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Armenien und Aserbaidschan: Berg-Karabach: Der vergessene Konflikt

Die Staatschefs von Armenien und Aserbaidschan beraten in München über die Zukunft der Provinz Berg-Karabach. Die Regierung in Baku droht derweil mit einem neuen Krieg.

Berlin - Die Begegnung der beiden Staatschefs in Deutschland fand fast unbemerkt von der Öffentlichkeit statt. Um Wege zum Frieden ging es, mal wieder. Am Sonntag trafen sich der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew und sein armenischer Amtskollege Sersch Sarkisjan in München zu Gesprächen über die zwischen beiden Ländern umstrittene Enklave Berg-Karabach. Ort der Begegnung war die Residenz des französischen Generalkonsuls. Zusammen mit den USA und Russland leitet Frankreich innerhalb der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die Minsker Gruppe, die sich um eine Lösung des Karabach-Konflikts bemüht.

Unmittelbar vor dem Treffen hatte Alijew mit militärischer Gewalt gedroht, falls es wieder keine Fortschritte geben sollte: „Wenn das Treffen ohne Ergebnis endet, sind unsere in die Verhandlungen gesetzten Hoffnungen erschöpft, und dann bleibt uns keine andere Option“, sagte Alijew Medienberichten zufolge. „Wir haben das Recht, unser Land mit militärischen Mitteln zu befreien.“

Berg-Karabach ist eine der vernachlässigten Krisenregionen, die als „eingefrorene Konflikte“ bezeichnet werden. Wie schnell sich daraus ein militärischer Konflikt entwickeln kann, hat zuletzt der Krieg um die abtrünnige georgische Region Südossetien gezeigt. Im Zuge der Auflösung der Sowjetunion hatte sich das überwiegend von Armeniern bewohnte Berg-Karabach, das bis dahin ein autonomes Gebiet innerhalb der Sowjetrepublik Aserbaidschan gewesen war, von Baku losgesagt. Es kam zum Bürgerkrieg und mit dem Eingreifen Armeniens zum Krieg zwischen den Nachbarn, der erst 1994 mit einem Waffenstillstand endete. Die furchtbare Bilanz des Krieges: 30 000 Tote, etwa eine Million Flüchtlinge. Heute sind nicht nur Karabach, sondern auch sieben umliegende Gebiete unter militärischer Kontrolle der Armenier. Völkerrechtlich gehört die Enklave aber zu Aserbaidschan.

Die OSZE beschloss 1992, eine Konferenz für Friedensverhandlungen einzuberufen. Selbst den Ort legten die Diplomaten fest: In Minsk sollte die Konferenz stattfinden. Doch so weit ist es gar nicht erst gekommen. Die nach dem geplanten Tagungsort benannte Minsker Gruppe bemüht sich seitdem um einen Ausweg aus der verfahrenen Situation – bisher vergeblich. Das Treffen der beiden Präsidenten war das sechste in diesem Jahr, auch die Drohungen Alijews sind nicht neu.

Ein Vorschlag für eine Einigung liegt bereits auf dem Tisch: Vor zwei Jahren verständigten sich Russland, die USA und Frankreich auf Prinzipien zur Lösung des Konflikts, denen Baku und Eriwan aber noch zustimmen müssen. Der Plan sieht vor, dass die armenischen Truppen die Kontrolle der Gebiete um Berg-Karabach aufgeben, aber ein Korridor zwischen Armenien und der Enklave bestehen bleibt. Berg-Karabach soll vorläufig Sicherheitsgarantien und Möglichkeiten der Selbstverwaltung erhalten, der endgültige Status soll per Referendum entschieden werden. Außerdem dürfen alle Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren. Eine internationale Friedensmission soll die Beilegung des Konflikts begleiten.

Eine neue Dynamik erhielt die Suche nach einer friedlichen Lösung durch die Annäherung zwischen Armenien und der Türkei im Oktober. Aus Protest gegen das Vorgehen der Armenier in Berg-Karabach hatte die Türkei, die traditionell eng mit Aserbaidschan verbunden ist, vor 16 Jahren die Grenzen zu Armenien geschlossen und die Beziehungen abgebrochen. Jetzt vereinbarten die Außenminister beider Länder, den Kontakt wiederaufzunehmen und die Grenze zu öffnen. Allerdings müssen die Parlamente dem noch zustimmen. Die Annäherung ihres Verbündeten an den Erzfeind sieht die Regierung in Baku mit Sorge – sie fürchtet offenbar, im Konflikt um Berg-Karabach Rückendeckung zu verlieren und am Ende isoliert dazustehen. Aber auch Armeniens Präsident Sarkisjan ist durch die Annäherung unter Druck geraten: Gibt es keine Fortschritte im Streit um die Enklave, so könnte das türkische Parlament die Grenzöffnung ablehnen – die ist aber für das von der Wirtschaftskrise hart getroffene Armenien von großer Bedeutung. Auf der anderen Seite steht Eriwan unter dem Druck der einflussreichen armenischen Diaspora: Diese will neue Kontakte zur Türkei nur akzeptieren, wenn diese den Völkermord an den Armeniern vor über 90 Jahren eingesteht. Dass Armenien der Annäherung ohne Vorbedingungen zustimmte, hat in der Diaspora Empörung ausgelöst. Daher gilt es als wenig wahrscheinlich, dass Armenien gerade jetzt im Konflikt um Berg-Karabach Zugeständnisse macht.

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