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Weiße Wand. Im Streit um Behandlungsfehler fühlen sich viele Patienten ohnmächtig gegenüber den Ärzten.

© dpa

Immer mehr Patientenbeschwerden: Diagnose: Fehlerhaft

Die Zahl der Patienten, die sich von ihrem Arzt falsch behandelt fühlen, steigt. Doch beweisen lässt sich das in nicht einmal einem Drittel der Fälle.

Immer mehr Patienten wenden sich wegen vermuteter Behandlungsfehler an die Schlichtungsstellen der Ärztekammern. Im vergangenen Jahr gingen dort 12 232 Anträge ein, ein Anstieg um zehn Prozent, wie die Kammern am Montag vermeldeten. Die Zahl der dort bestätigten Fehler hat sich allerdings nicht erhöht. Sie liegt bei 2280 von rund 7000 entschiedenen Fällen. Damit wurde nur in knapp jeder dritten Gutachterentscheidung eine Fehlbehandlung anerkannt. Bei 82 Patienten führte diese nach Ansicht der Sachverständigen zum Tode.

Gemessen an den 18 Millionen Klinikbehandlungen eines Jahres und mehr als 540 Millionen ambulanten Fällen bewege sich die Fehlerhäufigkeit im Promillebereich, betonte der Vorsitzende der Ständigen Konferenz der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen, Andreas Crusius. Und die erhöhte Antragszahl sei nicht schlechterer Arbeit, sondern einer gestiegenen „Sensibilität“ geschuldet. Patientenschützer dagegen sehen in den veröffentlichten Zahlen „nur die Spitze eines Eisbergs“. So wenden sich viele Patienten beim Verdacht von Medizinerfehlern nicht an die Kammern, denen sie Parteilichkeit unterstellen, sondern an Krankenkassen oder gleich an die Gerichte – was die Zahl der Verdachtsfälle im Jahr schon mal auf 40 000 und die der nachgewiesenen Fehler auf rund 8000 hochschnellen lässt. Außerdem fehlt es vielen schlicht an Energie fürs aufwändige Streiten. Das Gesundheitsministerium geht demzufolge von bis zu 170 000 Ärztefehlern im Jahr aus, manche Schätzungen nennen bis zu eine Million.

Die meisten Behandlungsfehler betrafen wie in den Vorjahren Knie- und Hüftgelenkarthrosen sowie Brüche an Unterarm, Unterschenkel und Sprunggelenken. Entsprechend richtete sich der Verdacht am häufigsten gegen Unfallchirurgen und Orthopäden in den Kliniken, denen am Ende auch die meisten Fehler nachgewiesen wurden. Bei ambulant tätigen Ärzten standen Fehlbehandlungen im Zusammenhang mit Brustkrebs an erster Stelle, gefolgt vom falschen Umgang mit Rückenschmerzen. Crusius betonte, dass Fehler „nicht unter den Tisch gekehrt“, sondern zu Fortbildung und Prävention genutzt würden. Und in 86 Prozent der von den Schlichtern anerkannten Fälle seien die Betroffenen von den Haftpflichtversicherern problemlos entschädigt worden.

Um ihre Offenheit im Umgang mit dem Tabuthema zu demonstrieren, ließen die Funktionäre auch eine Patientenschützerin zu Wort kommen. Als Geschäftsführerin der Unabhängigen Patientenberatung Bremen bescheinigte Elisabeth Goetz den Schlichtungsstellen „hohe Seriosität und Professionalität“. Gleichzeitig betonte sie aber, dass dort von einem Verfahren „auf Augenhöhe“ keine Rede sein könne. Nicht die Ärzte, sondern die Patienten stünden unter Beweislast, und ohne fachliche Beratung wären die Verfahren „für viele sehr schwierig“. Zudem erfahre man nicht, nach welchen Kriterien die Kammern ihre Gutachter aussuchten.

Zur Ausleuchtung der Grauzone forderte die Deutsche Stiftung Patientenschutz ein nationales Behandlungsfehlerregister. Crusius dagegen bollerte gegen die Kassen. Die „chronische Unterfinanzierung“ des Medizinbetriebs begünstige Behandlungsfehler, sagte er. Und bei den überlangen Arbeitszeiten von Klinikärzten müsse man sich über gelegentliche Unkonzentriertheit und fehlende Präzision auch nicht wundern.

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