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Armin Laschet (CDU), früherer Integrationsminister von Nordrhein-Westfalen

© ddp

Interview zum Staatsakt: "Diese Morde betreffen die ganze Gesellschaft"

Nordrhein-Westfalens früherer Integrationsminister Armin Laschet (CDU) hofft, dass der Staatsakt für die Neonazi-Opfer am Donnerstag ein Signal wird: Die alten Kategorien von "Wir" und "Ihr" müssten überwunden werden.

Die Nazimordserie wird nun in drei Kommissionen bearbeitet, erneut ein NPD-Verbot geprüft, Ihre Parteifreundin Barbara John ist zur Ombudsfrau für die Angehörigen der Opfer ernannt worden und am Donnerstag wird der Toten mit einem Staatsakt gedacht. Ist damit alles getan?

Das alles zeigt, dass man wach geworden ist und gemerkt hat, dass die Mordserie völlig unterschätzt wurde. Ich bin sicher, dass die Sicherheitsbehörden in Zukunft sensibler reagieren werden. Sie werden hoffentlich diese Wir-Ihr-Kategorien überwinden, die sich in Worten wie „Dönermorde“ spiegelten und in den Sokos „Bosporus“ oder „Halbmond“ aktenbürokratisch untermauert wurden. Deren Gründung fiel 2006 übrigens in die Zeit der Fußballweltmeisterschaft, als alle von Integration und einer bunten Gesellschaft schwärmten. Selbst damals wurde also noch so getan, als gehörten die Toten nicht dazu.

Ist das nur ein Problem der Sicherheitsbehörden?

Nein, die alten Reflexe müssen insgesamt überwunden werden. Selbst das gut gemeinte Wort „Fremdenfeindlichkeit“ geht ja in die Irre. Wie kann man jemanden „fremd“ nennen, der seit Jahrzehnten als Nachbar hier lebt, der jeden Morgen zur Arbeit geht, ein kleines Unternehmen führt, womöglich die deutsche Staatsbürgerschaft hat?

Was lässt sich dagegen aus Ihrer Sicht tun?

Dieses Bewusstsein muss wachsen. Deshalb ist auch der Staatsakt in dieser Woche so wichtig. Die Trauerminuten im ganzen Land werden zeigen, dass diese Morde die ganze Gesellschaft betreffen, nicht nur eine Gruppe. Nach den RAF-Morden in den 70er Jahren hat man mit den Familien der Opfer gelitten. Für die NSU-Opfer gab es kein Mitgefühl, man hat sie stattdessen selbst verdächtigt, Kinderzimmer wurden auf Drogenspuren untersucht, um kriminelle Verbindungen nachzuweisen. Und eine bürgerliche Qualitätszeitung schrieb: „Die schwer durchdringliche Parallelwelt der Türken schützt die Killer.“ Überhaupt haben die Medien die Begriffe der Polizei nur zu gern aufgegriffen. Da muss die Gesellschaft als ganze lernen.

Kann der neue Bundespräsident da mithelfen?

Es war eines der großen und bleibenden Verdienste von Christian Wulff, dass er die gleiche Zugehörigkeit von Zuwanderern und Alteingesessenen betont hat, noch in seiner Rücktrittserklärung. Ich habe die Erwartung, dass der neue Bundespräsident das fortführt. Vielleicht ist ein Bürger aus den neuen Ländern sogar besonders geeignet, nach der Einheit von 1990 nun an der nächsten deutschen Einheit mitzuwirken.

Joachim Gauck hat einen Autor, dessen Buch über die angebliche Rückständigkeit der Muslime ein Riesenerfolg war, als mutig bezeichnet. Und er hat vor Monaten den Staatsakt für die NSU-Opfer abgelehnt.

Ich würde ihn ungern auf ein paar Worte festlegen. Es ist aber sicher gut, dass beim Staatsakt die Bundeskanzlerin sprechen wird.

Was erwarten Sie für danach? Wird die alte Parlamentarierweisheit sich wieder bewahrheiten, dass ein Skandal nirgends besser zu beerdigen ist als in einem Untersuchungsausschuss?

Das gilt diesmal nicht. Die Ausschüsse werden das Interesse wach halten. Daneben gibt es den Prozess gegen Beate Zschäpe und andere mutmaßliche Mittäter. Ich bin einigermaßen sicher, dass die Mängel im System jetzt bemerkt und behoben werden. Das schlechte Gewissen in den Ämtern ist groß genug dafür. Auch die Sicherheitsbehörden brauchen mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und interkultureller Kompetenz. Wenn sie komplett fehlen, braucht es nicht einmal Böswilligkeit, um eine solche Mordserie misszuverstehen. Migranten hatten sie längst verstanden. 2006 gab es eine Demonstration in Dortmund, auf der gefragt wurde: Neun sind tot, wer ist der zehnte? Darüber hat übrigens keine deutsche Zeitung berichtet, nicht einmal die Lokalpresse. Die taz brachte als einzige eine Reportage.

Anderes Personal, eine bessere Struktur der Sicherheitsbehörden – stellt sich für die  Verfassungsschutzämter jetzt nicht sogar die Existenzfrage?

Sie stellt sich natürlich für die V-Leute. Die Frage, ob sie mehr Schaden als Nutzen bringen, müssen die Untersuchungskommissionen bearbeiten. Wenn ein V-Mann sogar tatenlos bei einem Mord mit im Restaurant sitzt und nichts meldet, dann fragt man sich, wozu man ihn eigentlich braucht.

Das Gespräch führte Andrea Dernbach.

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