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Kinder, Schwangere und stillende Mütter Gratis-Mahlzeiten erhalten.

© AFP

Indien: Ein gigantisches Versprechen

Niemand soll mehr hungern in Indien – dank eines beispiellosen Ernährungsprogramms. Sonia Gandhi und ihre Kongresspartei wollen verbilligte Lebensmittel an Millionen Arme verteilen.

Es ist ein ehrgeiziges Versprechen, das Sonia Gandhi nun gab. Kein Armer werde mehr hungrig bleiben, kein Kind mehr mit leerem Bauch ins Bett gehen, versicherte die Chefin der regierenden Kongresspartei. Wenige Monate vor den Wahlen 2014 verabschiedete das Unterhaus des indischen Parlaments am Montag ein milliardenschweres Ernährungsprogramm, das weltweit als beispiellos gilt.

Laut dem Gesetz sollen 800 Millionen Inder, also zwei Drittel der Bevölkerung, künftig stark verbilligte Grundnahrungsmittel erhalten. Gandhi sprach von einem „historischen Schritt, um Hunger auszuradieren“. Damit erfülle die Regierung ihr Wahlversprechen von 2009. Von der Opposition kam dagegen massive Kritik. Nach Medienberichten wurde Sonia Gandhi am Montag in ein Krankenhaus gebracht. Die 66-Jährige habe seit Sonntagnacht Fieber gehabt, sei aber den ganzen Montag lang im Parlament gesessen, um das Ernährungsprogramm auf den Weg zu bringen, berichtete der Nachrichtensender NDTV. Nach der Zustimmung des Unterhauses müssen das Oberhaus und der Präsident das Programm billigen.

Auf dem Papier schreibt die „Food Security bill“, das „Nahrungssicherungsgesetz“, erstmals ein „Recht auf Nahrung“ fest. In den Genuss des Segens sollen 67 Prozent der 1,2 Milliarden Inder kommen. Dabei werden auf dem Lande 75 Prozent und in der Stadt 50 Prozent der Bevölkerung abgedeckt. Sie haben künftig Anspruch auf monatlich fünf Kilogramm Grundnahrungsmittel zu stark subventionierten Preisen: Ein Kilogramm Reis soll es für drei Rupien geben, Weizen für zwei Rupien und Getreide für eine Rupie. Die normalen Preise betragen ein Vielfaches davon. Für Schwangere und stillende Mütter sieht das Programm Gratis-Mahlzeiten vor ebenso wie für Schulkinder unter 14 Jahren.

Das Gesetz, dessen Kosten die Regierung mit vier Milliarden Dollar beziffert, ist allerdings hochumstritten. Kann es wirklich den grassierenden Hunger besiegen? Die Opposition hält das Programm nur für ein populistisches Machwerk, mit dem die Regierung sich Stimmen erkaufen will. Kritiker nennen es gar „Stimmensicherungsgesetz“. Auch Experten lassen kaum ein gutes Haar daran. Das Gesetz gehe an den Wurzeln der Armut vorbei und drohe die akute Schwäche der Wirtschaft noch zu verschärfen, lautet ihre Kritik.

Dabei bestreitet niemand, auch die Opposition nicht, dass Hilfe dringend notwendig ist. Obwohl Indien über Jahre mit einem Wirtschaftswachstum von acht bis zehn Prozent glänzte und sich gerne als stolze Supermacht geriert, hungern in Indien weiter Millionen Menschen. Fast die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren ist unterernährt, ein Drittel der ärmsten Menschen der Welt lebt in Indien.

Jeden Tag spielt sich in dem Riesenland eine stille Tragödie ab. Nach Schätzungen sterben Tag für Tag 3000 Kinder an Hunger und den Folgen. Zornig hat der Nobelpreisträger und Ökonom Amartya Sen, einer der berühmtesten Söhne Indiens, jüngst mit seiner Heimat abgerechnet. „Es gibt Gründe für Indien, das Haupt in Scham zu senken. Neben den Erfolgen gibt es gigantisches Versagen.“

Experten bezweifeln jedoch, dass das neue Programm wirklich den Ärmsten zugutekommt. Indien hat keinen Mangel an Hilfsprogrammen. Es sind so viele, dass kaum noch jemand den Überblick hat. Nur: Die meisten erreichen die Armen nicht, weil Gelder in den falschen Taschen versickern. Dieses Schicksal könnte auch schnell dem neuen Gesetz drohen.

Zudem packt das Programm die Fehlernährung nicht an. Zwar werden Reis, Weizen und Getreide verbilligt abgegeben, aber Proteine und Gemüse fehlen im subventionierten Nahrungskorb. Obendrein belastet das Hilfsprogramm den ohnehin überstrapazierten Haushalt und dürfte das Defizit vergrößern. Bereits seit Tagen befindet sich die Rupie im freien Fall.

Ökonomen fürchten, dass das Programm die wirtschaftliche Talfahrt noch beschleunigt. Dennoch scheint die Regierung wild entschlossen. Nach bald zehn Jahren an der Macht hat sie wenig vorzuweisen. Obwohl das Gesetz noch nicht verabschiedet war, startete das von der Kongresspartei regierte Delhi das Programm bereits am 20. August. Sonia Gandhi hatte darauf gedrungen, weil dies der 69. Geburtstag ihres ermordeten Mannes Rajiv war. Dies lässt ahnen, wie sehr Sonia Gandhis Kongresspartei im Wahlkampf auf alte Rezepte setzt: den Personenkult um die Gandhis und das Verteilen von Wohltaten ans Volk.

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