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Wolfgang Schäuble: „In der Beschränkung zeigt sich der wahre Meister“

Finanzminister Wolfgang Schäuble spricht mit dem Tagesspiegel über Horst Köhlers Amtsverständnis, Tipps für die Kanzlerin und seinen Respekt vor Horst Seehofer.

Lassen Sie uns über den wichtigsten Tag der vergangenen Woche sprechen …

Samstag, Deutschland – Argentinien. 2:1!

Sie sind mutig! Dieses Interview erscheint erst nach dem Spiel. Aber gut, Sie gelten als Prophet. Nach dem ersten Bundespräsidentenwahlgang sollen Sie gesagt haben, im zweiten Anlauf müssten es wenigstens 615 Stimmen für Christian Wulff werden …

Stimmt, das hab ich gesagt.

Exakt so kam es. Haben Sie die 600 Stimmen im ersten Wahlgang auch geahnt?

Nein, niemand hat das vorausgesehen.

Ein Putschversuch?

Franz Müntefering hat mir nach dem ersten Wahlgang gesagt: Das sind zu viele Abweichler bei euch, das ist organisiert! Ich hab ihm geantwortet: Franz, ich hab nur niemanden getroffen, der unruhig war. Wäre es organisiert gewesen, hätte das jemand merken müssen.

Das heißt, es waren viele Einzelne?

Offenbar. Das macht die Sache aber auch nicht besser.

Wo vermuten Sie die Gründe?

Da ist vieles zusammengekommen. Die Veränderungen von Wahlgang zu Wahlgang zeigen, dass sich individuell Entscheidungen verändert haben. Das Ergebnis für Christian Wulff hat sich verbessert bis zur absoluten Mehrheit. Wenn wir die im ersten Wahlgang gehabt hätten, wäre alles gut. So haben wir sie am Ende gehabt. Das ist auch gut.

Aber der Grund für den Aufstand?

Von allem anderen abgesehen – die Volatilität unserer Systeme wird immer größer. Auch Parteien sind nicht mehr das, was sie früher waren, eine Art Familie. Parteigremien führen nicht mehr die Willensbildung herbei, das geschieht inzwischen außerhalb. Insofern reflektiert dieses Wahlergebnis die Volatilität von Stimmungen.

Und die Stimmung, die ist mies!

Ja, das allgemeine Unbehagen kommt dazu. Wir haben es ja wirklich geschafft, dass wir exzellente Ergebnisse vorweisen können und niemand es merkt. Wenn Sie sich die Arbeitsmarktzahlen angucken, die Konjunkturdaten. Auch der neue Haushalt steht! Auf der internationalen Ebene haben wir uns mit der Exitstrategie bei den G 20 durchgesetzt. Bisher haben wir ziemlich alles gut gemacht. Aber wir zerreden dies. Die Sozialdemokraten, wenn sie solche Ergebnisse in einer Regierung gehabt hätten, könnten vor Kraft nicht laufen!

Stattdessen schleppt sich die Koalition von Schlappe zu Schlappe. Warum nur?

Nehmen wir ein Beispiel: Wir haben es geschafft, die Schuldenbremse ohne Tricks einzuhalten. Das hätten Sie uns nicht zugetraut, seien Sie ehrlich!

Zugegeben: Nein.

So, danke. Wir haben es aber geschafft. Es war mühsam und schwierig. Aber die Bundeskanzlerin hat nicht eine Minute lang daran Zweifel aufkommen lassen, dass sie ihren Finanzminister gewähren lässt und unterstützt. Wir sind noch nicht am Ende der Bemühungen, aber auf gutem Weg. Und was machen wir? Am Tag danach fangen wir an, über Steuererhöhungen zu reden und über Steuersenkungen gleich auch noch. Wie soll man das denn einem normalen Menschen erklären?

Sie geben das Stichwort selbst: Volatilität, frei übersetzt „Flatterhaftigkeit“. Wenn die Gesellschaft schon so zerfasert, muss nicht die Regierung erst recht Stabilität bieten?

