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Politik: In der Heldenpose

Serbiens Radikale Partei lässt für ihren Vorsitzenden Seselj demonstrieren. Der mutmaßliche Kriegsverbrecher ist im Hungerstreik

Für die Anhänger der nationalistischen Radikalen Partei in Serbien ist der Westen wieder einmal an allem schuld. Am Samstag trommelte die stärkste politische Gruppierung des Landes 25 000 Menschen vor der US-Botschaft in Belgrad zusammen, um gegen die „Haager Tyrannei“ zu protestieren und den Hungerstreik ihres Vorsitzenden Vojislav Seselj zu unterstützen. Der 52-Jährige hat seinen Protest am 11. November in der Haftanstalt des Haager Tribunals begonnen. Seselj fordert unter anderem die Absetzung seiner Pflichtverteidiger, die ihm das Gericht zur Seite gestellt hat. Sie sollen ihn vertreten, wenn er den Prozess torpediert und die Richter beleidigt.

Das hat Seselj mehrmals getan: Als ein deutscher Richter im Gerichtssaal erschien, sagte der Angeklagte, er könne den ausströmenden Gaskammergeruch nicht ertragen. In einem Brief, den er dem Tribunal selbst vortrug, deckte er die UN- Juristen mit obszönen Sprüchen ein (die Tirade wurde ins Internet gestellt und von seinen Sympathisanten als Klingelton für Mobiltelefone heruntergeladen). Und Seselj forderte die Richter auf, ihre rot- schwarzen Roben abzustreifen – sie erinnerten ihn an die katholische Inquisition.

Das Haager Tribunal hat bereits mehrere Wünsche Seseljs erfüllt: Seine Frau darf ihn unbeaufsichtigt besuchen, er soll eine zweite Zelle als Büro bekommen, er erhält das Recht, selbst ernannte juristische Berater zu konsultieren. Am Sonntag wurde in Belgrad gar Seseljs politisches „Testament“ veröffentlicht, in dem der Nationalist seine Radikale Partei auf das Konzept eines Großserbien verpflichtet. Dennoch hält der Nationalist an seinem Hungerstreik fest. Nach dem Tod des früheren jugoslawischen Staatschefs Slobodan Milosevic und des ehemaligen politischen Führers der kroatischen Serben, Milan Babic, im UN-Gefängnis in Scheveningen ist das Tribunal vorsichtig geworden. Der Prozess, der ohne den Angeklagten am vergangenen Montag begonnen hatte, ist bis auf weiteres unterbrochen. Der Hungerstreikende wurde in eine Klinik verlegt.

Die Anklage wirft Seselj vor, in den 90er Jahren durch seine Hassreden den Boden für „ethnische Säuberungen“ bereitet zu haben. Seine Freischärler sollen in Kroatien und Bosnien Zivilisten umgebracht, Häuser geplündert und religiöse Stätten zerstört haben.

Während das UN-Gericht über die wahren Gründe von Seseljs Hungerstreik rätselt, sind sich politische Beobachter einig: Der Radikalenführer wolle seiner Partei Publizität verschaffen, damit sie bei den Parlamentswahlen am 21. Januar erneut als stärkste Partei hervorgeht. So scheint es kein Zufall zu sein, dass Seselj seine Aktion unmittelbar nach der Wahlausschreibung begann. Bei einer Kundgebung am Samstag in Belgrad wurde er als tragischer Held verklärt, der für die Ehre des serbischen Volkes kämpfe. Intellektuelle verglichen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher mit Nelson Mandela, Mahatma Gandhi und Freiheitskämpfern der Serben. Auch ein Unterstützerbrief von Noam Chomsky wurde verlesen. Offenbar hat der amerikanische Philosoph keine Hemmungen, sich mit einem der schlimmsten Kriegstreiber des Balkans zu solidarisieren.

Mit all dem hat die Radikale Partei den Druck auf prowestliche Politiker in Belgrad erhöht: Präsident Boris Tadic und Regierungschef Vojislav Kostunica wurden als Marionetten der USA und Verräter des Volkes beschimpft, weil sie sich nicht für Seseljs Freilassung einsetzten. Dies wollte Kostunica nicht auf sich sitzen lassen: Die Verantwortung für das Leben Seseljs liege beim UN-Tribunal, schrieb er Gerichtspräsident Fausto Pocar. In diese Falle wollten ihn die Radikalen locken.

Enver Robelli[Pristina]

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