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Bundespräsident Christian Wulff verkündet seinen Rücktritt.

© AFP

Internationale Pressestimmen zum Wulff-Rücktritt: „Böse Überraschung made in Germany für die Eurozone“

Auch für die internationale Presse kam der Rücktritt des deutschen Bundespräsidenten überraschend. Wir haben die Reaktionen von „Le Monde“ bis zur „Corriere della sera“ eingefangen.

Frankreich:

In Frankreich wird der Rücktritt von Christian Wulff ebenfalls aufmerksam verfolgt. Vor allem die Auswirkungen, die der Rücktritt auf Angela Merkel hat wird untersucht. Die Zeitung "Le Monde" kommt zu dem Ergebnis: "Das ist eine sehr ernste Angelegenheit für die Kanzlerin". Schließlich sei Christian Wulff ihr Kandidat gewesen und auch der zuvor zurückgetreten Horst Köhler war von Merkels Gnaden.

Der "Figaro" geht ebenfalls auf die Rolle Merkels ein und betont die Tatsache, dass Merkel sehr lange zu Wulff gestanden habe. "Ihr blieb auch nicht viel übrig, weil sie ihn nicht einfach absetzen kann, aber es passte auch zu ihrem Wesen, erstmal abzuwarten, zu taktieren und dann den Moment zu nutzen und Stellung zu beziehen". Das habe sie heute getan. 

England:

Die britische Tageszeitung "The Guardian" titelt zum Thema Wulff „Der deutsche Präsident Christian Wulff legt sein Amt aufgrund des Korruptionsskandals nieder“. Er habe durch die Privatkredit-Affäre und den Versuch, die Berichterstattung in der Boulevardpresse zu blockieren, unter steigendem Druck gestanden. Das persönliche Leid stellt die Zeitung dabei an zweite Stelle. Wulff habe zwar nur noch wenig Kraft gehabt, doch seine Aufgabe sei es in erster Linie gewesen, dem Volk als moralische Obrigkeit zu dienen. Und deswegen habe er gehen müssen.

Die Schlagzeile von "BBC-News" lautet: „Der deutsche Präsident Christian Wulff gibt seine Arbeit im Privatkredit-Skandal auf.“ Er habe seine Amtsniederlegung verkündet, nachdem die Staatsanwaltschaft eingefordert hatte, seine politische Immunität/seinen politischen Schutz vor Strafverfolgung aufzuheben. Der BBC-Korrespondent in Berlin, Stephen Evans, sagte, die ganze Wulff-Affäre habe der Kanzlerin nur Sorgen bereitet. Und noch mehr Sorgen könne sie zu Zeiten der Euro-Schuldenkrise derzeit nicht gebrauchen.

Italien:

Die Online-Ausgaben der beiden großen italienischen Blätter machen den Rücktritt Wulffs am Donnerstag  groß auf. Das hat hat nicht zuletzt mit dem Grund des Rücktritts zu tun – Vorteilsnahme ist in italienischen Augen nun mal eher kein deutsches Delikt – aber auch mit der Absage der Kanzlerinnenreise nach Rom: Von einer „bösen Überraschung made in Germany für die Eurozone“ schreibt der Berliner Korrespondent der römischen Repubblica. Weil Wulff abtrete, müsse der wichtige Gipfel mit Monti verschoben werden. Obwohl es seinerzeit Joachim Gauck gegeben habe, „einen christlich-konservativen, viel überzeugenderen und präsentableren Kandidaten“, habe Merkel ihren Mann um jeden Preis durchdrücken wollen. Mit seinem Rücktritt sei nun ihre „Zauberlehrlingsstrategie“ am Ende. „Christian Wulffs Geschichte war von Anfang an die eines anscheinend jungen und dynamischen Politikers, der aber von vielen in seiner Partei als zu opportunistisch, profilarm und als wenig vertrauenswürdiger Emporkömmling aus der alten Garde von Helmut Kohls Mitstreitern angesehen wurde“, urteilt Repubblica.

Wulffs Sturz ist auch in der kleinen, aber einflussreichen linken Tageszeitung „il manifesto“ Topnachricht und auf Seite eins der Druckausgabe von Samstag gelandet. Sie konstatiert auf italienischer Seite eine Schadenfreude, die „erwartbar, deshalb aber nicht weniger unangemessen“ sei. Eine „womöglich einzige Parallele zwischen Deutschland und Italien“ habe der Fall Wulff aber: „Wulff unterschied sich von Anfang wegen seiner jungen hübschen Ehefrau und seiner Vorliebe für mondäne Feste“, schreibt der Leitartikler Marco d’Eramo. Während Kohls Sturz über schwarze Parteikassen an die im Schmiergeldsumpf untergegangene Erste Republik Italiens erinnere – hier wie dort wurden Gesetze im Parteiinteresse gebrochen. „Wulff wie Guttenberg sind Politiker, die nach der deutschen Einheit aufgestiegen sind und Produkte einer neuen politischen Kultur und einer neuen internationalen Orientierung.“