Ich versuche mich so zu verhalten. Ich habe immer dasselbe gesagt, über die Schuldenbremse genauso wie über die Finanztransaktionssteuer. Ich persönlich bin ja auch der Meinung, wir sollten nicht zu sehr unter dem Eindruck der öffentlichen Kommunikation Politik machen, sondern sollten erst einmal unsere Entscheidungen treffen unter dem Gesichtspunkt: Was ist richtig? Natürlich muss man zugleich bedenken, wie man das vermitteln kann. Und darüber hinaus könnte man ein Stück weit mehr Linien fahren.

Verzettelt sich Angela Merkel?

Wir sollten nicht alles und jedes auf die Kanzlerin abschieben. Man muss den Regierungschef ein Stück weit davor schützen, dass er zu sehr in Kleinigkeiten hineingezogen wird.

Aber will Frau Merkel geschützt werden?

Da müssen Sie sie selber fragen. Mein Rat an sie und ihren Kanzleramtschef Ronald Pofalla wäre nur: Lasst euch nicht zu viele Einzelheiten hinschieben, und zieht nicht zu viel an euch. Ich war ja mal selber Chef des Kanzleramts und habe darüber seinerzeit mit Helmut Kohl diskutiert. Mehr oder minder knurrend hat er mich gewähren lassen. Es war nicht zu seinem Schlechtesten. Aber gut, das war vor Jahrzehnten, vielleicht ist heute vieles anders.

Wäre es nicht klüger, Entscheidungen wieder im Kabinett zu fällen und nicht in der Runde der drei Parteichefs?

Da muss man ein Stück weit auch der Entwicklung Rechnung tragen. Wenn Sie sehen, wie sich heute Wahlkämpfe auf die Person an der Spitze konzentrieren – das führt natürlich dazu, dass die Parteivorsitzenden in einer besonders starken Rolle sind. Früher haben wir uns eine größere Beteiligung der Fraktionen vorstellen können. Aber auch das ändert sich.

War die Präsidentenwahl ein Tiefpunkt?

Sofern das heißen soll: Von jetzt an geht’s aufwärts, dann ja. Horst Köhlers Rücktritt fiel ja in eine ausgesprochen schwierige Phase mit den Entscheidungen über das Zukunftspaket. Dadurch wurde die Präsidentenwahl schnell zur Entscheidung über die Zukunftsfähigkeit der Koalition erklärt. Es ging vielen nicht um Joachim Gauck, den wir alle schätzen, oder um Christian Wulff, sondern um Angela Merkel.

Alle schätzen Gauck – hätte sich Merkel nicht besser einen wie ihn gesucht?

Ich finde es ausgesprochen nachvollziehbar, dass Angela Merkel gesagt hat: In dieser kritischen Phase nehmen wir jemanden, der Erfahrung in der Politik hat. Horst Köhler hatte auch viele Erfahrungen. Trotzdem hat er offensichtlich, tut mir leid, das Amt nicht richtig verstanden. Es ist in Ordnung, dass man beliebt sein will beim Volk. Aber man muss sich diese Beliebtheit erwerben durch Autorität und nicht dadurch, dass man die politische Klasse schrecklich findet.

Und Wulff kann diese Autorität bieten, diese Versöhnung leisten?

Christian Wulff hat in Niedersachsen vielfach bewiesen, dass er den Menschen Politik vermitteln kann. Er weiß, was dieses Amt bedeutet, das wirklich mit das schwierigste ist in diesem Land.

Also: Mit Wulff geht’s jetzt bergauf?

Christian Wulff ist Bundespräsident, er wird ein guter Bundespräsident, und das wird ein bisschen dabei helfen, dass wir aus den Aufregungen herauskommen. Aber wir müssen es schon selbst schaffen, ohne zu viel Streit Lösungen für die drängenden Sachfragen zu finden. Wir müssen alle etwas ruhiger werden dabei.

Wie wird man ruhiger?

In der Beschränkung zeigt sich der wahre Meister. Wir müssen erst ein Thema abarbeiten und dann das nächste und nicht schon vom übernächsten reden.

Schön, das wäre schon mal normale Regierungsarbeit. Aber es fehlt dann immer noch an Linien für Schwarz-Gelb.

