskraft der Aigner-Vorstöße ärgern, in einem Punkt können sie sich nicht über die Ministerin beklagen. Selten sind sie finanziell so großzügig unterstützt worden wie unter der CSU-Politikerin. Aigner hat nicht nur dem Chef der Stiftung Warentest, Werner Brinkmann, seinen Herzenswunsch nach einem Stiftungskapital erfüllt und ihm 50 Millionen Euro zugesagt. Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen kann sich über zehn Millionen für seine neue Verbraucherschutzstiftung freuen. Geld will Aigner zudem für ein neues Internetportal herausrücken, auf dem sich Verbraucher über Schwindel bei Lebensmitteln beschweren können. Unvereinbar dagegen sind die Positionen beim Thema Lebensmittelampel. Zum Wohlgefallen der Ernährungsindustrie hat Aigner eine Kennzeichnung verhindert, mit der Verbraucher auf einen Blick zwischen gesunden und ungesunden Produkten hätten unterscheiden können.

WIE IST IHR VERHÄLTNIS

ZUR KANZLERIN?

Es ist, wie man hört, nicht das schlechteste. Aigner hat die Kanzlerin, als sich diese vor einem halben Jahr heftiger Kritik an ihrem Führungsstil ausgesetzt sah, verteidigt. Sie vermisse bei den Ministerpräsidenten, die sich ständig zu Wort meldeten, die Bereitschaft zu Selbstkritik, sagte die CSU-Politikerin damals. Eine Angela Merkel vergisst so was nicht. Hinzu kommt: Aigner ist wie die Kanzlerin naturwissenschaftlich-technisch geprägt, auch sie ist Pragmatikerin. Entsprechend nah sind sich beide bei ihren Positionen in Sachen Zukunftstechnologien. Ob Stammzellforschung oder Gentechnik auf dem Acker – Merkel weiß, dass sie im Verbraucherministerium eine Gleichgesinnte hat.

WIRD IHR DER DIOXINSKANDAL

DAUERHAFT SCHADEN?

Es ist Aigners erste große Bewährungsprobe als Krisenmanagerin, und bis Freitag sah sie dabei nicht gut aus. Stellte vage Fragen, wo alle nach entschiedenem Auftreten verlangten, flüchtete sich in Technokraten-Kauderwelsch, wo klare Ansagen und auch Zornesbekundung angebracht gewesen wären. Doch Aigner hat das Blatt wenden können. Bei der Präsentation ihres Aktionsplans am Freitag wirkte sie klar, entschlossen und kampfeslustig, auch inhaltlich nahm sie der Opposition den Wind aus den Segeln. Und am Samstag redete sie Tacheles Richtung Hannover: Nach dem Bekanntwerden neuer Vorfälle stellte sie dem Ministerpräsidenten David McAllister ein Ultimatum – „ausführlicher Bericht bis zum Nachmittag“ – und forderte sogar personelle Konsequenzen, was zumindest ungewöhnlich ist einem gewählten Kabinettschef gegenüber. Es war nun fast wieder eine Überreaktion, eine Folge der massiven Kritik an ihr in den Tagen davor. Die Bachforelle zeigte sich bissig.

Sie hätte vielleicht etwas mehr nach außen kommunizieren müssen, gab Aigner dieser Tage selbstkritisch zu Protokoll. Aber sie neige nun mal nicht dazu, Dinge „rauszublasen, bevor sie Hand und Fuß haben“, fügte sie hinzu. Nun werden alle genau hinschauen, was aus ihrem Aktionsplan tatsächlich umgesetzt wird. Dass Aigner faktisch wenig Kompetenzen hat und im Kampf um mehr Lebensmittelsicherheit letztlich auf das Mitziehen der Länder und der EU angewiesen ist, macht es nicht leichter. Entscheidend wird sein, mit welcher Vehemenz sie für ihre Forderungen kämpft. Einen Vorteil hat Aigner dabei: Die Interessen von Bauernlobby und Verbrauchern sind ausnahmsweise einmal deckungsgleich. Futtermittelskandale wie dieser gefährden nicht nur die Gesundheit der Bürger, sie gehen auch den Landwirten an die Existenz.

GEBOREN

Ilse Aigner wurde am 7. Dezember 1964 in Feldkirchen-Westerham geboren.

AUSBILDUNG

Nach einer Ausbildung zur Elektrotechnikerin arbeitete sie zunächst im elterlichen Handwerksbetrieb und anschließend beim Hubschrauber-Hersteller Eurocopter. Von 1994 bis 1998 war Aigner Mitglied des Bayerischen Landtags. Seit 1995 gehört sie dem CSU-Parteivorstand an. 1998 wurde sie erstmals direkt in den Bundestag gewählt. 2005 wurde sie bildungs- und forschungspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion. Drei Jahre später folgte sie auf Horst Seehofer als Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

FAMILIE

Ilse Aigner ist ledig.

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