Ihr politisches Aus „zeigt, wie schwierig der Generationswechsel in Deutschlands politischer Klasse ist“; es sei als Zeichen der schwarz-gelben Krise aber „eine gute Nachricht für Europa“. Dass Merkel jetzt SPD und Grüne einlädt, einen Konsenskandidaten zu finden, bedeute „eine erste Öffnung Richtung große Koalition“, heißt es in „manifesto“. „Die müsste dann das Abbremsen der deutschen Wirtschaftslokomotive managen – erste Anzeichen dafür gab es im Dezember – vor allem aber die Euro-Rettung auf ein neues Gleis bekommen. Der Kurs kann nicht mehr der sein wie bisher: kurzsichtig und im Endeffekt gegen Deutschlands eigene Interessen gerichtet.“

Weitere Reaktionen aus Italien zum Wulff-Rücktritt

Gauck könne jetzt wieder ins Spiel kommen, aber auch dann wäre Merkel beschädigt: „Ihre Hartleibigkeit von damals wird ihr ernsthafte innenpolitische Probleme bereiten und kann ihrem Ansehen auch im Ausland schaden. Wulffs Rücktritt und Merkels abgesagter Besuch sind für Berichterstatter Andrea Tarquini gar ein Schlag für Europa: „Europas Führungsmacht, die stets bereit ist, allen europäischen Regierungen Vorwürfe zu machen – Ungarns Orban merkwürdigerweise ausgenommen – lässt jetzt die ganze Eurozone unter den Konsequenzen einer politischen Instabilität leiden, die ihre Wurzeln in einer Entscheidung hat, die ‚die mächtigste Frau der Welt’ 2010 persönlich getroffen hat. Wer Wind sät, wird Sturm enden.“

Nüchterner der Mailänder „Corriere della sera“. Die Aussage des Büros von Premier Monti, die Absage sei „in letzter Minute“ gekommen, schafft zwar etwas Drama für die Schlagzeile, doch schon die ersten Zeilen des Texts zitieren Regierungssprecher Steffen Seibert:  „Die Beziehungen zu Italien bleiben in diesen Tagen sehr eng“. Wulff, schreibt das Mailänder Blatt, sei über einen günstigen Kredit, Ferien auf Kosten reicher Freunde und seinen Versuch gestolpert, Druck auf die Presse auszuüben. Es folgen ausführliche Zitate aus Wulffs Rücktrittserklärung und Merkels Reaktion. Kurz bevor Wulff vor die Presse trat, habe Merkel bei Monti angerufen, um ihm „aus innenpolitischen Gründen“ abzusagen. Das Gespräch sei – hier zitiert das Blatt offenbar seine römischen Quellen -  herzlich gewesen; Merkel habe versichert, dass sie so rasch wie möglich nach Italien kommen wolle.

Die Causa Wulff

"La Stampa" aus Turin, das kleinste der nationalen Blätter, macht ebenfalls mit Wulff auf. Der Berliner Korrespondent beschränkt sich auf kommentarlose Information, eine Liste von Wulffs Krediten eins und zwei, der bezahlten Ferien eins bis drei, ergänzt um die Sonderkonditionen fürs Auto, den Fall seines Sprechers Glaeseker und den Bericht des Spiegels um mögliche schuldhafte Verwicklungen Wulffs in den Einstieg von Porsche bei VW."

Auch für die noch junge Zeitung „Il fatto quotidiano“, die eine Gruppe um den härtesten Berlusconi-Kritiker und –Rechercheur unter Italiens Journalisten, Marco Travaglio, gegründet hat, ist Wulff Online-Spitzenthema. Merkels Bemerkung über die Stärke des Rechtsstaats, der alle gleich behandelt, schafft es in großen Lettern in den Titel der Story, eine deutliche Anspielung: „Vor dem Gesetz sind alle gleich“ – diesen Satz der Verfassung iest jeder, der einen italienischen Gerichtssaal betritt. In den Berlusconi-Jahren wurde er zu einer Art Losung seiner Gegner gegen die Versuche des Premiers, sich seinen Prozessen zu entziehen. Den Rücktritt Wulffs kommentiert „Il Fatto“ entsprechend zufrieden: „Ein Ende, das sich deutlich vom Ausgang ähnlicher Ereignisse in Italien unterscheidet.“ Nur kurz wird bemerkt, dass die Kanzlerin deshalb die Verabredung mit Monti abgesagt hat; ein Link verweist auf ein Stück über Berlins Piraten, die das Abgeordnetenhaus zum Verzicht auf Gratiskarten und VIP-Lounges gezwungen haben.

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