Eins der Probleme dieser Koalition ist, dass es bei der Verhandlung des Koalitionsvertrags noch nicht möglich war, realistischere Annahmen zugrunde zu legen. Es wäre besser gewesen, wenn wir uns auf die Festlegung weniger Prozeduren hätten verständigen können und gesagt hätten: Alles andere lösen wir miteinander von Fall zu Fall. Denn wir können uns vertrauen und belauern uns nicht gegenseitig wie in der großen Koalition.

Aber zusammen mit der SPD wäre wenigstens kein Sparpaket entstanden, das unisono als sozial unausgewogen gilt.

Unser Zukunftspaket ist nicht schlecht. Wer die soziale Symmetrie zum absoluten Maßstab erhebt, muss wissen, dass er das durch Einsparungen nicht erreichen kann. Ich glaube auch, dass wir international viel härter in die Kritik geraten wären, wenn wir Steuern erhöht hätten. Das größte Hindernis für mehr Konsum und Investitionen in Deutschland ist doch die Angst der Menschen, dass zu hohe Defizite nicht mehr beherrscht werden könnten. Das Reduzieren der Defizite an sich ist deshalb wachstumsfördernd.

Der FDP-Generalsekretär erwartet jetzt eine „Spardividende“, die irgendwann in Form von Steuersenkungen ausgeschüttet wird. Eine realistische Erwartung?

Ich finde es jedenfalls richtig, dass der FDP-Generalsekretär auf diese Weise seiner eigenen Partei erklärt, dass es derzeit keine Steuersenkungen geben kann.

Was halten Sie vom Drängen der FDP auf Überprüfung der Mehrwertsteuersätze?

Wir sollten nicht zu viel davon erwarten. Wenn wir alle Mehrwertsteuersätze auf die vollen 19 Prozent anheben würden, ergäbe das etwa 23 Milliarden Euro. Das klingt nach viel. Aber 17 Milliarden Euro entfallen auf den ermäßigten Satz für Nahrungsmittel. Wer will denn dessen Streichung vorschlagen? Der nächstgrößte Posten sind Kulturleistungen bis hin zu den Zeitungen. Und dann kommen schon …

… die Hotelübernachtungen?

Genau. Ich habe allen Befürwortern dieser Steuerermäßigung damals gesagt: Ihr werdet euch selber verfluchen! Es gibt zwar gute Gründe dafür, aber es ist nicht vermittelbar. Gut, jetzt haben wir sie. Wir sollten in aller Ruhe im Herbst eine Gesamtlösung suchen.

Dabei fällt uns noch ein: Ist Horst Seehofer ein konstruktiver Teil der Koalition?

Er hat, man muss das mit Respekt sehen, die CSU stabilisiert. Die musste ja den Schock aushalten, dass sie inzwischen eine normale Partei ist. Daraufhin haben sie ihr Heil in Seehofer gesucht. Er hat das anfangs ja sogar selber geglaubt. Indem er die CSU stabilisiert, leistet er einen wichtigen Beitrag.

Das Interview führten Robert Birnbaum und Antje Sirleschtov. Das Foto machte Thilo Rückeis.

Zur Person

CDU-POLITIKER

Schäuble trat 1961 in die Junge Union ein, seit 1972 vertritt er den Wahlkreis Offenburg im Bundestag. 1984 berief ihn der damalige Kanzler Helmut Kohl ins Kabinett, 1990 verhandelte er als Innenminister den Einigungsvertrag mit der DDR. Nach Kohls Niederlage bei der Bundestagswahl 1998 wurde Schäuble zunächst CDU-Vorsitzender und Chef der Unionsfraktion, musste diese Ämter aber im Zuge der Spendenaffäre abgeben.

MINISTER

Seit 2005 ist Schäuble wieder Bundesminister, in der großen Koalition leitete er das Innenressort, 2009 berief Angela Merkel ihn zum Finanzminister. Als oberster Kassenwart dämpfte er schon frühzeitig die Hoffnungen auf die von FDP und CSU im Wahlkampf versprochenen Steuersenkungen.

VATER

Wolfgang Schäuble wurde am 18. September 1942 in Freiburg geboren. Er ist verheiratet und hat vier Kinder. Schäuble studierte Rechts- und Wirtschaftswissenschaften.

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