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Während des Prozesses wurde Julia Timoschenko von ihrer Tochter Jewgenija (links) und ihrem Mann Alexander unterstützt. Die 31-jährige Restaurantbesitzerin hat an der London School of Economics studiert und lebt heute in Kiew.

© dpa

Interview mit Jewgenija Timoschenko: "Das Leben meiner Mutter ist in Gefahr"

Die ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko ist in einem Straflager inhaftiert. Ihre Tochter berichtet im Interview mit dem Tagesspiegel über die Haftbedingungen.

Frau Timoschenko, Ihre Mutter wurde Ende Dezember in ein Straflager in Charkiw verlegt, knapp 500 Kilometer östlich von der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Wie geht es ihr derzeit?
Ich darf sie zweimal pro Woche besuchen und habe sie am 6. Januar in dem Straflager gesehen. Unser Treffen fand in einem Befragungsraum statt. Sie lag auf einer Art Couch, weil sie nicht sitzen und nicht gehen kann. Sie hat sehr starke Rückenschmerzen. In ihrer Zelle steht sie rund um die Uhr unter Videoüberwachung, das Licht bleibt Tag und Nacht eingeschaltet. Das ist gegen das Gesetz in dieser Art von Straflager. Und die Videoüberwachung hat nicht geholfen. Am Sonntag wurde meine Mutter bewusstlos, nachdem sie ein Medikament eingenommen hatte. Sie blieb fast zwei Stunden lang bewusstlos. Ihre Zellennachbarin versuchte, ihr zu helfen und Erste Hilfe zu leisten und rief nach einem Arzt. Aber der kam erst nach zwanzig Minuten. Niemand hat angeblich die Rufe gehört, obwohl es doch die Videoüberwachung gibt. Sie gaben ihr später eine Injektion, und sie kam wieder zu sich. Wir Angehörigen wurden über den Vorfall nicht informiert.

Die offizielle Version der ukrainischen Behörden war zunächst eine ganz andere: Demzufolge sei sie gar nicht bewusstlos gewesen, sondern hatte nur einen sehr niedrigen Blutdruck, nachdem sie 30 Minuten lang geduscht habe. Der Arzt sei bereits nach vier Minuten bei ihr gewesen.
Das ist eine Lüge. Es wurde auch behauptet, dass die medizinische Untersuchung am folgenden Tag ein geplanter Check- up war. Dabei hatte meine Mutter bereits zuvor schriftlich erklärt, dass sie nicht mehr von Ärzten des Regimes untersucht werden will, weil sie falsche Diagnosen stellen. Als wir hörten, dass es neue Bluttests gab, merkten wir, dass etwas nicht stimmte. Angeblich gibt es zwar Videoüberwachung, aber keine Aufzeichnungen. Wie wollen sie wissen, wie lange sie geduscht hat, wenn es keine Aufzeichnung gibt? Es ist noch immer unklar, warum meine Mutter bewusstlos wurde. Niemand wird bewusstlos, nur weil er zu lange duscht.

Heißt das, Sie gehen davon aus, das Medikament, das sie erhielt, habe damit zu tun?
Wir wissen nicht, welches Medikament sie erhalten hat. Es sei ein Mittel gegen Grippe gewesen, hieß es. Aber wir bekommen keinerlei Informationen. Das Schlimmste für mich ist, dass deutlich wurde, dass sie ihr zunächst nicht helfen wollten. Was bedeutet das? Wollen sie, dass sie dort stirbt? In dem Straflager ist sie einem sehr großen Risiko ausgesetzt. Ihre Gesundheit ist in Gefahr, und ihr Leben ist in Gefahr. Und wir können überhaupt nichts tun.

Wie sind ihre Haftbedingungen? In ukrainischen Medien wurden Bilder veröffentlicht, die weniger an eine Zelle in einem Straflager als an ein Hotel erinnern.
Das stimmt alles überhaupt nicht. Sie ist derzeit in der Krankenstation. Meine Mutter ist nur deshalb in diesem Straflager, weil sie die Hauptgegnerin des Regimes ist. In den Umfragen liegt sie mit ihrer Partei vor Präsident Viktor Janukowitsch und seiner Partei der Regionen. Je populärer sie wird, je mehr Unterstützung wir bekommen, desto brutaler werden die Repressionen. Jetzt kommt noch Folter hinzu, weil das Licht in ihrer Zelle Tag und Nacht an ist und sie keine medizinische Hilfe bekommt. Wir wissen nicht, was als Nächstes passiert. Deswegen hoffe ich, dass die Europäische Union sie weiter unterstützt und versucht, einen Weg zu finden, das zu beenden. Es gibt in der Ukraine noch andere politische Gefangene unter ähnlichen Bedingungen.

Was genau sollte die EU tun? Ein geplantes Abkommen mit der Ukraine wurde wegen des Urteils gegen Ihre Mutter auf Eis gelegt.
Für Janukowitsch ist das derzeit keine Bedrohung. Diese Leute verstehen die Sprache der Diplomatie nicht. Es wäre aber eine Bedrohung für ihn, wenn man gegen ihn und die Korruption vorgehen würde, für die er und seine Familie verantwortlich sind. Transparency International hat festgestellt, dass es im Zusammenhang mit der Fußball-Europameisterschaft 2012 Korruption auf höchster Ebene gibt. Ich weiß sowieso nicht, wie die Euro 2012 mit diesem repressiven Regime zusammenpasst.

Was bedeutet das konkret? Fordern Sie einen Boykott der Euro 2012 ?
Das kann ich als Ukrainerin nicht sagen. Das Ereignis ist für uns sehr wichtig, es ist ein Fest für die Bürger. Aber es ist hart zu sehen, wie parallel dazu meine Mutter weiter juristisch verfolgt wird. Es wäre eine Schande für die Ukraine, wenn Janukowitsch sein Vorgehen nicht beendet.

Ihre Mutter hat sich dagegen ausgesprochen, dass der Prozess der europäischen Integration gestoppt wird.
Ja, sie wollte, dass das Abkommen zwischen der EU und der Ukraine unterzeichnet wird und die Ukraine Teil der europäischen Familie wird. Das ist derzeit die einzige Chance, das Land stärker an demokratische Standards heranzuführen.

Ihr Vater hat in der vergangenen Woche Asyl in Tschechien beantragt und bekommen. Er sagte, er habe die Ukraine verlassen, weil die Regierung großen Druck auf ihn ausgeübt habe. Welcher Art von Druck war er ausgesetzt?
Das begann bereits vor zehn Jahren, bereits damals war meine Mutter im Gefängnis. Sie sollte erpresst werden, mit ihrer politischen Tätigkeit aufzuhören. Heute ist die Repression zynischer und brutaler. Es war klar, dass er das nächste Opfer wäre und dass er von der Ukraine aus nicht für meine Mutter kämpfen kann. Wir sind der tschechischen Regierung sehr dankbar, weil dieser Schritt zeigt, dass Europa die Repression und das Urteil einhellig verurteilt.

Stimmt es, dass Ihr Vater bereits zuvor ein Haus und eine Firma in Tschechien hatte?
Ich bin nicht sicher, was die Details angeht. Aber er hat sein Unternehmen bereits aus der Ukraine herausgebracht.

Werden Sie in der Ukraine bleiben?
Ja. Ich bin nicht einem so hohen Risiko ausgesetzt, verfolgt zu werden. Und ich bin jetzt das einzige Familienmitglied, das meine Mutter besuchen und sie unterstützen kann. Deshalb möchte ich bleiben.
Wird auch auf Sie Druck ausgeübt?
Der Druck auf Familie und Freunde ist generell sehr hoch. Meine Telefone werden offenbar abgehört, und ich merke, dass ich verfolgt werde. Daran habe ich mich gewöhnt. Aber ich kann mich nicht daran gewöhnen, dass meine Mutter ohne jeglichen Grund in einem Straflager sitzt, nur weil sie eine prominente Oppositionsführerin ist.

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